Der Aktivist maskiert als Künstler

RICHARD BELL

Eines der prä­gen­den Gesich­ter der docu­men­ta fif­teen ist der Abori­gi­ne Richard Bell. Der Aus­tra­li­er kämpft für die Frei­heit sei­nes Vol­kes und setzt sich für Eman­zi­pa­ti­on und Selbst­be­stim­mung der Abori­gi­nes ein.
Den etwas kau­zi­gen Ein­druck bei der Begrü­ßung muss ich schnell revi­die­ren: Schlag­fer­tig und spitz­bü­bisch redet Richard über den Rhyth­mus der docu­men­ta-Stadt, Iden­ti­tä­ten in Aus­tra­li­en und war­um die Frei­heit in Aus­tra­li­en nur eine Illu­si­on ist:

W.K.K.: Hal­lo Richard, wir freu­en uns sehr, dass es mit unse­rem Tref­fen geklappt hat.Du bist jetzt schon eine gan­ze Wei­le in Kas­sel. Wie gefällt Dir die Stadt?

Bell: Mir gefällt es hier sehr gut. Der Rhyth­mus der Stadt liegt mir und die Men­schen sind sehr offen. Außer­dem gibt es im Moment so vie­le Partys…Meine Toch­ter ist 26, die liebt es!
Auch nach der docu­men­ta wer­de ich wohl noch eine Wei­le blei­ben, ich möch­te ger­ne die Stadt in ihrem All­tag ken­nen­ler­nen, jetzt ist ja eher Aus­nah­me­zu­stand. Auch will ich noch in Deutsch­land eini­ges sehen.

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W.K.K.: Du konn­test sel­ber Künst­le­rin­nen und Künst­ler nach Kas­sel ein­la­den. Für wen hast Du Dich entschieden?

Bell: Ich habe ein Kol­lek­tiv jun­ger Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein­ge­la­den, die per­for­ma­tiv arbei­ten. Wir haben bereits hier im Fri­de­ri­cia­num und auch im Embas­sy­zelt drei Tage lang zusam­men Per­for­man­ces gezeigt. Sie hei­ßen Digi Youth Arts und erzäh­len jun­gen Leu­ten die Geschich­te und Geschich­ten der Aborigines.

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W.K.K.: Auf der docu­men­ta-fif­teen-Sei­te ste­hen noch mehr Namen, die Du angeb­lich ein­ge­la­den hast.

Bell: Wirk­lich? Na ja, die Gesprä­che dazu sind min­des­tens ein oder zwei Jah­re her…Ich weiß es nicht mehr.

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W.K.K.: 1972, also seit 50 Jah­ren, wur­de die Abori­gi­nal Tent Embas­sy auf dem Rasen des Par­la­ments in Can­ber­ra errich­tet, um den Sta­tus, die Behand­lung und die Rech­te der Abori­gi­nes in Aus­tra­li­en in Fra­ge zu stel­len. Im Lau­fe der Jah­re sind noch vie­le im gan­zen Land dazu gekom­men. Sie haben 2013 in Bezug dar­auf das fort­lau­fen­de Werk „Embas­sy“ vor dem Fri­de­ri­cia­num auf­ge­baut. Was hat sich kon­kret in 50 Jah­ren für die Urbe­völ­ke­rung Aus­tra­li­ens ver­än­dert und wo gibt es noch Handlungsbedarf?

Bell: Wenn ich ehr­lich bin, glau­be ich nicht, dass sich viel geän­dert hat. Wir sind immer noch am Kämp­fen mit den Ämtern und Ver­ant­wort­li­chen in Aus­tra­li­en. Eini­ge Leu­te wür­den sagen, es ist schlech­ter gewor­den. Der Grund, war­um ich das Embas­sy-Pro­jekt gestar­tet habe ist, weil vie­le jun­ge Leu­te im gan­zen Land Zel­te errich­tet haben. Toll, dass jun­ge Leu­te sich an ihre Geschich­te erin­nern und aktiv für Gerech­tig­keit ein­ste­hen. Das ver­dient Unter­stüt­zung. Aller­dings hat sich bis heu­te an der Lebens­rea­li­tät vie­ler Abori­gi­nes nicht viel geän­dert, immer­hin gibt es ein Bewusst­sein für die ursprüng­li­che Iden­ti­tät. Trotz­dem wer­den immer noch Kin­der von Abori­gi­nes weg­ge­nom­men und zu ande­ren Fami­li­en gege­ben, die wei­ße Wur­zeln haben. Man ver­sucht, die­se Iden­ti­tä­ten aus­zu­mer­zen und die Kon­tak­te zu ihren Ursprün­gen zu kap­pen. Die west­li­che Welt sieht Aus­tra­li­en oft als Land der Frei­heit, aber es ist das genaue Gegenteil.

