Nach über zwei Jahren Warten auf das Ende der Corona-Maßnahmen war es am 07. April 2022 endlich wieder soweit: Eine Ausstellungseröffnung der mhk im Ballhaus mit anwesendem Publikum!
In den Gesichtern der Protagonisten war, allen voran bei Herrn Prof. Dr. Martin Eberle, dem Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel, die Erleichterung und Freude abzulesen. Eberle scherzte in seiner Begrüßungsrede, er wisse nicht, ob er das überhaupt noch könne. Er konnte.
Passend zu der Ausstellung, in der die 1970er Jahre in die Sammlung der Alten Meister integriert wurde, war die musikalische Begleitung des Abends: Boris Tesic spielte auf der klassischen Gitarre „How deep is your love“ von den Bee Gees und Abbas „Waterloo“.
100 Jahre Deutsches Tapetenmuseum
In der informativen Einführung lag der Fokus natürlich auf der Tapetensammlung und damit auch auf ein sich ankündigendes Jubiläum: 100 Jahre Deutsches Tapetenmuseum 2023. Der Verein Deutsches Tapetenmuseum, der 1920 zum Aufbau des Museums gegründet wurde, setzte sich Anfangs aus Tapetenfabrikanten und ‑händlern zusammen. Sie beteiligten sich an der Idee und unterstützten das Museum durch die Schenkung eigener Sammlungen sowie kostbarer Exponate. Im Laufe der Jahre kamen so über 23.000 seltene Objekte aus 500 Jahren Tapetengeschichte zusammen. Ein Schatz, aus dem nun auch diese Ausstellung gespeist werden konnte.
Erst zum Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich die Tapete vom Luxusgut zum Alltagsgegenstand, der in den meisten bürgerlichen Haushalten Einzug hielt. In den 70er Jahren kam mit der Betonung auf Individualität die Lust auf aufwändigere Tapeten: Schrille Muster und psychedelische Motive waren gefragt. Die Deutsche Tapeten-Gemeinschaft warb deshalb am Anfang der 70er Jahre mit grellen und witzigen Anzeigen.
Zum Ende der 70er Jahre drehte sich das Ganze zu schlichteren Ausführungen und Naturmaterialien wie zum Beispiel Gras.
Nach dem Eröffnungsprogramm konnte man nun die Ausstellung besuchen. Der kurze Weg vom Ballhaus zum Schloss Wilhelmshöhe sollte sich aber als echte Prüfung herausstellen: Regen ergoss sich aus den Wolken wie aus Gießkannen, der einsetzende Sturm lies auch den ein oder anderen Regenschirm zerstört auf dem Weg zurück.
Erinnerungstücke geben ein persönliches Gesicht
Ziemlich durchnässt trat man dann durch einen „Zeittunnel“ in die Ausstellung im zweiten Stock ein.
Konzipiert von dem Büro Homann Güner Blum Visuelle Kommunikation und Ausstellungsgestaltung betritt man die Wohnwelten der 70er. Das besondere an der Ausstellung ist, dass die mhk einen Zeitungsaufruf gestartet und alle Hessinnen und Hessen aufgefordert hat, eigene Bilder und Alltagsgegenstände der 70er Jahre einzureichen. Diese Erinnerungsstücke geben der Ausstellung ein ganz persönliches Gesicht. Das heißt, neben den Objekten aus der Sammlung des Deutschen Tapetenmuseums finden sich auch allerhand Gebrauchsgegenstände und rotstichige Fotos mit zeitgenössischen Tapeten als Hauptakteur. Eine Musterwohnung mit Plakaten in dem allgegenwärtigen Orange zeigt das private Leben der Bewohnerinnen und Bewohner.
Ein haptisches Erlebnis bietet die Ausstellung auch: In diversen Musterkatalogen wie zum Beispiel von „Schöner Wohnen“ aus dem Jahr 1973 kann man etliche Tapeten der damaligen Zeit erfühlen.
more about
Neue Wege geht die mhk mit einem begleitenden Ausstellungsmagazin: „more about“ ist ein reich bebildertes und gut lesbares Journal, dass den Zeitgeist, den politischen Kontext und künstlerische Entwicklungen der 70er Jahre näherbringt.
Der irische Schriftsteller Oscar Wilde hatte bereits eine ganz eigene Beziehung zu Tapeten. Auf seinem Sterbebett soll er im Alter von nur 46 Jahren dem besonders hässlichen Exemplar an der Wand gesagt haben: „Du oder ich. Einer von uns beiden sollte endlich gehen.“ Die Tapete blieb.
[ Gerrit Bräutigam | Redaktion ]
Schloss Wilhelmshöhe
Schlosspark 1 | 34131 Kassel
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Di – So & an Feiertagen 10 – 17 Uhr
Mi 10 – 20 Uhr