Sys­tem­feh­ler²
Aus­stel­lungs­er­öff­nung am 10.Juni 2022
Es ist viel los an die­sem son­ni­gen Frei­tag in der docu­men­ta-Stadt. Des­halb eröff­ne­te die Cari­ca­tu­ra ihre Aus­stel­lung bereits um 17.00 Uhr, um nicht mit ande­ren Ver­an­stal­tun­gen zu kol­li­die­ren. Kurz vor Beginn der Eröff­nungs­re­de von Mar­tin Sonn­tag, dem Lei­ter der Cari­ca­tu­ra Kas­sel, tum­meln sich vie­le bekann­te Gesich­ter aus der Car­toon- und Sati­re­sze­ne auf dem Platz vor dem Kulturbahnhof.

Domi­nik Bau­er, Han­nes Richert

Mathi­as Noll, Sig­gi Bött­cher, Ger­hard Glück

Susan­ne Völker

Achim Frenz und Boris Mijatovic

Bert­ram Hilgen

Die Men­schen des Kas­se­ler Kul­tur­be­triebs sind hier in der Min­der­heit. Erfri­schend unkon­ven­tio­nell geht es zu, die Stim­mung ist gelöst und im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Aus­stel­lungs­er­öff­nun­gen hat man hier nicht das Gefühl von fast sakra­ler und erha­be­ner Atti­tü­den. Man genießt die gemein­sa­me Zeit mit aller­hand ver­ba­len Nich­tig­kei­ten und Flach­se­rei­en und hat Freu­de an der Komi­schen Kunst, die im eli­tä­ren Kunst­be­trieb immer noch nicht rich­tig ernst genom­men wird. War­um eigent­lich nicht?

Kla­ar, Nix darf man

Metz, Nazis­sen

Mario Lars, Gute alte Zeit

Im Rah­men­pro­gramm unse­rer Aus­stel­lung gibt es auch die­ses Jahr wie­der die docu­men­ta zu sehen“, wie Sonn­tag in sei­ner Eröff­nungs­re­de bemerkt. Tat­säch­lich hat die Cari­ca­tu­ra die­ses Jahr wie­der groß auf­ge­fah­ren und auf dem Rai­ner-Die­richs-Platz eine tem­po­rä­re Aus­stel­lungs­hal­le errich­tet. Auf 450 Qua­drat­me­tern geben Künst­le­rin­nen und Künst­ler welt­po­li­ti­sche Emp­feh­lun­gen der Komi­schen Kunst ab. „Wer schon mal ein Car­port gebaut hat, weiß, was so ein Bau bedeu­tet“, so Mar­tin Sonn­tag weiter.

Ukrai­ne, Dorthe Land­schulz, Backen

NEL, Nicht Mei­ne Influencerin

Ukrai­ne, Harm Ben­gen, Rei­se nach Kiew

Vor fünf Jah­ren prä­sen­tier­te die Cari­ca­tu­ra bereits Car­toons zur Schief­la­ge der Welt, nichts­ah­nend, dass dies erst der Anfang und nicht der Höhe­punkt des Irr­sinns in der Welt war. Der rasant fort­schrei­ten­de Kli­ma­wan­del, das Erstar­ken rech­ter Kräf­te auf der gan­zen Welt und zu allem Übel ein wahn­sin­ni­ger Des­pot, der einen Angriffs­krieg in Euro­pa führt; die Ziel­stre­big­keit, in der die Mensch­heit ihre eige­ne Ver­nich­tung vor­an­treibt, ist bemer­kens­wert. Die Coro­na-Kri­se wirk­te für all das als Brand­be­schleu­ni­ger und zeig­te, wie schnell funk­tio­nie­ren­de Sys­te­me ins Wan­ken gera­ten können.

Beck, E‑Stromtarif wählen

Ukrai­ne, Mario Lars, Ukraine-Sieg

Polo, Kli­ma­leug­ne­rin 4.0

Der Krieg war auch der Aus­lö­ser für ein „Ukrai­ne spe­zi­al“, das man bereits seit März digi­tal besu­chen kann. Im Time­line-For­mat zeich­nen sie die Gescheh­nis­se unter www.caricatura.de/systemfehlerhoch2/ukraine-spezial nach. Die digi­ta­le Samm­lung zielt dabei nicht auf unan­ge­mes­se­ne Lacher ab, son­dern spielt ande­re Stär­ken der Komi­schen Kunst aus: die Fähig­keit zur Ana­ly­se, zum Kom­men­tar und zur Kri­tik. Nun sind vie­le der Wer­ke auch Teil der Ausstellung.

