Liskas Welt
„Es ist mir wichtig,
ein Bewusstsein für künstlerische Prozesse zu schaffen.“
Interview mit
Liska Schwermer-Funke
Ein Blick in das Atelier von Liska Schwermer-Funke ist wie ein Blick in ein Labor. Auf dem riesigen Tisch liegen Blätter und Farben. In Regalen verschiedene Materialien und Objekte. Scheinbar ungeordnet, aber beim genauen Hinschauen glaubt man ein System zu erkennen. Liegt gerade in dieser offenen Anordnung der Malmaterialien das spontane und intuitive, was ihre eigene Gesetzmäßigkeit aus dem Malprozess, immer wieder neu und unberechenbar, gewinnt? In einem Gespräch gibt Liska Welt.Kunst.Kassel. einen kurzen Einblick in ihr Leben als Künstlerin und Ihrer Arbeit. Im Interview spricht sie über die Prozesse dahinter und die Entstehung Ihrer Kunstwerke.
W.K.K.: Liebe Liska, wie dürfen wir uns die Arbeit einer Künstlerin vorstellen? Wie ist dein Alltag?
L.S.F.: Ich bin jeden Tag im Atelier. Von Montag bis Mittwoch übernachte ich auch hier. Der Arbeitstag startet mit ein bis zwei Stunden Büroarbeit, damit das schonmal erledigt ist. Dann kommt das Frühstück und endlich die künstlerische Praxis.
Am Sonntag verbiete ich mir den Gang ins Atelier – damit ich lerne auch jenseits des Ateliers einen schönen Tag zu haben. Und der Montag ist dann ganz besonders toll!
Das Atelier ist mein Spielplatz. Ich pendle frei zwischen vielfältigen Spielorten und Arbeitsweisen. Hier grundiere ich Leinwände für kommende Arbeiten, da mische ich die nächste Farbe für das aktuelle Bild an der Malwand, ich schaue alles aus der Nähe und Entfernung an, suche nebenan humorvolle Materialkonstellationen mit Fundstücken, koche, male weiter, sitze auf dem Sofa und denke über das Entstehende nach. Ist die Komposition stimmig? Braucht es mehr Fläche? Welche Farbe braucht das Bild als nächstes? Und wenn es dunkel ist, ist Feierabend.
Ich liebe die freie Arbeit allein im Atelier. Gleichzeitig mag ich Menschen! Ich schaffe mir bewusst Räume für beides.
Ich komme aus dem Lehramt, habe in Halle an der Saale studiert, in Dortmund Referendariat gemacht und auch in Kassel an Gesamtschulen gearbeitet.
Ich mag es, mit Leuten Prozesse zu gestalten, produktiv und mit Schwung und Neugierde Probleme zu lösen. Das mache ich seit 2020 komplett freiberuflich, jenseits der Institution Schule, in meinen großzügigen Räumen. Ich hole mir die Leute hierher. Ich biete zum Beispiel meine regelmäßigen MALTAGE an: einmal im Monat, vier Stunden, kommen am Samstag ungefähr zehn Leute zum gemeinsamen Malen. Wir starten zusammen an der großen Papierbahn auf dem Tisch und dann gibt es hier Malwände und die Staffeleien, wo sie ihren eigenen Projekten nachgehen können. Die Teilnehmer bringen entweder was Konkretes mit oder schlicht die Lust am Tun. Meine Aufgabe ist es, sie zu begleiten, zu ermutigen, zu sehen, was sie brauchen, nachzufragen, hier und da ein anderes Material zur Verfügung zu stellen. Am Ende staunen wir darüber, was wir innerhalb dieser kurzen Zeit geschafft haben.
Ich mag total, dass dieser Ort mir erlaubt alles zu realisieren, was mir in den Kopf kommt. Ich kann malen, bauen, lagern, ausstellen und veranstalten und gleichzeitig Leute einladen, mit Gruppen gestalten. Dass zwischen all dem kein „entweder oder“, sondern ein großes „und“ steht, ist genau das, was ich mir für meinen Beruf wünsche. Ich liebe mein Atelier und diese Räume, hier ist alles möglich.
