Kunst im Osten

Oksana Kyzymchuk, Leben reloaded
Ausstellungseröffnung im Hallenbad Ost am 03. März 2022

Es ist bitterkalt an diesem Donnerstag im März und bei dem Imbiss vor dem Parkplatz des Hallenbad Ost steht eine frierende Schlange Menschen. Currywurst mit Pommes ist wohl der Renner, leider liegen auf der angrenzenden Wiese die Überreste der Mahlzeiten herum, alte Pappteller, Plastikbesteck und Getränkedosen zieren den Rasen.

Es wirkt alles ein wenig ver­wahr­lost hier im Osten von Kas­sel, dem indus­trie­reichs­ten und wahr­schein­lich kan­tigs­ten Stadt­teil Kas­sels. Nicht umsonst hat die Stadt ein För­der­pro­gramm auf­ge­legt, das Wachs­tum und nach­hal­ti­ge Erneue­rung in der Unter­neu­stadt und Bet­ten­hau­sen verspricht.

Baden im Bauhausstil

Aber wenn man vor die beleuch­te­te Fas­sa­de des Hal­len­bad Ost tritt, ist das Flair sofort ein ande­res. 1929 vom Stadt­bau­amt im Bau­haus­stil ent­wor­fen und erbaut, wur­de es 1930 ein­ge­weiht und dien­te seit­dem nicht nur dem Frei­zeit­ver­gnü­gen. Gera­de in den Anfangs­jah­ren, als es in vie­len Kas­se­ler Woh­nun­gen noch kei­ne guten Wasch­mög­lich­kei­ten gab, wur­den die soge­nann­ten „Volks­ba­de­wan­nen“ von den Bewoh­nern ger­ne genutzt. Beheizt wur­de es übri­gens von dem 1894 eröff­ne­ten Gas­werk unweit des Hal­len­bads gele­gen, des­sen über­schüs­si­ge Wär­me­en­er­gie genutzt wurde.

Industrial Chic und Upcycling Art

Nach ein paar Trep­pen­stu­fen geht es hin­ein in das Gebäu­de und nach dem übli­chen Kon­troll­pro­ze­de­re in Zei­ten von Covid19 wird jeder per­sön­lich von der Gast­ge­be­rin Oksa­na Kyzym­chuk begrüßt. Etwa 200 mal darf sie an die­sem Abend ihre Begrü­ßungs­ri­tua­le aus­üben, die Ver­an­stal­tung ist gut besucht. Dann betritt man die ehe­ma­li­ge Schwimm­hal­le, spek­ta­ku­lär restau­riert in Indus­tri­al Chic, und die far­ben­fro­hen Bil­der und Skulp­tu­ren der 1983 in der Ukrai­ne gebo­re­nen Künst­le­rin knal­len einen direkt ins Auge. Jetzt ver­steht man auch, war­um die docu­men­ta fif­teen an die­ser neu­en Event­lo­ca­ti­on, umge­baut von den KM Archi­tek­ten Marc Köh­ler, Kei­van Karam­pour und Tho­mas Mey­er, nicht vor­bei kam. Marc Köh­ler ver­riet, dass wir wäh­rend der docu­men­ta vie­le Skulp­tu­ren sehen wer­den, mehr war aber nicht aus ihm herauszubekommen.

Leben reloaded

Oksa­na Kyzym­chuks Arbei­ten sind aus unter­schied­lichs­ten Mate­ria­li­en her­ge­stellt, Papier und Holz fin­den sich eben­so wie Glas und ver­schie­de­ne Fund­stü­cke, die sie in Bil­dern, Skulp­tu­ren, Col­la­gen und ande­ren Objek­ten verarbeitet.Wichtig ist ihr auch, dass die­se Fund­stü­cke gebraucht waren und eine Meta­mor­pho­se durch­ma­chen und als Upcy­cling Art nun eine neue Bestim­mung bekom­men. Aktu­ell arbei­tet sie mit Kera­mik, eini­ge Skulp­tu­ren fin­den sich in der Ausstellung.

Hommage an die Weiblichkeit

In den letz­ten zwei Coro­na-Jah­ren hat sich ihr Stil deut­lich ver­än­dert. Die stu­dier­te Gra­fik­de­si­gne­rin begibt sich immer mehr in die Male­rei und lässt das Gra­fi­sche hin­ter sich. Man­che Bil­der erin­nern an Picas­so, aber wie bei die­sem Ver­gleich eine Dame im Publi­kum gleich anmerk­te: Eine jun­ge Künst­le­rin muss man nicht gleich in die erst­bes­te Schub­la­de ste­cken, um Auf­merk­sam­keit zu erhei­schen. Ihre Hom­mage an die Weib­lich­keit und ihre visua­li­sier­ten Emo­tio­nen, ihre sehr fili­gran aus­ge­ar­bei­te­ten und ohne gro­ße Kon­tu­ren gemal­ten Bil­der zei­gen eine ganz eige­ne Her­an­ge­hens­wei­se und die Wer­ke schwe­ben gera­de­zu in den Rah­men.
20% der Erlö­se wer­den für Not­su­chen­de in der Ukrai­ne gespen­det, der lan­ge Schat­ten des Krie­ges war natür­lich all­ge­gen­wär­tig und man fühl­te mit der Künst­le­rin und ihrer Fami­lie. Oksa­na Kyzym­chuk wird ihrem Part­ner fol­gen und Kas­sel ver­las­sen. Rei­sen inspi­rie­re sie sehr, wie sie in einem Inter­view mit ART­van­ced ver­riet, viel­leicht kommt sie ja eines Tages mit neu­en Arbei­ten wie­der in die docu­men­ta-Stadt zurück.

[Ger­rit Bräu­ti­gam | Redaktion]