Kennen Sie Bode?
?
Am Anfang war…
… Arnold Bode
Wie kann man einen Menschen würdigen, wie soll man sich einem Maler, Designer, Hochschullehrer, Kurator und Ausstellungsmacher nähern, der in all diesen Metiers äußerst produktiv war, dessen Leistung aber auch darin bestand, dass er pausenlos neue Ideen hatte, mit denen er sich und sein Umfeld in eine ständige kreative Unruhe versetzte, die alle in Atem hielt. Mit einem überwältigendem dauerhaften Erfolg, denn ohne Arnold Bode würde Kassel auf der Weltkarte der Kunst keinen Platz haben.
Fällt in Kassel der Name Arnold Bode, so assoziieren die meisten Menschen damit „den Gründer der documenta“. Es gibt die arnold bode schule, eine Arnold-Bode-Straße, die Arnold-Bode-Stiftung, den Arnold Bode Preis. Doch die Sprengkraft seiner Ideen, lässt sich damit nicht ermessen.
Die Basis, auf der die erste documenta 1955 heranreifte, wurde bereits ein Vierteljahrhundert zuvor gelegt. Schon im Alter von 22 Jahren war der Künstler/Zeichner Arnold Bode an wichtigen Ausstellungen in der Orangerie beteiligt, in der Folge auch in den Jahren 1925, 1927 und 1929. Dank der überregional Beachtung dieser Kunstschauen war sein Weg zu einem renommierten Maler vorgezeichnet.
Doch für ihn hatte etwas ganz Anderes viel größere Bedeutung: Im Rahmen dieser Ausstellungen lernte er Künstler kennen, mit denen er sich in Gesprächen darüber austauschte, wie man eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst eigentlich organisieren sollte. Gut zwei Dutzend dieser ehemaligen Weggefährten waren denn auch 1955 in der ersten documenta zu sehen, mit der Arnold Bode den Besuchern vor allem die Arbeiten derjenigen Künstler nahebringen wollte, die während der NS-Zeit unter der Bezeichnung “Entartete Kunst” in Deutschland verfemt waren. Daher stand die Abstrakte Kunst, insbesondere die Abstrakte Malerei der 1920er und 1930er Jahre im Mittelpunkt der ersten Ausstellung in der Ruine des zerstörten Museums Fridericianum am Friedrichsplatz.
Typisch: Die erste documenta war weder bereits durchgeplant noch finanziert, da dachte Arnold Bode, dem Zeitgenossen nachsagten, dass er ebenso quirlig wie schusselig war und der deshalb stets ein Bündel von Notizen mit sich herumtrug, schon darüber nach, die Ausstellung im Vier-Jahres- Rhythmus zu wiederholen. Ein Macher, der den Glauben an Utopien auch über die Kriegswirren hinweg nicht verloren hatte und fortan der Bürokratie seine Visionen entgegensetzte und seine Träume Realität werden ließ.
Nun braucht jeder Kurator Visionen, um leere Hallen und Räume so zu bestücken, dass ein Kunsterlebnis darin zu einem Abenteuer mit nachhaltigen Wirkungen wird. Und Arnold Bode hatte außer diesen Visionen die große Gabe, für die Kunst auch Räume und Welten zu entdecken, in denen Werke eine völlig neue Bedeutung gewinnen konnten.
Parallel zu den ersten beiden documenten nahm Bodes Karriere als Designer Fahrt auf, doch das war ihm nicht genug. Denn mit den Ausstellungen hatte er sich zum Überkünstler gemacht, der die Arbeiten anderer ordnen, arrangieren und präsentieren konnte. Diese Inszenierung einer Ausstellung machte er zu einer eigenständigen Kunstform mit allergrößten Respekt vor „seinen“ Künstlern.
Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich erstaunlich, dass die Kasseler Kunsthochschule der Universität — sie hieß seinerzeit noch Kunstakademie — noch nicht nach einem ihrer bedeutendsten Absolventen und Lehrenden — umbenannt wurde.
