Kassel ist wieder Kunstmetropole!
Tauba Auerbach
stellt erstmals in Deutschland aus
15. Juli 2023 – 14. Januar 2024
Einzigartig und inspirierend
Warum Tauba Auerbachs Ausstellung im Kasseler Fridericianum ein absolutes Must-See ist.
Im Fridericianum wird mit den beiden Projekten, der Ausstellung TIDE und der DIAGONAL PRESS LIBRARY, erstmals eine Einzelausstellung von Tauba Auerbach in Deutschland und eine große Premiere der Gegenwartkunst präsentiert. Eine der umfangreichsten Ausstellungen, die im Fridericianum je präsentiert wurde, mit ca. 250 Werken, von denen einige speziell für Kassel kreiert wurden und einen umfassenden Einblick in die Gedanken, Fragestellungen, Zielsetzungen und die daraus resultierende künstlerische Praxis der Künstlerin ermöglichen.
Die Sommerausstellung baut ein Netz von Verbindungen über Medien hinweg auf, vereint die jüngsten Kunstwerke der in New York lebenden Künstlerin und ist somit eine einzigartige Gelegenheit, Auerbachs künstlerische Positionen ausführlich zu erleben, zu erkunden und zu verstehen.
Werke von Tauba Auerbach sind Teil vieler internationaler Kunstsammlungen, darunter des MoMA New York, des Whitney Museum und des SFMoMA in San Francisco. Ihr Name erscheint ganz oben auf der Künstlerliste auf der Website der New Yorker Galerie von Paula Cooper.
Sie war schon in Kassel, zum Beispiel bei der Präsentation der MIMIKRI Intervention von Kerstin Brätsch, eine gute Freundin von Auerbach, und bei der Cuoghi Ausstellung, aber die Ausstellung im Fridericianum ist ihre erste in Deutschland.
Im Fridericianum werden in der Ausstellung TIDE (= Gezeiten) im Obergeschoß, kuratiert von Luise von Nobbe, neue Gemälde und Skulpturen aus den letzten anderthalb Jahren, also sehr neue Positionen, vorgestellt. Für Tauba Auerbach war dies ein Anlass, Ihr breites Spektrum an Themen und Techniken zu präsentieren. Außerdem möchte die Künstlerin auch Brücken schlagen und auch Bezug zur documenta Geschichte nehmen, unter anderen zum Beispiel mit ihren Papierarbeiten, die an Hanne Darboven erinnern, der 2002 die Rotunde während der documenta 11 von Okwui Enwezor gewidmet war. Die Auseinandersetzung mit der documenta ist also auch eine wichtiger Bestandteil der Ausstellung. Weitere Brücken entstehen aber auch zu Eva Hesse (documenta 5 und 6), den Glasobjekten oder Farbproben von Sigmar Polke (documenta 5, 6, 7) oder Charlotte Posenenske (documenta 12) mit der Tauba Auerbach bei der Ausstellung „Reciprocal Score“ in Rom ausgestellt hat. Es gibt ganz viele Parallelen zu historischen Größen der Kunstgeschichte, die wir in Kassel natürlich gut kennen. Es werden auch besondere Termine in Rahmen der Ausstellung speziell zu den Verbindungen zu historischen Positionen der documenta Geschichte, im Fridericianum angeboten, auch in Zusammenarbeit mit der documenta Archiv oder dem documenta Institut.
Tauba Auerbachs Werke sind insgesamt ästhetisch und konzeptionell faszinierend und spiegeln das unerschöpfliche Potenzial ihrer kreativen, formverändernden Energie wider.
Die amerikanische Künstlerin ist nämlich in zahlreichen künstlerischen Disziplinen tätig, zu denen unter anderem Malerei, Fotografie, Skulptur, Künstlerbücher, Typografie, Film, Bildhauerei und Weberei zählen. Die Werke im Fridericianum zeigen viele Kunsttechniken, dabei wurde aber nie ein Pinsel verwendet. Ihr Schaffen bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Konzeptkunst, Abstraktion und Grafik und behandelt Themen wie das Wesen von Zeit, Farbe, Sprache, Logik und Raum. Dabei erweitert sie die konventionellen Erfahrungen von Räumlichkeit und Dimensionalität auf beeindruckende Art und Weise. Ihre Werke, seien es brillante Gemälde oder Werke mit mathematischem Flair, sind verspielt und zugleich tiefgründig konzeptionell, denn irgendwie scheint sie mehr von der Mathematik als von der Kunstgeschichte beeinflusst.