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W.K.K.: Siehst du dich eher als Malerin?
L.S.F.: Ich sehe mich als Künstlerin. Malen ist nur ein Teil meiner Arbeit. Ich mache auch Performances und liebe Material und Raum. Mein Blick auf die Malerei ist ein sehr materialfreudiger. Ich stelle meine Farben mit Pigmenten selbst her. Ich arbeite mit Glanz, Deckkraft und Transparenzen, spiele mit Schichtungen und Räumlichkeit. Ich setze Elemente auf spannungsvolle und unverhoffte Art in Beziehung – sowohl in der Malerei, wie auch in meinen installativen Objektkonstellationen. Je nachdem in welchem Kontext mich Leute kennenlernen, bin ich für sie Malerin, „die, die zackige Performances mit der Violinistin macht“ oder „die mit dem Krokodil“. Ich antworte gerne mit einem ergänzenden „Ja, und auch ….“. Meine Arbeit ist vielgestaltig. Ich sehe keinen Mehrwert darin, mich zwischen Anteilen dieser Vielfalt zu entscheiden.
Abgesehen vom Medium ist es mir enorm wichtig, jenseits des künstlerischen Produkts ein Bewusstsein für künstlerische Prozesse zu schaffen.
Als ich noch in der Schule in einer 7. Klasse gearbeitet habe und meinen Schüler*innen erzählt habe, dass ich im nächsten Halbjahr nicht mehr zu Ihnen komme, sondern ganz als Künstlerin arbeiten werde, haben sie begeistert applaudiert und gerufen: „Frau Schwermer-Funke, sie werden berühmt!“ Als sei der Schritt in die Kunst der direkte Weg zu Ruhm, Ehre, Geld und auf den roten Teppich. Dass ich mich damit für große Unsicherheit, immense Arbeitszeiten und hohe Bürojob-Anteile entscheide, war jenseits ihrer Vorstellung.
Anderswo hält sich hartnäckig die Idee vom Künstlertyp wie in Spitzwegs Bild des armen Poeten, der den ganzen Tag mit Zipfelmütze im Berg liegen, nicht viel haben, aber auch wenig brauchen und in den Tag hineinleben kann.
Woher sollte man aber auch wissen, welche Prozesse wirklich hinter in der Regel verschlossenen Ateliertüren stattfinden? Ich sehe meine Aufgabe auch darin, da ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen. Ich bin Künstlerin aber auch selbstständige Unternehmerin, das muss zusammenkommen. Ich muss einiges an Büroarbeit erledigen, es ist etwa die Hälfte des Berufes. Die Ausstellungen und auch Recherchen und Bewerbungen für Stipendien oder Förderpreise, das Schreiben von Konzepten und Anträge, Kommunikation mit Projektpartner*innen und das ganze Feld Social Media gehören dazu.
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W.K.K.: Wie überlebt man also finanziell als Künstlerin?
L.S.F.: Ich überlebe, weil es sein muss. Da bin stur, unermüdlich und beschwingt. Ich will es einfach Monat für Monat schaffen, meine Mieten, meine Versicherung und mein Material zu bezahlen und das ganze Unternehmen am Laufen zu halten – auch um mir selbst Mut zu machen, dass ich es auch im nächsten Monat schaffen kann. Ich werfe mich mit ganzer Tatkraft in die künstlerische Arbeit im Atelier. Die innere Notwenigkeit ist da, unabhängig vom Kontostand.
Und gleichzeitig ist jeder Monat ein Krimi mit ungewissem Ausgang. Ich kenne Momente der Überforderung, Panik und Schnappatmung – und lerne Vertrauen, Mut und Humor in schweren Zeiten.
Ich bin wahnsinnig froh und dankbar, dass sich das aktive jahrelange Netzwerken auszahlt. Dass der Schwung, den ich als frisch in Kassel ansässige Künstlerin in Kontakte zu anderen Kreativen, Schulen, Stiftungen und Institutionen gesteckt habe, in Form von Anfragen und Kooperationen zu mir zurückkommt.
