© Foto: MHK (Bernd Schoelzchen)
Hessisches Landesmuseum
Eine Reise
durch die hessische Landesgeschichte
Wer es einmal besucht hat, wird ganz sicher ein zweites Mal wiederkommen. Begleiten Sie uns auf einer Reise durch das einzigartige Hessische Landesmuseum. Nach Sanierung und Neuordnung der Sammlung erzählt es faszinierend auf drei Ebenen und 3.800 Quadratmetern von der hessischen Landesgeschichte. Und das anhand von 6.000 Objekten über einen Zeitraum von 300.000 Jahren: von der Altsteinzeit über die Herrschaft der Landgrafen von Hessen bis in die Gegenwart.
Am Scheitelpunkt zweier stadtbildprägender Achsen – der Wilhelmshöher Allee und der Königsstraße – erhebt sich das Hessische Landesmuseum (HLM). Der 1913 zur Tausendjahrfeier Kassels eingeweihte Museumsbau vereint Elemente des Jugendstils mit solchen der Neorenaissance und steht als eines der wenigen ‑erhaltenen Gebäude beispielhaft für die Endzeit des Deutschen Kaiserreichs.
Nachdem das Museum in den vergangenen Jahren saniert und zu seiner ursprünglichen Form zurückgebaut wurde, erstrahlt es nun wieder in altem Glanz. In neuem Glanz präsentiert sich die Sammlung, die in großzügigeren Räumen neu arrangiert wurde und nun weit mehr Exponaten Platz bietet.
Durch das imposante Foyer gelangt man in die Ausstellung, die als thematischer Rundgang chronologisch konzipiert ist. Über drei Ebenen werden die Besucher durch die Landesgeschichte von der Urzeit bis ins Hier und Jetzt geführt.
© Foto: MHK (Lothar Koch)
Unter dem Titel „Unter unseren Füßen“ werden im Erdgeschoss die ältesten Exponate präsentiert. Die Funde von Ausgrabungen in der Region werden als Kontrast in modernem Rahmen ausgestellt. Helle Räume mit Vitrinen beherbergen übersichtlich arrangierte Originalfunde. Zu Beginn der Ausstellung etwa lacht dem Besucher der älteste Nordhesse ins Gesicht, auch wenn sich dieser kaum als Hesse gefühlt haben dürfte. Wie dieser erste Hesse und seine Zeitgenossen ihren beschwerlichen Alltag meisterten, verdeutlichen Waffen und Werkzeuge.
Unter unseren Füßen
Von der Altsteinzeit bis ins frühe Mittelalter
Seit über 300.000 Jahren hinterlassen Menschen vielfältige Spuren auf hessischem Boden. Viele Entdeckungen und Entwicklungen veränderten ihre Lebensumstände dabei nachhaltig. Von den ersten groben Steinwerkzeugen, die unsere Vorfahren hier fertigten, bis zu den christlichen Missionaren war es jedoch ein langer Weg. Die Ausstellung zur Vor- und Frühgeschichte erzählt von einschneidenden Umbrüchen, wie etwa der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht oder der Entdeckung der MetalIverarbeitung. Die archäologischen Funde bieten einen Einblick in längst vergangene Lebenswelten: Sie berichten beispielsweise von der Technik der Faustkeilherstellung, zeigen, wie sich die wohlhabenden Damen der Bronzezeit schmückten, oder bezeugen, mit welchen Schwierigkeiten der Missionar Bonifatius zu kämpfen hatte.
© Foto: MHK (Arno Hensmanns)
Wer wissen will, wie diese Alltagsgegenstände zum Einsatz kamen, der findet an vielen Vitrinen eine Schublade, die den praktischen Nutzen veranschaulicht. So wird die Reise durch Nordhessens Frühgeschichte zur Erlebnistour, wenn man etwa über den ersten ‑Alleskleber stolpert – in grauen Vorzeiten diente Birkenpech als universelles Klebemittel. In der Epoche des Neolithikums (5500 bis 2200 v. Chr.) gibt auch der Hesse sein Nomadendasein auf und wird sesshaft. Wandbilder und Modelle zeigen erste Siedlungen und Häuser, die sich in ihrer Holz-Lehmbauweise kaum von der eines Bauernhauses unterscheiden, wie es noch vor 100 Jahren errichtet wurde.
© Foto: MHK (Volker Staub)
Verlässt man die Ur- und Frühgeschichte, tritt man in einen überdachten Innenhof, der sich über alle Etagen des Museums zieht. Hier erlebt der Besucher einen Zeitsprung, wenn er plötzlich vor landwirtschaftlichen Geräten wie Sicheln, Sensen oder Pflügen steht, oder unter diesen wandelt. Hier wird der architektonische Rahmen für einen thematischen Brückenschlag genutzt. Denn das hier vorherrschende Thema Landwirtschaft ist für sämtliche Zeitalter relevant. Analog informiert ein zweiter Innenhof über regionale Bodenschätze.