Eine sehr spannende Position also, ganz anders als die von der Roberto Cuoghi Ausstellung, die aufwühlend, aufregend war: Tauba Auerbach ist dagegen still, meditativ, reduziert sowie auch bunt und fröhlich.
Tauba Auerbach wurde 1981 in San Francisco geboren und wuchs dort auf. Den deutsch-klingenden Namen verdankt sie ihrer Mutter, die deutschen Wurzel hat. Später, während ihres Kunststudiums an der Stanford University, verbrachte Auerbach ein Jahr damit, rudimentäre Maschinen in der Abteilung für Maschinenbau zu entwerfen – „wahrscheinlich meine beste Erfahrung an dieser Schule“, sagte sie. Auerbach, die sich für Typografie interessierte, verbrachte einen Teil ihres Studiums und arbeitete einige Jahre, direkt nach ihrem BA Abschluss in Visual Art an der Stanford University, als Schildermaler*In bei New Bohemia Signs in San Francisco. 2008 zog sie nach New York, wo sie auf der Whitney Biennale 2010 mit ihren „Fold“-Gemälden für Aufsehen sorgte.
Sie lebt und arbeitet nun in New York. Über San Francisco sagte sie einmal „Es ist ein viel wärmerer, nachsichtigerer Ort, und ich freunde mich immer wieder mit Leuten aus Kalifornien an, weil ich so veranlagt bin. Aber gleichzeitig ist es so selbstgefällig; Da ist es fast zu gemütlich dort. Man hat nicht das Gefühl, dass die Menschen sich selbst oder anderen herausfordern.“ Schon diese Aussage kann als Ausdruck ihres forschenden Temperaments gelten: Sie wollte mehr erleben als nur das unverbindliche Miteinander in der liberalen Metropole und beschloss, sich gezielt auf die Suche nach neuen Herausforderungen zu begeben, neue Wege einzuschlagen. Unbekannte Aspekte entdecken, aus ihrer Komfortzone heraus und mit neuen Techniken und kreativen Ideen experimentieren, durch neue Erlebnisse wachsen und reifen, versuchen zu verstehen wie die Welt funktioniert, ein Blick in etwas was wir nicht sehen können, in der subatomare Mikrokosmen werfen: das macht Tauba Auerbachs künstlerische Forschung aus. Sie ist also, wie Herr Moritz Wesseler, Direktor des Fridericianums, gut darstellt „eine künstlerische Forscherin“.
Tauba Auerbach benutzt nicht das Pronom „ich“ als Künstlerin sondern spricht von „they“, „sie“ Plural und genderneutral, als ob man von einem Team oder künstlerischen Positionen sprechen würde.
Sie treibt tiefe Recherchen in verschiedenen Bereichen und ihre Werke sind wie Abstraktionen und Gedankenspiele zu ihren Forschungen, einerseits von einer innovativen, zum Teil ungewohnten Ästhetik und Formensprache, andererseits von einer bemerkenswerten Vielfalt geprägt. So haben etwa das stete Experimentieren, die bewusste Betonung handwerklicher Techniken wie das Marmorieren oder die Glasgießerei, die Nutzung von maßgefertigten Werkzeugen, die serielle Produktion sowie das Wechselspiel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit einen nicht unwesentlichen Anteil. Dies begründet auch Auerbachs souveräne Stellung im zeitgenössischen Kunstdiskurs.
Auerbach, lebenslange Studentin der Wissenschaft, Mathematik und Physik, befasst sich in ihrer Arbeit mit Struktur und Konnektivität auf der mikroskopischen bis universellen Skala. Mit einer Vielzahl von Medien, die von Malerei und Fotografie bis hin zu Buchdesign und musikalischer Darbietung reichen, erkundet Auerbach die Grenzen unserer Strukturen und Logiksysteme (sprachlich, mathematisch, räumlich) und die Punkte, an denen sie zusammenbrechen und sich für Neues, visuelle und poetische Möglichkeiten öffnen.