Die offi­zi­el­le Eröff­nungs­re­de blieb dem Sati­ri­ker und ehe­ma­li­gen Chef­re­dak­teur der Tita­nic Oli­ver Maria Schmitt vor­be­hal­ten: „Die gute Nach­richt gleich mal vor­ne­weg: Donald Trump und Wla­di­mir Putin wer­den noch in die­sem Win­ter heim­lich in Rom hei­ra­ten, Lui­sa Neu­bau­er und der Papst fur­zen dazu den Hoch­zeits­marsch, und alle zusam­men sind dabei live auf Insta­gram und auf Crack. Das bedeu­tet vor allem eines: Vor­freu­de total!…Wenn angeb­li­che ‚alter­na­ti­ve Wahr­hei­ten‘, die von Regie­rungs­spre­chern allen Erns­tes ver­brei­tet wer­den, ganz offen­kun­dig schlecht aus­ge­dach­te Wit­ze sind, dann soll­ten gut aus­ge­dach­te Wit­ze und noch bes­ser gezeich­ne­te Car­toons ab jetzt nur noch eines zei­gen: die rei­ne, schö­ne und unver­stell­te Wahr­heit“.
Er ent­larv­te mit gut gesetz­ten ver­ba­len Peit­schen­hie­ben die Schein­hei­lig­keit der poli­ti­schen Gran­den und uns aller. (sie­he unten)

Die Aus­stel­lung macht deut­lich, dass die Komi­sche Kunst ein gutes Mit­tel ist, das Leben zu erklä­ren, uns allen einen Spie­gel vor­zu­hal­ten und, wenn es rich­tig gut läuft, Res­sen­ti­ments gegen­über allem Frem­den abzu­bau­en und aktiv aufzuklären.

[ Ger­rit Bräu­ti­gam | Redaktion ]

Offi­zi­el­le Eröff­nungs­re­de des Sati­ri­kers und ehe­ma­li­gen Chef­re­dak­teurs der Tita­nic, Oli­ver Maria Schmitt.

Oli­ver Maria Schmitt, ehe­ma­li­ger Chef­re­dak­teur der Titanic

Null Sys­tem­feh­ler­to­le­ranz!

War­um Lie­be, Bier und hoch­kom­ple­xe Poin­ten­da­ten­ban­ken völ­lig unlus­tig sind.

