Lichtenberg goes Lumbung
Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule .
Daneben werden die beiden letzten Schulwochen genutzt, um in 450 verschiedenen Projekten die Lumbung-Werte interdisziplinär durch alle Fachbereiche zu vermitteln.
Stefan Hermes, der Schulleiter des Gymnasiums, stellt das Projekt in unserem Interview vor:
W.K.K.: Bitte skizzieren Sie doch kurz die Eckpunkte ihres Projektes. Seit wann laufen die Vorbereitungen? Ich habe gesehen, dass bis zu 450 Projekte angeboten werden.
Hermes: Ausgangspunkt war, dass die Kunstkolleginnen und Kollegen mich vor etwa einem Jahr angesprochen haben, ob wir nicht begleitend etwas zur documenta anbieten wollen, zum Beispiel einen Besuch mit den Schüler:innen. Das fand ich schon prinzipiell gut, weiterführend sollten wir Projekte starten, in denen Schülerinnen und Schüler aktiv involviert sind. Wir haben den sehr offenen Kunstbegriff, welcher der documenta zu Grunde liegt und die sehr breit angelegte Thematik zum Anlass genommen, zu sagen, dann lass uns doch ein Begleitprojekt realisieren. Wir haben die Chance gesehen, dass wir das sowohl an unsere Fachbereiche andocken als auch mit außerschulischen Partnern arbeiten, im Sinne von „Öffnung von Schule“. Der Ausgangspunkt war, wir wollen so etwas wie ein ruruHaus haben. Nachdem wir dann die Kunsthochschule Kassel angesprochen haben, wurde dort ein komplettes Wintersemester eingerichtet, und dann haben Schülerinnen und Schüler zusammen mit Studierenden dreizehn Entwürfe für Pavillons, die auf dem Schulhof stehen können, entwickelt. Dann haben wir im Dezember eine Jury gebildet, uns einen Tag die Entwürfe vorstellen lassen und nach vielen Diskussionen dann zwei zu Siegern erklärt. Einer davon wurde dann realisiert, in Kooperation mit Studierenden, Schüler:innen, Eltern und zwei Personen, die vom Fach waren und sich mit baulichen Belangen auskennen. Dann wurden die Dinger gebaut und sind nun sozusagen der physische Kristallisationspunkt unser beiden jetzt folgenden documenta-Projektwochen, die am 11.07. losgehen. Hier konnten sich die Schüler:innen einwählen, sei es von Sport bis Musik, Theater und Kunst im engeren Sinne, aber dann auch bis in die Gesellschafts- und Naturwissenschaften hinein. Projekte, die hier vor Ort stattfinden, Diskussionsforen, die im Pavillon laufen. Aber auch außerschulisch wird viel passieren, zum Beispiel ein Boxcamp für Mädchen in Kooperation mit 27 Nord, welches offene Jugendarbeit mit pädagogischem Sportangebot verknüpft.
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W.K.K.: Ich habe gesehen, dass es eine Kooperation mit Radio Rasclat, die im Ruruhaus ihren Sitz haben, gibt. Gab und gibt es weiteren direkten Kontakt mit der documenta?
Hermes: Wir sind CAMP Notes on documenta Partnerschule, nehmen auch an school-workshop-Touren teil. Wir wurden auch direkt finanziell unterstützt, vor allen Dingen beim Pavillonbau.
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Das Gespräch wird unterbrochen, da Herr Hermes noch den Vorsitz in einer mündlichen Abiturprüfung hat. Aber es gibt ja noch weitere Gesprächspartner.
In der Schule konnten sich Schülerinnen und Schüler der Klassen 7–10 in die „documenta AG“ einwählen. Dabei waren u.a. Luzia Lenz aus der Klasse 8d und Felicitas Dölle, Klasse 10e.