Auerbach spürt den sichtbaren und unsichtbaren Verbindungen, Strukturen und Rhythmen nach, die unser Universum prägen. Hierzu setzt sie sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie Mathematik, Physik, Anatomie, Linguistik und Philosophie auseinander, deren Regeln und Vorgehensweisen sie nicht selten in einer unkonventionellen, eigensinnigen Weise für sich in Anspruch nimmt.
Ihre Arbeit ist streng konzeptionell und beschäftigt sich oft mit der Art von kniffliger Mathematik, die viele von uns ihr Leben lang gemieden haben: raumfüllende Kurven, String Theorie, Fluiddynamik, die vierte Dimension. Es kann aber auch elegant schlicht, poetisch und körperlich sein, eine Art, abstrakte Ideen durch den Körper zu verarbeiten.
Tauba Auerbachs interdisziplinäre Arbeit fordert uns auf, die Funktionsweise von Strukturen, Mustern und Gesten in komplexen und riesigen Maßstäben zu untersuchen. Auerbach testet oft die Grenzen rationaler Systeme und wird von der Neugier getrieben, wo diese etablierten Prinzipien zusammenbrechen oder subjektiv werden. Die Arbeit untergräbt das, was Künstler den „habituierten Blick“ nennen, und beschäftigt sich mit der Frage, was und wie wir wahrnehmen, und erforscht die Existenz eines mehrdimensionalen Raums und die Resonanzfähigkeit bestimmter Formen. Auerbach untersucht diese Ideen, indem sie in Zeichnungen, Skulpturen und Gemälden manipuliert, sie in maßgeschneiderten Produktionswerkzeugen einsetzt und sie in Objekte integriert, mit denen man leben oder die man tragen kann.
Tauba Auerbach ist alles andere als eine oberflächliche Schönheits-Produzentin. Sie ist vielmehr eine ambitionierte und fokussierte Künstlerin, die sich leidenschaftlich der Erforschung von Formen und Farben widmet. Dabei ist sie eine wahre Nonkonformistin und Einzelgängerin in ihrem Fachgebiet und geht mit kühler Präzision vor. Ihre Expeditionen in die Welt der Kunst sind vielleicht nicht immer leicht nachvollziehbar und erfordern ein gewisses Maß an Abenteuerlust. Aber genau das macht ihre Arbeit so einzigartig und faszinierend. Sie hat einen Weg gefunden, ihren beiden Leidenschaften, Naturwissenschaft und Kunst, Ausdruck zu geben und gleichzeitig andere Menschen damit zu begeistern.
Und wer weiß? Vielleicht wird ihre Arbeit irgendwann einmal dazu beitragen, dass noch mehr Menschen Freude an Naturwissenschaft, Mathematik und den schönen Künsten finden werden.
Die Ausstellung TIDE:
Rotunde
Glasskulpturen
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Spontaneous Laces
2022 – 2023
(Serie – Im Ofen geformtes Glas in Aluminiumarmatur)
Die ästhetischen Effekte von Oberflächenspannung und Temperatur sind Gegenstand einer Reihe von Glasskulpturen, die treffend den Namen „Spontaneous Lace“ (Spontane Spitzen) tragen. Vertikal montiert wirken die Objekte federleicht und dekorativ und ragen wie Rückenflossen aus ihren Aluminiumarmaturen hervor.
Diese Arbeiten, eingebettet in speziell gefertigte Aluminiumarmaturen, zeigen sehr gut wie Tauba Auerbach nicht von menschengeschaffenen Strukturen gelenkt wird sondern von Eigenleben und Dynamiken der Materie, denn sie umfassen die Elemente des Zufalls und des Risikos, die der Glasherstellung innewohnen. So entstehen im Fusion Prozess verschiedene Strukturen. Auerbach platziert die „Glas Spitzen“ auf dickeren massiven Glasstücken, um die zarten Strukturen zu bewahren, dann kommen die Formen in den Ofen und verschmelzen, so dass ganz individuelle und verschiedene Strukturen entstehen, die das Moment der Aggregation widerspiegeln.