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W.K.K.: Das sieht man auch gut an der Arbeit von Saf­dar Ahmed im Stadt­mu­se­um, die zeigt, wie bru­tal die aus­tra­li­sche Regie­rung mit Flücht­lin­gen umgeht und sie jah­re­lang auf einer Insel in Gefäng­nis­sen ein­pfercht, fern von Men­schen­wür­de und medi­zi­ni­scher Versorgung.

Bell: Genau, auch hier zäh­len nur die Inter­es­sen der wei­ßen aus­tra­li­schen Regie­rung und den Abori­gi­nes oder auch den Flücht­lin­gen wird der Sta­tus „Mensch“ aberkannt und man wird auf ein stö­ren­des Ele­ment reduziert.

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W.K.K.: West­li­che Welt und Glo­ba­ler Süden sind die gro­ßen Schlag­wor­te auf der dies­jäh­ri­gen docu­men­ta. Gibt es wirk­lich einen Unter­schied bei der Her­an­ge­hens­wei­se, Kunst zu machen?

Bell: Ich sehe einen gro­ßen Unter­schied bei dem Pro­zess sel­ber und in der Phi­lo­so­phie. Bei die­ser docu­men­ta sieht man, dass im Süden mehr gemein­sam gear­bei­tet wird, vie­le Künstler:innen die­ser Aus­stel­lung sind Teil von Kol­lek­ti­ven. Ich per­sön­lich bin als Indi­vi­du­um ein­ge­la­den wor­den, aber dadurch auch Mit­glied des Kol­lek­tivs „docu­men­ta-artists“. Ich glau­be, der Süden macht eher Kunst für die Men­schen, für Freun­de oder Fami­lie. Das ist der gro­ße Unter­schied zur „Wei­ßen Welt“, in der die Inten­ti­on, Kunst zu machen, oft der Kom­merz ist.

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W.K.K.: Fühlst Du Dich eher als poli­ti­scher Akti­vist, der die Kunst benutzt, um sei­ne Inhal­te zu ver­mit­teln oder als akti­vis­ti­scher Künstler?

Bell: Ich habe lan­ge gesagt, ich bin ein Akti­vist mas­kiert als Künst­ler. Die Kunst ist die bes­te Platt­form für Poli­tik, um eine Bot­schaft zu ver­mit­teln. Es gibt eine Gemein­schaft zwi­schen kunst­af­fi­nen Men­schen, die Kom­mu­ni­ka­ti­on ist anders, des­we­gen ist es sehr attrak­tiv, in der Sze­ne zu arbei­ten. Du triffst vie­le net­te Men­schen mit einem guten Life­style. Ich den­ke, mich „Künst­ler“ zu nen­nen, war eine gute Wahl. 

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W.K.K.: Wie geht es nach der docu­men­ta für Dich wei­ter? Ich habe gele­sen, dass 2023 Dein Zelt in der Tate Modern in Lon­don steht, gibt es wei­te­re Projekte?

Bell: Vie­le. Ich wer­de in der Welt umher­rei­sen, als nächs­tes nach Ita­li­en, in der Nähe von Turin. Außer­dem wird im Van Abbe­mu­se­um in Eind­ho­ven eini­ges von mir zu sehen sein, spä­ter im Jahr geht es nach Ber­lin, auch eine Anfra­ge aus Japan gibt es. Die docu­men­ta hat natür­lich als einer der größ­ten Büh­nen für Kunst auch dazu bei­getra­gen, dass ich häu­fi­ger kon­tak­tiert werde.

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W.K.K.: Du darfst ja auch an einem sehr spe­zi­el­len Platz in der Geschich­te der docu­men­ta Dei­ne Arbei­ten zei­gen, hier vor und im Fridericianum.

Bell: Ja, das Kura­to­ren­team mag mich!

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W.K.K.: Vie­len Dank für Dei­ne Zeit und alles Gute für die Zukunft.

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[ Inter­view: Ger­rit Bräutigam/Redaktion – Fotos: Kai Frommann ]