Die gute Nach­richt gleich mal vor­ne­weg: Donald Trump und Wla­di­mir Putin wer­den noch in die­sem Win­ter heim­lich in Rom hei­ra­ten, Lui­sa Neu­bau­er und der Papst fur­zen dazu den Hoch­zeits­marsch, und alle zusam­men sind dabei live auf Insta­gram und auf Crack. Das bedeu­tet vor allem eines: Vor­freu­de total!
Scha­de nur, dass sich die­se viel­ver­spre­chen­de Mel­dung gera­de nicht veri­fi­zie­ren lässt. Dabei hat der Chat­bot, der sie aus­ge­spuckt hat, hoch und hei­lig ver­si­chert, dass die Mel­dung aus­schließ­lich auf seriö­sen und vali­den Fak­ten beru­he. Also was nun – glau­ben wir das? Oder ist das Gan­ze nur ein Witz? Nur lächer­lich, aber nicht lus­tig?
In der sehr nahen Zukunft, das haben Exper­ten zuver­läs­sig aus­ge­rech­net, wird Komik nicht mehr von Men­schen gemacht, son­dern von Sprach­pro­gram­men gene­riert wer­den, von Bots und Künst­li­chen Intel­li­gen­zen (KI). Schon jetzt kön­nen Hoch­leis­tungs­com­pu­ter auf Befehl lus­ti­ge Bil­der pro­du­zie­ren. Hoch­kom­ple­xe Algo­rith­men erstel­len hoch­ko­mi­sche Bil­der, die bei­spiels­wei­se einen Stuhl mit einer Gur­ke drauf zei­gen oder eine poli­ti­sche Kari­ka­tur in der „Süd­deut­schen Zei­tung“ oder ein­fach nur ein Foto von Gui­do Cantz.
Auch die rech­ner­ge­stütz­te Ver­fer­ti­gung seman­ti­scher Scher­ze ist bereits mög­lich. Einer der bes­ten rech­ner­ba­sier­ten Oneli­ner geht so: „Neu­lich sag­te ich zu mei­ner KI, dass ich Bier lie­be.
Dar­auf frag­te sie: ‚Was ist das?‘
Und ich so: ‚Bier, das ist ein alko­ho­li­sches Erfri­schungs­ge­tränk auf Getrei­de­ba­sis.‘
Und die KI: ‚Nein, was ist Lie­be?‘“
Für den Anfang gar nicht so schlecht, möch­te man mei­nen. Doch lässt man den Com­pu­ter mal die unge­heu­ren Poin­ten­da­ten­ban­ken der ver­stor­be­nen Wit­ze­reiß­er­le­gen­de Fips Asmus­sen durch­fors­ten, dann kom­men sofort sehr vie­le sehr ähn­li­che Gags zum Vor­schein, sie tre­ten zuta­ge und zunacht. Und die hat Asmus­sen schon vor Jahr­zehn­ten ganz allein errech­net, nur mit semi­künst­li­cher oder auch gar kei­ner Intel­li­genz – mit dem spre­chen­den Kopf, der unter sei­nem dem Mini­pli appli­ziert war, ganz allein, ohne Com­pu­ter.
Was aber wird gesche­hen, wenn die KI mal ver­sagt? Wenn sich ein Pro­gram­mier­feh­ler ins Sys­tem ein­schleicht, wenn das Poin­ten­pro­gramm sich auf­hängt und plötz­lich einen Gui­do Crantz aus­spuckt, der mit einer Gur­ke auf einem Stuhl sitzt und dabei aus der Süd­deut­schen vor­liest?
Wie bit­te? Das sieht dann aus wie das ganz nor­ma­le Fern­seh­pro­gramm an einem Sams­tag­abend? Nun gut, das ist wahr­lich erschre­ckend. So zeigt dann allein schon die­ses fürch­ter­li­che Gedan­ken­ex­pe­ri­ment, war­um man Sys­tem­feh­ler unbe­dingt ver­mei­den soll­te.
Den­noch hat die voll­au­to­ma­ti­sier­te Poin­ten­pro­duk­ti­on einen gewal­ti­gen Vor­teil: Rie­si­ge Men­gen ungu­ter Wit­ze kön­nen auch sofort wie­der gelöscht wer­den, wie etwa den von dem altern­den Kaba­ret­tis­ten, der auf die Büh­ne geht, um dar­über zu jam­mern, dass man „nichts mehr“ sagen kön­ne und kei­ne Wit­ze mehr über die eige­ne häss­li­che Frau, über begriffs­stut­zi­ge Aus­län­der, über „Zigeu­ner­schnit­zel“ oder gar „Neger­küs­se“ machen dür­fe. Wirk­lich schlimm. So wie sich unse­re Gesell­schaft jedoch ver­än­dert, so ändern sich auch ihre Wit­ze. Wäre noch schlim­mer, wenn das nicht so wäre. Kei­ner will doch wirk­lich wer­den oder blei­ben wie Die­ter Nuhr jetzt schon ist.
Sol­che Wit­ze­ma­cher haben eben­so wenig eine Zukunfts­chan­ce wie die humo­ris­ti­schen Aus­lauf­mo­del­le Wla­di­mir Trump und Donald Putin. Bei­de been­de­ten ihre Kar­rie­re mit extrem schlech­ten Wit­zen: Der eine ließ das Kapi­tol stür­men, der ande­re die Ukrai­ne – im Des­po­ten­ran­king also ein kla­res Unent­schie­den, bei­de schei­den sofort aus und müs­sen nun in der Straf­ecke auf ihren Pro­zess war­ten.
Der­lei kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge wer­den einer her­an­wich­sen­den Jugend immer sel­te­ner durch Zei­tungs­sei­ten oder Nach­rich­ten­spre­cher ver­mit­telt, dafür aber immer häu­fi­ger durch Komiker.