Wie Auerbach sagt: „Glas ist sehr demütigend. Es ist wählerisch und kann Ihren Körper verletzen und Ihnen das Herz brechen.“ Diese Glasobjekte sind unbestreitbar auffällig – sie verschmelzen frei fließende und zarte, spitzenartige Muster aus satten, erstarrten Farben.
Moritz Wesseler ergänzt, dass „diese Objekte, so wie viele Arbeiten von Tauba Auerbach, „zwischen den Stühlen sitzen“, weil man sie weder als Skulpturen noch als Malerei begreifen kann.
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Mittelsaal
Videos
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Pilot Wave Induction IV (I + III)
2023
Das Dualismus von Klang und Bildern erzeugt werden kann, im Gegensatz zu den komplexen physikalischen Theorien dahinter, ähnlich der Quantentheorie, ist beeindruckend. Zu sehen sind in diesem Film kleine Teile, Kügelchen, die auf eine Flüssigkeit springen, sich aber nicht mit dieser vermischen, und Wellen in einem faszinierenden Spiel erzeugen. Es geht Tauba Auerbach aber nicht nur darum Wissenschaft zu veranschaulichen oder zu erklären, sondern Gegebenheiten, Momente einzufangen und wiederzugeben. Das Thema Wellen und dessen Dynamiken, das sich durch die ganze Ausstellung zieht, erklärt auch der Titel der Ausstellung TIDE (=Gezeiten).
Die Arbeit, die auch schon im MoMA in New York präsentiert wurde, wird in Kassel auf 4 Bildschirmen gezeigt, so dass, wenn man im Zentrum des Saals sitzt, man eine meditative Stimmung erfährt und sich unser Mikrokosmos vorstellen kann.
Man könnte den Eindruck bekommen, dass es sich um am Computer generierte Animationen handelt aber das ist nicht der Fall: Tauba Auerbach führte diese Experimente selber durch, stellte sie in ihrem Atelier in New York mit Flüssigkeit, Silikontropfen und Lautprechern nach, hat dann die Momente gefilmt und schließlich Licht, Schärfe und Perspektive der Kamera verändert.
Raum links
Bilder
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Grain
2018 — 2022
Extended Objects
2018 — 2022
Verführerische Abstraktionen, die Raum für Interpretationen öffnen. Dabei geht es um eine analytische Form der Malerei und um Kunsthandwerk, das experimentell mit neuen Werkzeugen umgeht, ein Spiel mit Instrumenten und Farben, mit Materie und Zufall, eine Art „abkratzen“ oder „abdrücken“ mit einer Stempelung in Grain oder „abtropfen lassen“ in den Extended Objects. Damit entstehen Ergebnisse, die diverse metaphysische Assoziationen ergeben und eine ganz eigene Perspektive auf die Welt zeigen.
Die Arbeiten wirken erfrischend, lebendig und die Oberfläche scheint zu vibrieren.
Tapeten
(Einmalige Unikate, extra für die Räume in Fridericianum gestaltet, die aber in den USA gedruckt und gefertigt wurden.)
Tauba Auerbach: TIDE
(Installationsansicht / Installation view: Fridericianum, Kassel)
Foto / Photo: Andrea Rossetti © Tauba Auerbach, documenta und Museum Fridericianum gGmbH
Kinetisches Objekt 7S, 7Z, 1S, 2Z
2019
(Stahl, Glas, Seife, Blei, Aluminium, Schlauchpumpe, PVC, Motoren, Solarzellen, Batterie, Elektronik, Strom)
Tauba Auerbach: TIDE
Mit dem Werk / With the work:
7S, 7Z, 1S, 2Z, 2019
(Installationsansicht / Installation view: Fridericianum, Kassel)
Foto / Photo: Andrea Rossetti © Tauba Auerbach, documenta und Museum Fridericianum gGmbH
Eine kinetische Skulptur, eine ungewöhnliche „Maschine“, die die Künstlerin auch schon in SFMoMA 2022 präsentiert hatte und deren naturwissenschaftliche Forschungen im Hintergrund stehen. Auerbach verarbeitet in dem Kunstwerk ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse auf schafft eine meditative Installation, die bewusst einzeln in dem Raum präsentiert wird, um eine Möglichkeit der Betrachtung, geistige Reflektion und Selbstbesinnung in der Ausstellung zu erlauben. Besucher staunten über das scheinbar Unmögliche: Wie ist es möglich, eine solche fragile Seifmembrane zu kreieren und zudem noch beweglich zu gestalten? Wie kann man Naturwissenschaft mit Kunst vereinen?