Links Luzia Lenz und Felicitas Dölle
Sie fanden die Möglichkeit, ein eigenes Architekturprojekt auf die Beine zu stellen, faszinierend. Die Studierenden der Kunsthochschule kamen während der Planungsphase für eine Woche in die Schule und Luzia und Felicitas betonen ausdrücklich, dass ihre Anregungen und Wünsche in die Planungen eingeflossen sind. Der Siegerentwurf hat überzeugt, da er freistehend ist und flexibel verschoben werden kann. Er wurde aus alten Holzpaletten gebaut, die sozusagen upgecycled wurden und so nicht auf dem Müll landeten, Stichwort Nachhaltigkeit. Überhaupt scheint das Thema Müllvermeidung und ‑verwertung den beiden Schülerinnen sehr wichtig zu sein. Felicitas freut sich darauf, mit ihrer Theatergruppe, Darstellendes Spiel, ein kleines Stück zu erarbeiten und dann aufzuführen. Außerdem werden bei einer gemeinsamen Wanderung Lumbung-Werte vermittelt und in dem documenta-insight-Projekt die Ausstellungsräume der documenta besucht. Luzia hat sich in die Handarbeitsgruppe eingewählt, außerdem wird sie mit ihrem Schulleiter Bratwürste grillen, die für einen guten Zweck verkauft werden. Auf die Frage, wie sie solch alternative Unterrichtsformen finden, geben beide ähnliche Antworten. Selber kreativ zu sein, frei gestalten zu können und nicht unbedingt dafür Noten zu bekommen, helfe, sich auf die Sache ohne Druck zu konzentrieren. Dabei lobten sie ausdrücklich die Schulleitung, die die Balance zwischen freiem Arbeiten und klassischem Unterricht gut hin bekäme.
Frau Dr. Jule Peters, die die documenta-AG betreut hat, wählte 15 Schülerinnen und Schüler aus, die sich für diese AG beworben hatten. Vielen musste leider abgesagt werden, das Interesse war riesig. Die erste Herausforderung bestand im Finden eines gemeinsamen Termins für dieses jahrgangsübergreifende Projekt.
Laut Peters war es für die Teilnehmer:innen etwas Besonderes, mit Menschen außerhalb des Schulbetriebs zusammen zu arbeiten wie die Studierenden der Kunsthochschule. Tatsächlich gab es dabei aber organisatorische und terminliche Schwierigkeiten. Der Urgedanke war, sich wöchentlich zu treffen, um einen intensiven Austausch zu haben. Leider wurde kein Termin im Stundenplan gefunden, der kompatibel mit dem Semesterplan der Uni war. Eine Woche waren die Studierenden dann am Stück anwesend und die Schülerinnen und Schüler konnten von morgens bis abends einen Austausch erfahren. Laut Peters war das dann schon sehr intensiv. Schule sei ja oft kleinteilig und vieles ist vorgegeben, das sei hier einfach anders gewesen. Sie konnten Pausen machen, wann sie wollten, sich eigene Ziele setzen und das Ganze dann auch selber umsetzen. Diese Freiheit sei schon besonders.
Während der zwei Wochen betreut Frau Peters noch eine weiteres wichtiges Projekt: Mit der Gruppe „Dokumentation“, die Schüler:innen leiten, die sonst auch bei der Schülerzeitung aktiv sind, werden in dem Schulgebäude vier sogenannte „Harvest-Corners“ eingerichtet. Jedes Projekt soll mit Fotos und kurzen Teasern dokumentiert und dann in den Ecken sichtbar gemacht werden. Auch hier bedient man sich dem documenta-Terminus.
Entscheidende Akteure bei dem Projekt waren außerdem Frau Andrea Schulze Wilmert, die als Kunstlehrerin mit Frau Dr. Peters entscheidenden Anstoß für das Projekt gab, Carolin Gaida, Jasmin Sindelar und Thomas Maxara.
Herr Hermes kommt rechtzeitig zurück, um uns seine Ideen für die Schule der Zukunft zu erläutern:
W.K.K.: Diese Projektwochen sind ja auch ein großes Experiment. Die Schüler:innen stellen sich sozusagen ihren eigene Stundenplan zusammen, es gilt das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit.
Lernen durch Erfahren statt Frontalunterricht: Kann das auch ein Weg im weiteren Schulalltag sein, um Wissen zu vermitteln und Gemeinschaftssinn zu stärken? Wie sieht die „Schule der Zukunft“ für Stefan Hermes und dem Gymnasium aus?