Es war der ame­ri­ka­ni­sche TV-Mann Jon Ste­wart, der Mit­te der Zeh­ner­jah­re erst­mals für eine Mehr­heit der US-Jugend­li­chen zur wich­tigs­ten Nach­rich­ten­quel­le gewor­den war. Und bei uns wan­del­te der Fern­seh­sa­ti­ri­ker Jan Böh­mer­mann sein wöchent­li­ches „ZDF Maga­zin Roya­le“ von der Stand-up-Inter­net­show zur tief recher­chier­ten mono­the­ma­ti­schen Auf­klä­rungs­sen­dung.
Ist ja aber auch kein Wun­der. Wenn angeb­li­che „alter­na­ti­ve Wahr­hei­ten“, die von Regie­rungs­spre­chern allen Erns­tes ver­brei­tet wer­den, ganz offen­kun­dig schlecht aus­ge­dach­te Wit­ze sind, dann soll­ten gut aus­ge­dach­te Wit­ze und noch bes­ser gezeich­ne­te Car­toons ab jetzt nur noch eines zei­gen: die rei­ne, schö­ne und unver­stell­te Wahr­heit.
Die haben wir uns näm­lich auch red­lich ver­dient. Denn sind wir Deut­sche nicht, wie Nietz­sche schon mut­maß­te, zutiefst „iro­ni­sche Thie­re“? Durch­aus ent­ge­gen der land­läu­fi­gen Mei­nung ist näm­lich gera­de das deut­sche ein „Volk von Humo­ris­ten“ (J. Haber­mas), das sich für einen nach­hal­ti­gen Lacher noch nie zu scha­de war – selbst wenn’s auf eige­ne Kos­ten geht. Wer ohne mit der Wim­per zu zucken zwei Welt­krie­ge vom Zaun bricht, ohne auch nur einen ein­zi­gen zu gewin­nen, der und die muss schon ein recht son­ni­ges, ja uner­schüt­ter­li­ches Gemüt haben.
Nicht nur strau­cheln­de Poli­ti­ker und zu klei­ne Hun­de sind lächer­lich, son­dern auch Pro­phe­zei­un­gen. Daher soll hier zu schlech­ter Letzt noch eine gemacht sein: Sie wer­den sich glück­lich schät­zen, dass prak­tisch aus­nahms­los alle Car­toons in die­ser Aus­stel­lung von ech­ten Men­schen stam­men. Die meis­ten jeden­falls. Nur eini­ge sehr schlech­te (ich darf hier lei­der kei­ne Namen nen­nen!) muss­te das Cari­ca­tu­ra-Team aus Kos­ten­grün­den von indo­ne­si­schen Joke­bots gene­rie­ren las­sen. Die sind dann ab nächs­ter Woche hier über die gan­ze Stadt ver­teilt.
Denn dann bit­tet der inter­na­tio­na­le Humor­stand­ort Deutsch­land die Welt zum größ­ten Witz über­haupt: zur docu­men­ta 15. Sie wird in die­sem Jahr offi­zi­ell „docu­men­ta fif­teen“ hei­ßen, denn das ist inter­na­tio­nal und wird sogar in Ful­da ver­stan­den oder von den indo­ne­si­schen Com­mu­ni­ties in Hes­sisch Sibi­ri­en, also in den tra­di­tio­nel­len Elends­ge­bie­ten zwi­schen Bad Wil­dun­gen und Bad Zwesten.