Tauba Auerbach: 7S, 7Z, 1S, 2Z, 2019
Stahl, Glas, Seife, Blei, Aluminium, Schlauchpumpe, PVC, Motoren, Solarzellen, Batterie, Elektronik, Strom / Steel, glass, soap, lead, aluminum, peristaltic pump, pvc, motors, solar panels, battery, electronics, current
Dimensionen variabel / Dimensions variable
© Tauba Auerbach, Charles Benton (Foto / Photo)
Courtesy the Artist’s Institute at Hunter College, New York
Eine sehr spannende, faszinierende, ruhige und meditative Arbeit – fast in der Tradition von James Turrell beispielsweise – eine Art „Seifmembrane“, eine Seifenblase, die sich in Rhythmus bewegt, hoch und runter, langsam ausdehnt und schließlich wieder zusammenfällt. Die Seifenblase wird Teil des Skulpturs, ganz fragil wie das Leben selbst, das sich wiederholt bespielt: eine Darstellung der Fragilität des Lebens, des ewigen Zeitzyklus von Werden und Vergehen, den das Menschsein widerspiegelt. Die Bewegung selbst ist sehr nah an Bewegungen unseres Körpers, wie ein Atmen, ein Herzenschlag, eine Bewegung die Leben ermöglicht. Und immer wieder kommt der Bezug zur Zeit, die auch in der Ligature Drawing Arbeiten dargestellt wird, denn Tauba Auerbach hat die Ausstellung thematisch symmetrisch wie ein Dialog konstruiert.
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Raum rechts
Glasperlenarbeiten
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Org
2022 — 2023
(Serie – Geflochtene Glasperlen)
Tauba Auerbach: Org (Detail), 2023,
Geflochtene Glasperlen
6,4 × 95,3 × 35,6 cm
Sammlung Olivier und Desiree Berggruen
© Tauba Auerbach, Steven Probert (Foto)
Courtesy Paula Cooper Gallery, New York
Die ausgestellte Werkgruppe, auf Metalltischen präsentiert, besteht aus aufwändig geflochtenen tschechischen Glasperlen. Die handgefertigten Skulpturen aus kugelförmigen Perlen erinnern an mathematische Phänomene aber auch an gewellte Halsbänder, Halsketten oder DNA-Stränge. Zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, wirken sie aus der Ferne fast schematisch, doch aus der Nähe unvollkommen lebendig.
So wie sie jede der einzelnen Glasperlen, aus denen ihre „Org“-Skulpturen bestehen, aneinanderreiht, um ein zusammenhängendes Ganzes zu schaffen, trägt jedes Auerbach Kunstwerk zu einem immer größer werdenden und verwickelten Faden thematischer Verbindungen bei, die sie in ihrer Praxis erforscht. Auch hier kann man Bezüge zum documenta Künstler Carl Andre (documenta 4, 6, 7), ein wichtiger Vertreter der Minimal Art, finden, der auch in der Galerie Paula Cooper, wie Tauba Auerbach, vertreten ist, von der Verpflichtung zu reiner Materie in klaren geometrischen Anordnungen geleitet und Skulpturen von strenger Einfachheit aus Ziegel, Bauholz oder Metall in Formen angeordnet.
Zwischen ihren geometrischen Konstruktionen, die sowohl auf mathematische als auch natürliche Welten verweisen, ihrer Ähnlichkeit mit Spitzenkragen und ihrer zarten aber starken Komposition, stehen diese Stücke in einem spürbaren Dialog mit ihren ausgestellten Gegenstücken der Serie „Foam“.