Hermes: Wir brauchen eine stärke Balance zwischen eben diesem projektbezogenen Arbeiten und dem klassischen Ansatz. Klassische Formen des Unterrichts möchte ich nicht komplett abschaffen wollen, weil diese aus meiner Sicht auch einen hohen Wert haben. Wenn diese klassische Form des Unterrichts gut gemacht ist, können die Lernenden auch viel davon mitnehmen, insbesondere die, die zu Hause wenig Unterstützung erfahren oder die sich mit dem selbstständigen Lernen etwas schwerer tun. Doch die Balance stimmt nicht mehr: Wir müssen aus meiner Sicht dahin kommen, dass es mehr Angebote gibt, in denen Schüler:innen selbstständig aktiv werden und auch selbstständig Angebote machen, die dann von anderen wahrgenommen werden können. Da sind wir schnell wieder bei den Ideen der diesjährigen documenta. Kreativität, Mitbestimmung, eigene Erfahrungen und Wünsche einbringen sind die Stichworte, die wir in Zukunft mehr beachten müssen. Wir sollten vor allen Dingen dafür sorgen, mehr Bildungsgerechtigkeit in die Schulen hinein zu bringen. Ich will nicht alles abschaffen, was wir bislang haben, sondern eine genaue Analyse vornehmen: Was hat sich bewährt, aber auch selbstkritisch mit sich und seiner Arbeit sein und erkennen, wo wir Kinder und Jugendliche anders fit machen für eine Zukunft als wir das bisher tun. Wir müssen aus meiner Sicht auch viel stärker an die Lebenswirklichkeit der Schüler:innen anknüpfen, die glaube ich, Lichtjahre von unserer entfernt ist, Stichwort Digitalisierung. Da müssen wir stärker ran, als wir das bisher leisten. Uns ist während der Corona-Zeit schon einiges gut gelungen in dem Bereich und haben die Schule digital auf Vordermann gebracht. Das darf aber nicht zu einem Ausruhen führen, sondern wir müssen uns an den Stellen weiterentwickeln, an denen es dringend notwendig ist. Wir haben uns verschiedene Schulen angeschaut, die den Akzent auf selbstständiges Arbeiten setzen. Bei uns kommt das Bestimmen von Themen und Zielen nach meiner Wahrnehmung noch zu kurz und wir werden sehen, ob wir die Schulgemeinde überzeugen können, stärker in diese Richtung zu gehen. Auch der ganze Bereich der Leistungsüberprüfung und Benotung müsste komplett überdacht werden. Wir haben die klassischen Formate wie Klausuren, Referate, Präsentationen, aber da gibt es noch so viel mehr, in denen die Schüler:innen Kompetenzen zeigen können, die wir momentan noch gar nicht abrufen. Da liegen Potentiale brach.
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W.K.K.: Schon während der Corona-Zeit stach ihre Schule heraus, denn Schüler:innen wurde es ziemlich schnell möglich gemacht, virtuell ihren Unterricht weiter zu besuchen. Hätten sie es als städtisches Gymnasium ungleich schwerer?
Hermes: Was ich sagen kann,ist, dass unsere aktuelle digitale Ausstattung besser ist als die vieler städtischer Gymnasien. Wir waren schon vor der Pandemie ganz gut aufgestellt. Ganz gut bedeutet aber noch lange nicht sehr gut, die Grenzen wurden uns dann während der Lockdown-Zeit schnell aufgezeigt.
Der Landkreis hat sich ad hoc flexibel gezeigt und Extralösungen für uns bereitgestellt. Deswegen konnten wir den Unterricht eins zu eins abbilden. 2023 mit der Ausweitung des Digitalpaktes erhoffen wir uns auch eine Stärkung des Wlans an unserer Schule, um ggf. den Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen, den Unterricht auch hier an der Schule in die Wohnungen der Schüler:innen zu streamen. Ob die Mittel an den städtischen Gymnasien andere sind, kann ich nicht beurteilen.
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W.K.K.: Vielen Dank für dieses erhellende Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern, Frau Dr. Peters und Herrn Hermes
Bleibt zu hoffen, dass nach diesen inspirierende Projektwochen viele anregende Impulse für die Zukunft bleiben. Näher an Themen zu lernen und zu arbeiten wird einer der großen Hauptaufgaben von Schulen werden, um brachliegende Kompetenzen hervorzuholen. Man darf auf die Umsetzung gespannt sein.
Von links: Dr. Jule Peters, Carolin Gaida, Felicitas Dölle, Luzia Lenz, Stefan Hermes
[ Gerrit Bräutigam | Redaktion ]
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