Und eine wei­te­re Neue­rung: Wegen des gro­ßen Miss­erfol­ges vor fünf Jah­ren wird die Docu­men­ta erst­mals nicht wie­der in Athen statt­fin­den. Son­dern als inter­na­tio­na­les WG-Bas­tel- und Reis­scheu­nen­fes­ti­val über alle Zeit­zo­nen die­ser Erde ver­teilt sein.
Jetzt fra­gen sich natür­lich vie­le hier: „Docu­men­ta – wer oder was ist das?“ Das sind die Men­schen, die immer nur die Cari­ca­tu­ra besu­chen, wenn sie nach Kas­sel rei­sen. Nun, die welt­be­rühm­te Docu­men­ta ist eine Art mit Kunst auf­ge­pimp­ter Bun­des­gar­ten­schau von ein­zig­ar­ti­gem Rang. Für den Zeit­raum von hun­dert Tagen wird sich die stol­ze Pökel­fleischs­stadt Kas­sel in das „Muse­um der 100 Tage“ ver­wan­deln.
Wegen der Infla­ti­on kos­tet das Tages­ti­cket schlap­pe 27 Euro, und wenn die Infla­ti­on wei­ter krass ansteigt, dann wird aus dem Tages- ein Ein-Stun­den­ti­cket. Dafür gibt es dann aber eine rie­si­ge Aus­wahl phan­tas­ti­scher Kunst­wer­ke zu sehen, von denen man eini­ge aus­drück­lich berüh­ren darf, ande­re hin­ge­gen nicht. Vie­le Künstler*innennamen wird man noch nie gehört haben, aber das macht nichts, denn das Zeug wird hin­ter­her sowie­so weg­ge­schmis­sen.
Ins­ge­samt, so schät­zen Exper­ten jetzt schon, wird im Kas­se­lani­schen „Muse­um der 100 Tage“ Kunst im Wert von min­des­tens 228 Mil­lio­nen Euro zu sehen sein. Vor­aus­sicht­lich wer­den groß- und mit­tel­for­ma­ti­ge Bil­der und unför­mi­ge, läng­li­che Plas­ti­ken aus Ver­bund­werk­stof­fen zu sehen sein, Flach­bild­schir­me mit ver­wa­ckel­ten Vide­os, wo einer schreit oder zit­tert,
auch Klang­skulp­tu­ren schep­pern und quiet­schen vor sich hin,
fer­ner erwar­ten uns von glo­ba­li­sie­rungs­ge­beu­tel­ten Sweat­shop­häft­lin­gen zusam­men­ge­leim­te Mobi­les mit rät­sel­haf­ten Moti­ven, zent­ner­schwe­re Raum­ver­brau­cher aus nord­ame­ri­ka­ni­scher Fer­ti­gung, eine begeh­ba­re Schrott­skulp­tur, eine bar­rie­re­freie Behin­der­ten­toi­let­te, die aber gar kei­ne Toi­let­te ist, son­dern eine täu­schend ech­te Replik, wo man dann sei­nen eige­nen Stand­ort hin­ter­fra­gen muß,
außer­dem sehen wir ver­stö­ren­de Assem­bla­gen, Col­la­gen und Pot­pour­ris aus von ihrer ursprüng­li­chen Funk­ti­on beraub­ten Gebrauchs­ge­gen­stän­den, einen schla­fen­den Muse­ums­wär­ter aus glas­fa­ser­ver­stärk­tem Kunststoff,