Gemälde
Foam
2023
(Bilder Serie – Acrylic auf Dibond)
Eine Reihe von Gemälden in der Ausstellung basiert auf mikroskopischen Ansichten von Schaum (wieder Wasser), die aus der Nähe betrachtet, ganz abstrakt wirken: Winzige erhabene Punkte aus Acrylfarbe – fast wie in Pointillismus Gemälden, streng geometrisch wohldurchdacht und durchkomponiert, aber ornamental wirkend im Bildaufbau – artikulieren schattige Krater und Zellen in einer Palette, die von Pastell bis Grell reicht. Es ist verlockend, solche Darstellungen als kompositorisch zufällig zu betrachten, aber diese sorgfältige Wiedergabe unterstreicht die zugrunde liegende Ordnung der sprudelnden, auftauchenden Formen. Die fließenden Formen spiegeln sich in Auerbachs Gemäldeserie wider, deren Entstehungsprozess vielschichtig ist. Sie fotografiert zunächst Seifenlauge, Blasen und Schäume durch ein Mikroskop und erstellt mithilfe digitaler Software projektionsfähige Dateien. Auerbach besprüht dann einen nebligen Hintergrund mit mehreren Schichten farbiger Punkte. Anschließend, basierend auf den Pixeln, die in der endgültigen Projektion erscheinen, schafft Auerbach mit Zahnstocher oder Wattestäbchen eine akribische Landschaft aus Farbpartikeln, die in Zeit und Raum schweben. Ihre detaillierte und sorgfältige Schichtung führt zu Gemälden, die vor Energie vibrieren, so sehr, dass es sich anfühlt, als wären sie selbst lebende Organismen. Diese Qualität wird durch ihre kompositorische Ähnlichkeit mit molekularen Bindungen und Zellformen verstärkt und bilden eine geniale Verbindung der Strukturen.
Tauba Auerbachs Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften dient auch hier weiterhin als Inspirationsquelle und verleiht ihrem kreativen Ansatz ein einzigartiges Element.
Papierarbeiten
Ligature Drawing
2016 — 2023
(Serie – Tinte auf Papier mit Datumsstempel)
Tauba Auerbach: TIDE
Mit Werken aus der Serie / With works from the series: Ligature Drawing, 2016–2023
(Installationsansicht / Installation view: Fridericianum, Kassel)
Foto / Photo: Andrea Rossetti
© Tauba Auerbach, documenta und Museum Fridericianum gGmbH
Als ehemalige Schildermalerin adaptierte Auerbach in ihren frühen Werken Elemente der Typografie und Kalligrafie, um abstrakte Kompositionen zu schaffen, die sich an den inneren Formen von Buchstaben orientierten.
Sie ist durch ihre kalligrafischen Bilder, die an gezeichnete Buchstaben erinnern und zwischen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit schwanken, bekannt geworden. Diese Werke stellen grundlegende Fragen zur Sprachwissenschaft und dem Verhältnis von Inhalten der sprachlichen Zeichen und ihre Bedeutung. Durch die Variation von Buchstaben entstehen neue Bedeutungszusammenhänge oder es bleiben lediglich dekorative Ornamente übrig. Ist die gezeichnete Figur ein Buchstabe oder wird diese Assoziation erst durch das Wiedererkennen hergestellt? Wird die gesprochene Sprache im Zeichen manifestiert oder verliert die geschriebene Sprache durch die Übertragung ihre eigentliche Bedeutung? Die Arbeiten von Auerbach enthalten auch den fast aufgehobenen Gegensatz von digital und analog.
Auerbach erfasst, je nachdem, wo, an welchem Ort sie sich aufhält, eine Zeichnung und datiert sie sie mit einem Datumstempel: sie analysiert und hält somit die landestypisches Schrift, auch hier in Kassel, mit ihrem Datumstempel fest. Hier wird man mit dem Aspekt des Schreibens und der Zeit auseinandergesetzt.