Meine planbaren Einkünfte kommen im Moment vor allem durch meine kunstpädagogische Arbeit. Ich freue mich auf jeden Workshop und auf jede Möglichkeit im Atelier mit Menschen produktiv zu sein. Das bedeutet, dass ich nicht für jede Gestaltungsentscheidung, die in diesen Räumen getroffen wird, selbst verantwortlich bin, sondern begleiten und ermutigen darf. Das ist eine tolle Dynamik. Die Leute kommen aus ihrem Alltag raus, trauen sich unerwartetes, machen wertvolle Erfahrungen und bezahlen dafür Geld – absolut eine Win-Win Situation.
Und dann kommen die Verkäufe meiner Arbeiten, bezahlte Ausstellungsbeteiligungen, Stipendien und Projektförderungen dazu – das eigentliche Kerngeschäft meiner Arbeit, aber finanziell viel weniger planbar. Richtig gut, wenn mir davon immer mehr ins Haus kommt!
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W.K.K.: Um was geht es genau bei deinen Arbeiten? Was sind deine Intentionen, Ideen und aus welchen Quellen schöpfst du deine Bilder?
L.S.F.: Da kann ich mir jetzt sehr unterschiedliche gute Antworten vorstellen.
Inhaltlich interessiert mich, wie das sehr Unterschiedliche auf produktive Art zusammenkommen kann. In der Malerei, in der Arbeit mit Fundstücken, die ich neu kombiniere oder in der Arbeit mit Menschen. Ich mag es mit dem Vorhandenen umzugehen und es humorvoll, unverhofft und irritierend zu erweitern.
Bei meinen Arbeiten geht es in erster Linie nicht um Ausdruck, nicht darum, dass aus mir etwas den Weg herausfinden müsste, sondern um mein Gegenüber, das Bild, das gut werden muss. Ich muss also sehr genau hinschauen und offen sein, was dieses entstehende Gegenüber als nächstes braucht, damit es spannend, neckisch und komplett wird.
Der künstlerische Prozess ist wahnsinnig unterhaltsam. Ich schaffe mir Probleme und spiele mit Lösungsahnungen. In der Malerei zum Beispiel bringe ich oft zahlreiche Farbschichten übereinander auf. Ich ergänze, was da ist, füge Details hinzu, dann wieder knallige Flächen, dezente Lasuren. Wenn ich merke, dass ich einzelne Stellen zu wichtig nehme, werden sie großzügig übermalt. Das Gesamte muss stimmen. Ich treffe bisweilen drastische Entscheidungen – und lache mir ins Fäustchen bei dem Gedanken, dass die Stellen, die dadurch nicht mehr sichtbar sind, nicht verschwunden sind – nur versteckt. Ein Bild, das nicht stimmig ist, ist nur noch nicht fertig. Und ich muss herausfinden, was ihm fehlt. Ich ergänze, was ich unbedingt sehen will. Und wenn es dann da ist, ist es grandios – oder Quatsch. Und weiter geht’s.
Dieses Bild beispielsweise hat zwei untrennbare, sehr unterschiedliche Bildbereiche. Ich neige oft dazu, sehr viele dichte Schichten übereinander anzulegen – hier entzerre ich die Elemente, ordne sie nebeneinander an. Eine selbst gewählte Herausforderung. So schaffe ich es, den linken, sehr luftigen Bereich, stehen zu lassen – weil es am rechten Rand knallt.
Gerade dass ich in unterschiedlichen künstlerischen Bereichen agiere, befruchtet immer wieder auch die anderen Felder. Wichtig ist mir der Prozess, wie aus dieser unterschiedlichen, produktiven Art und Weise, etwas möglichst Gutes entsteht.
Das ist eine sehr spannende, ambivalente, tolle Geschichte.
Das will ich einfach bis an mein Lebensende machen!
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[ Das Interview führten: Sonja Rosettini + Helmut Plate |
Fotos: Kai Frommann ]