ein Tryp­ti­chon mit zwei feh­len­den Bil­dern zum Preis von einem, ein her­aus­ge­mei­ßel­tes Graf­fi­to, das von einem sozia­len Brenn­punkt die­ser Erde stammt, eine indo­ne­si­sche Reis­ta­fel, ein Farb­fern­se­her, eine Tro­cken­hau­be und ein Fra­ge­zei­chen, und dann noch ein Faber­gé-Ei mit Straß­stein-Intar­si­en von Frank­lin Mint mit einer süßen Kat­ze drauf, es ist hoch­wer­tig ver­ar­bei­tet, ein blei­ben­der Wert, man kann jeder­zeit Ver­wand­te und Freun­de damit beein­dru­cken.
Das Zau­ber­wort der dies­jäh­ri­gen Sai­son lau­tet jeden­falls: Skulp­tur, gern auch als sozia­le – und, falls sie im Inter­net gepos­tet wird – auch aso­zia­le Plas­tik. Die ist näm­lich abso­lut im Kom­men! Die­se gan­zen kon­kret gemal­ten Bil­der von iso­lier­ten Men­schen sind ja mitt­ler­wei­le viel zu teu­er. Und längst ist die Skulp­tur nicht mehr „das, wor­über man stol­pert, wenn man von einem Gemäl­de zurück­tritt“, wie es der ame­ri­ka­ni­sche Maler Ad Rein­hardt ein­mal for­mu­lier­te, son­dern das, was man kauft, wenn alle ande­ren es auch halb­wegs preis­wert kau­fen, bevor es dann zu teu­er wird.
Da jedoch tra­di­tio­nell pro Docu­men­ta min­des­tens ein Groß­kunst­werk im Katas­ter Kas­sels ver­bleibt, befürch­tet man schon jetzt die anschlie­ßen­de bau­recht­li­che Über­nah­me des Über­ra­schungs­kunst­wer­kes mit dem schö­nen Namen „Kom­post­hau­fen“. Dar­auf soll dann alles gewor­fen wer­den dür­fen, was in Kas­sel Rang und Namen hat, und das ist zum Glück nicht wirk­lich viel.
Also: Nur noch ganz weni­ge Male auf­wa­chen, dann dreht sich die Kunst­welt nicht mehr um Basel, Vene­dig oder New York, denn dann öff­net die welt­weit bedeu­tends­te Aus­stel­lung gut­aus­se­hen­der, moder­ner und lei­der auch teu­rer Kunst ihre Pfor­ten: Vom 20. bis 25. Sep­tem­ber ist in Han­no­ver die IAA Trans­por­ta­ti­on Mes­se, die Inter­na­tio­na­le Auto­mo­bil Aus­stel­lung für Brum­mis, Las­ter und LKW – ich kann Ihnen das wirk­lich nur emp­feh­len und ans Herz legen. Natür­lich hat die­se Ver­an­stal­tung einen hohen Preis – Sie müs­sen dafür nach Han­no­ver rei­sen. Aber ich fin­de: wer aus Kas­sel kommt, dem gefällt’s über­all, und woan­ders ist es sowie­so min­des­tens immer genau so beschis­sen wie zuhau­se.
Ob die fif­te­en­te Kas­se­li­ni­sche Docu­men­ta ein vol­ler Erfolg wird, ein Deba­kel oder nur ein Etap­pen­sieg auf dem Weg vom Hau­fen zum Kom­post – das ist also unsi­cher wie der Nach­tisch in der indo­ne­si­schen Lum­bung­hüt­te. Sicher ist nur: Am Sonn­tag, dem 25. Sep­tem­ber ist Schluß. Und am Mon­tag, dem 26. Sep­tem­ber – auch das eine Neue­rung – wer­den sämt­li­che Wer­ke, die kei­nen Abneh­mer gefun­den haben, zum hal­ben Preis ver­ramscht. Schnäpp­chen­jä­ger also auf­ge­passt!
In der Zwi­schen­zeit kön­nen Sie sich aber auch jeder­zeit unter­hal­ten und beleh­ren las­sen, und dafür ist seit kurz nach dem zwei­ten Welt­krieg immer noch die Cari­ca­tu­ra in Kas­sel zustän­dig. Die arbei­tet näm­lich immer mit den neu­es­ten Joke- und Witz­pro­gram­men, und die arbei­ten zuver­läs­sig mit den aller­neu­es­ten Betriebs­sys­tem­feh­lern direkt aus der Cloud oder der nord­hes­si­schen Tun­dra.
Und die sind, wir hörten’s ein­gangs schon, gar nicht mal soooo unter­kom­plex, obwohl sie streng­ge­nom­men nur ein ein­zi­ges Witz­mus­ter gene­rie­ren kön­nen: Das fängt meis­tens an mit Donald Trump und Wla­di­mir Putin, mit der Neu­bau­er und dem Papst… aber, naja, das hat­ten wir ja schon.
So kom­me ich zum Ende mei­ner Eröff­nungs­re­de, obwohl es noch hell drau­ßen ist. Aber das haben wir mit Absicht so geplant, damit alle hier Ver­sam­mel­ten noch die Chan­ce haben, Kas­sel bei Tages­licht zu ver­las­sen. Und sich vor­her natür­lich die Aus­stel­lung anzu­schau­en. Und die eröff­ne ich mit den seit der Eröff­nung der ers­ten Aus­stel­lung der Welt in Kas­sel mit den Wor­ten: „Die Aus­stel­lung ist eröff­net!“
Mahl­zeit.

Caricatura

Cari­ca­tu­ra – Gale­rie für Komi­sche Kunst

Kul­tur­Bahn­hof
Rai­ner-Die­richs-Platz 1 | 34117 Kassel

Öff­nungs­zei­ten:
Diens­tag – Sams­tag 12 – 19 Uhr
Sonn­tag und Fei­er­ta­ge 10 – 19 Uhr

E‑Mail: info@caricatura.de
www.caricatura.de

 
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