Die DIAGONAL PRESS LIBRARY
Im Jahr 2013 gründete Tauba Auerbach das Verlagsprojekt DIAGONAL PRESS, welches sich zum Ziel gesetzt hat, den Experimenten in den Bereichen Typografie, Buchgestaltung und ‑produktion sowie angewandter Kunst einen stetig wachsenden Raum zu geben. Im Rahmen der DIAGONAL PRESS LIBRARY, der „Bibliothek“ von Tauba Auerbach, präsentiert das Fridericianum im Erdgeschoss eine Auswahl an Drucksachen und Objekten, die bei Diagonal Press veröffentlicht wurden und Besucher dazu einladen, zu entdecken und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein vielseitiges Spektrum an Produkten, darunter Publikationen, Bücher, Poster, aber auch Gebrauchsgegenstände, die auch benutzt werden können, wie Fahnen, Spielzeuge, Accessoires, Schmuck oder auch Socken, werden in unlimitierten und unsignierten Auflagen produziert, um der breiten Öffentlichkeit, darunter auch Kindern, zugänglich zu sein und für viel Freude sorgen. Eine Ausstellung, die auch zu Aktivierung und Partizipation einlädt. Selten konnte man in einer Ausstellung Kunstwerke nicht nur anfassen sondern erleben und sogar zum spielen benutzen! Einige Auerbach Artikel werden sogar als Kasseler Sonderedition, nicht als Merchandising Produkte, sondern als wirkliche, erschwingliche, unsignierte Kunstobjekte zu erwerben sein, denn die Künstlerin möchte, dass ihre Objekte von vielen Menschen erlebt und auch benutzt werden können.
Andreas Hoffmann, neuer Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, betonte, dass das Projekt DIAGONAL PRESS LIBRARY auch eine wunderbare Referenz zu einem Kapitel in der Geschichte des Fridericianums darstellt, denn das Fridericianum war nicht nur eines der ersten öffentlichen Museen in Europa, sondern darüber hinaus auch die Bibliothek der Landgrafen von Hessen-Kassel und dann die Hessische Landesbibliothek, also auch der Ort wo Jacob und Wilhelm Grimm in ihrer Kasseler Zeit gewirkt haben. Die Fridericianum Bibliothek, die bis September 1943 noch 350.000 Bücher zählte, fiel leider im Zweiten Weltkrieg den Flammen zum Opfer. Somit erinnert die DIAGONAL PRESS LIBRARY auch an der Geschichte des Fridericianums.
Außerdem stellt die DIAGONAL PRESS LIBRARY eine besondere Form und ein besonderes Format der Kunstvermittlung dar. Im Rahmen dieses Projekts greifen auch die innovativen Initiativen der neuen Leiterin der Abteilung Bildung und Vermittlung im Fridericianum, Alena Nawrotzki, die eine zusätzliche Kinder-Vernissage organisiert hatte und Workshops für Kinder anbieten wird.
Tauba Auerbach: Pilot Wave Induction II, 2018 Zwei Bände, je 60 Seiten HP Indigo-Druck auf ungestrichenem Papier, Scheibeneinband aus Metall und Kunststoff, vierteilige Box nach Maß, Klettverschluss, Aufkleber 33,02 × 17,78 × 3,81 cm © Tauba Auerbach, Steven Probert (Foto) Courtesy Diagonal Press, New York
Tauba Auerbach: Pilot Wave Induction II, 2018 Zwei Bände, je 60 Seiten HP Indigo-Druck auf ungestrichenem Papier, Scheibeneinband aus Metall und Kunststoff, vierteilige Box nach Maß, Klettverschluss, Aufkleber 33,02 × 17,78 × 3,81 cm © Tauba Auerbach, Steven Probert (Foto) Courtesy Diagonal Press, New York
Tauba Auerbach: Reciprocal Score, 2015 8 Akkordeon gefaltete Seiten 10 lb Plotter geschnittenes Bristolpapier, handgestempelt mit eigenen Gummistempeln im Haus, Krawattenbindung aus Baumwollköper 29,21 × 21,91 cm © Tauba Auerbach, Steven Probert (Foto) Courtesy Diagonal Press, New York
Tauba Auerbach: Reciprocal Score, 2015 8 Akkordeon gefaltete Seiten 10 lb Plotter geschnittenes Bristolpapier, handgestempelt mit eigenen Gummistempeln im Haus, Krawattenbindung aus Baumwollköper 29,21 × 21,91 cm © Tauba Auerbach, Steven Probert (Foto) Courtesy Diagonal Press, New York
[ Sonja Rosettini ]
Friedrichsplatz 18 | 34117 Kassel
Fon: 0561 707270 | E‑Mail: info@fridericianum.org
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Di – So & an Feiertagen 11 – 18 Uhr
Do 11 – 20 Uhr