Moderne Technik bildet den Kontrast zur Jungsteinzeit. Touchscreens lassen sich vor den Vitrinen verschieben und rufen Informationen zu den jeweiligen Exponaten automatisch auf. Apropos Informationen: Diese erhält man selbstverständlich auch auf seinem Rundgang. Eine thematische Einführung findet sich am Eingang eines jeden Raumes auf Deutsch und Englisch, die Kurzbeschreibungen der einzelnen Exponate gibt’s nur auf Deutsch. Weiterführende Informationen liefert ein ebenfalls zweisprachiger Audioguide.
© Foto: MHK (Arno Hensmanns)
Aus der Schatzkammer der Geschichte
Sogenannte Nautiluspokale erhielten um 1600 ihre höchste Verbreitung. Nach der Entdeckung des Seeweges durch Vasco da Gama 1498 in den indo-pazifischen Lebensraum der Nautili (schalenförmiges Meerestier) lag der Handel längere Zeit überwiegend in portugiesischen Händen. Der Wert der Nautilusschalen wurde zeitweise höher eingeschätzt als der von Gold und Silber. Dadurch, und durch ihre kunstvolle Verarbeitung wurden sie zu besonders geschätzten Kunstkammerobjekten. Dieser Pokal zählt zu einem der frühesten erhaltenen Nautiluspokale. Das exotische Nautilusgehäuse mit seiner polierten Perlmutterschicht diente als Trinkschale und wurde durch seine vergoldete Silberschmiedearbeit kostbar präsentiert.
Der Nautiluspokal wurde bereits 1559 und 1564 unter der Rubrik „Perlemutter“ im Inventar der Silberkammer des Landgrafen Philipp von Hessen verzeichnet. Er war ein Geschenk der bedeutenden Augsburger Kaufmannsfamilie Welser an Philipp den Großmütigen.
Im Verlauf der Bronze- und Eisenzeit kristallisieren sich als Stammväter des gemeinen Nordhessen die Chatten heraus. Der germanische Volksstamm, dem der römische Geschichtsschreiber Tacitus einen „regsamen Geist“ attestiert und den er in Disziplin und Organisationsgeschick mit den Römern vergleicht, lässt sich um 15 n. Chr. auch im Kasseler Becken nieder. Die Gelehrten streiten, ob die Chatten Namensgeber der späteren Hessen sind. Gesichert hingegen ist, dass Papst Gregor VIII. um 738 die Nordhessen erstmals „Hessi“ tauft. Da die Chatten zu den ersten germanischen Völkern zählen die christianisiert wurden, kommt auch dieses Kapitel in der Ausstellung nicht zu kurz. Die Folgen dokumentieren das Frühmittelalter und die Kreuzzüge, die den Rundgang im Erdgeschoss beschließen.
Je weiter man sich in der Zeit bewegt, desto mehr weicht die landgräfliche Sicht einer bürgerlichen. Nun stehen die Städte als Wiege bürgerlicher Macht im Fokus. Vom Zunfthandwerk bis zu den ersten Manufakturen wächst der Einfluss des Bürgertums stetig. Der gesellschaftliche Wandel lässt sich auch an den Aktivitäten der Landgrafen festmachen. Vormals die einzige politische Größe, widmen sie sich nun vermehrt imposanten Bauvorhaben, die teils noch heute zu bestaunen sind. Hofbaumeister Simon Louis du Ry hinterlässt eindrucksvolle architektonische Spuren in Kassel, die ihn zum bedeutendsten Baumeister des Klassizismus machen. Lassen die Landgrafen nicht bauen, widmen sie sich ihren Hobbies. Exemplarisch dafür steht die Drechselmaschine von Wilhelm IX., dem „Drechselfürst“. Es ist wohl die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, die die Herrscher veranlasst, sich in ihrem Geschmack an Vergangenem zu orientieren. Ein herausragendes Beispiel der Antikensehnsucht ist das Marmorbad in der Orangerie. Der von Pierre Étienne Monnot gestaltete repräsentative Saal ist eine perfekte Hommage an den antiken Glanz, als Beleg dienen erste Modelle der Skulpturen.
© Foto: MHK (Arno Hensmanns)
Heizlüfter „Prometheus“
1960, Hessisches Heizlüfter „Prometheus“rs
Mitten im Leben
Vom 19. bis ins 21. Jahrhundert
Seit dem 19. Jahrhundert bestimmt ein rasanter Wandel viele Bereiche des Lebens. So ersetzten Maschinen vielerorts die handwerkliche Produktion. Neue Verkehrs- und Kommunikationsmittel wie die Eisenbahn und das Telefon beschleunigten den Alltag der Menschen. Kriege und Gewaltherrschaft brachten Leid und Zerstörung, bevor im neu gegründeten Bundesland Hessen ein Neuanfang in Demokratie und Wohlstand gelang.
Die Wiedervereinigung 1989/90 rückte Hessen schließlich wieder in die Mitte Deutschlands. Vielfältige Objekte aus der Sammlung Volkskunde erlauben Einblicke in das Ringen der Bürger um politische Mitsprache- und Freiheitsrechte oder veranschaulichen den Übergang vom Handwerk zur Industrie. Zeitzeugenberichte spiegeln den Alltag in Krieg und Nationalsozialismus wider und zeigen, was die Menschen der Region in der jüngeren Vergangenheit bewegte.
Hier erhält die Ausstellung ein Gesicht. Porträts von Zeitgenossen und eine Audio-Einspielung von Zitaten personalisieren den Rundgang. Hier ist man „Mitten im Leben“, wo der Besucher einiges erfährt über die erste kurhessische Verfassung von 1831, die als die liberalste Verfassung des deutschen Konstitutionalismus gilt, die Zeit der preußischen Annexion ab 1866 oder die Emanzipation der Juden. Auch die Industrie- und Eisenbahngeschichte der Region wird beleuchtet. Plastischer sind die Wohn- und Lebenswelten der Menschen. Alltagsgegenstände, Möbel oder Volkskunst werden in unterschiedlichen Formen präsentiert, teils als raumgreifende Installation, etwa der Nachbau einer Bauernstube oder die mit Liebe zum Detail arrangierte Trachtensammlung. Staunend verharrt man vor dem originalgetreuen Nachbau einer Webblattbinderei mit halbautomatisierten Originalmaschinen. In dem engen Raum zwischen den mannshohen Maschinen erhält man ein Gefühl, unter welchen Umständen kleine Unternehmen den Übergang vom Handwerks- zum ‑Industriebetrieb vollzogen. Die Industrialisierung sorgte auch für das Aussterben manches Handwerks. Ein eigener Raum widmet sich den vergessenen Berufen vom Sieb- und Schnallenmacher, über den Seiler bis zum Färber oder Blaudrucker.
© Foto: MHK (Arno Hensmanns)
Weberwerkstatt aus Möhrshausen
Mit der Arbeit nach der Stechuhr entsteht ein ganz neues Phänomen: die Freizeit. Das Kneipen- und Vereinsleben erblüht, zunächst in Form männerbündlerischer Turnerriegen und Gesangsvereine. Nicht in der Kneipe, zieht es die Menschen in der Freizeit ins Grüne, etwa mit dem Fahrrad oder zum Picknick. Es wandelt sich auch die Rolle der Frauen. Einblicke in das veränderte Frauenbild, die Frauenbewegung und Emanzipation sowie erste Berufe der Frauen gewähren prominente Kasseler Vorreiterinnen in einem eigenen Ausstellungsraum.
Von der Kriegsbegeisterung des Jahres 1914 zeugen Exponate wie Elaste-Soldaten als Kinderspielzeug. Wie schnell der Enthusiasmus abebbte, lässt sich anhand der Prothesen für Kriegsversehrte erahnen. Höchstens erahnen lässt sich auch die Indoktrination durch die gleichgeschalteten Medien des Dritten Reiches, wofür die „Goebbels-Schnauze“ steht. Der Blick zur Decke zeigt historische Filmdokumente wie die heimlich gefilmte Sprengung der Edertalsperre. Über Krieg und Wiederaufbau, Entnazifizierung und Vertreibung geben die folgenden Räume Aufschluss. Nach den Amerikanern kommen Heimatvertriebene in Scharen nach Nordhessen, wo es außerhalb der weitestgehend zerstörten Städte aufgrund der ländlichen Struktur viel Platz gibt.
© Foto: MHK (Lothar Koch)
Kaufmannsladen aus den 50er-Jahren
Lässt man das düsterste Kapitel deutscher Geschichte und dessen Folgen hinter sich, bringt der Aufschwung der 50er-Jahre Farbe in die Ausstellung. Den Leuten geht es wieder gut, die Auslagen der Geschäfte – exemplarisch der Nachbau eines Kolonialwarenladens – sind prall gefüllt. Auch daheim wird aufgerüstet. „Was Frauen wollen“ sind die seinerzeit modernen Haushaltsgeräte wie Rührfix und Staubsauger. Natürlich dienen diese Geräte nur als Beispiel für die zunehmende Elektrifizierung der Haushalte, so wie Plattenspieler, Tonbandgeräte oder Radios – vom „Gelsenkirchener Barock“ bis zum avantgardistischen Bauhausstil.
© Foto: MHK (Volker Staub)
Sammlung für Angewandte Kunst
Zum Abschluss trifft man 19 Nordhessen, die anhand von Videos und ausgewählten Exponaten erklären, was für sie an der Region besonders ist. Mit einem Trikot des lokalen Eishockey-Teams oder einem Gartenzwerg mit Herkules schließt die volkskundliche Sammlung tagesaktuell. Und für den Besucher schließt sich ein Kreis: Wurde er eingangs vom ältesten Nordhessen begrüßt, wird er nun von dessen jüngsten Nachfahren verabschiedet.
Hessisches Landesmuseum
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Di – So & an Feiertagen 10 – 17 Uhr
Mi 10 – 20 Uhr
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