Seine Lebensphilosophie, bereits das Nächste zu fordern, wenn man das Eine gerade erst erhalten hat, setzte Bode auch fort, nachdem ab der d4 1968 sein Einfluss auf die documenta geringer wurde. Jetzt waren es stadtplanerische Visionen, die er umsetzen wollte, insbesondere den Herkules und das Oktogon betreffend, nebst einer umgekehrten Lichtpyramide, die er dem pyramidalen Denkmal hoch über der Stadt entgegensetzen wollte. Es war seine letzte aufregende Vision. Arnold Bode, der neben seiner Genialität das Glück hatte, der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit gewesen zu sein, starb im Alter von 77 Jahren am 3. Oktober 1977 in seiner Heimatstadt, die sein Vermächtnis u.a. mit dem Titel ‚documenta-Stadt‘ unter dem Ortsnamen ehrt.
„Hole Anzug schon morgen
früh um acht“,
telegrafierte ein Stammkunde an die Maßschneiderei Stephan & Mangler in Kassel, Ständeplatz 9. Und ihre Inhaber, zwei ältere Herren, hielten den bestellten Dreiteiler auch pünktlich bereit – nebst einer ernsten Ermahnung. „Erschrecken Sie uns nie wieder mit einem Telegramm“, beschworen sie den Abholer: „Wir mussten ja annehmen, es ginge um
Leben oder Tod.”
Der ungeduldige Kunde war der Kasseler Maler Arnold Bode (1900–1977), Professor an der Werkakademie und Erfinder der documenta. Wieder einmal hatte ein Mittel gewirkt, das der alerte Künstler damals – am Anfang der sechziger Jahre – routiniert einsetzte, wenn es darauf ankam, Adressaten zu beeindrucken. Telegramme galten als teuer und waren darum meist wichtigen Mitteilungen vorbehalten. Und so gesehen ist die Vermutung gestattet, dass Bode seine Garderobe wichtig nahm – und das nicht nur an diesem Morgen.
Der Mensch Bode
»Widerstand zwecklos«
165 cm
„Bode war von untersetzter Gestalt, nur einsfünfundsechzig groß. Dieser kleine, immer etwas unordentlich wirkende rastlose Mann erschien mir in all den Jahren, da wir einander persönlich begegneten, mit all seinen Fehlern und Schwächen ein Beispiel für das,was menschliche Größe in unserer Welt bedeuten kann. …“
(Alfred Nemeczek)
Mit dunkler Brille
„Wenn ich aus der Erinnerung das Bild Arnold Bodes zeichnen soll, so steht ein kleiner Mann vor mir mit dunkler Brille und quer über die Stirn gekämmtem Haar, wuselig, fast zappelig in seinen Bewegungen, schusselig mit seinen Packen von Papier, Notizen, Skizzen, Entwürfen hantierend, von Ideen rastlos umgetrieben, alles andere als ein Würdenträger oder eine Person, die nur auf Grund ihres Amtes unseren Respekt erheischt.“
(Wieland Schmied)
Mit dem Herzen
„Er sprach mit dem Herzen, was er sagte, war glaubhaft und wahrhaftig. Und er sagte oft „wir“. Das war kein gebietender, kein vereinnahmender Pluralis Majestatis, sondern ein einnehmendes, einbeziehendes, ein ernstgemeintes Wir. Bode war nie ichbezogen, war gänzlich uneitel, nie rechthaberisch, aber davon überzeugt, dass, wenn er selbst von einer Sache überzeugt war, und die Sache hieß ja zumeist Kunst, dass andere gleichermaßen davon überzeugt sein müssten. …“
(Heiner Georsdorf)
Visionen
„Bode war ein Mann der Tat und des Instinkts, alles andere als ein Theoretiker oder Systematiker, visuell denkend in künstlerischen Kategorien und nicht in Begriffen zu Hause.“
(Wieland Schmied)
Unruhestifter
„Bode … erreichte Ziele, indem er über sie hinausging. Er war der geborene Unruhestifter, wozu auch gehörte, dass er Niederlagen schnell und restlos aus seinem Bewusstsein tilgte. Das war seine Lebenslist, seine überlebenslist. Er begann immer wieder von vorne, mit einer neuen Idee im Kopf, mit einem neuen Projekt.“
(Lothar Orzechowski)
Seinen gültigsten Ausdruck fand Bodes lebenslanger Kampf für
„die zweite Ordnung der Dinge“.
Der „poetische Raum“
„Er spürte in sich so etwas wie einen poetischen Resonanzraum, in dem sich die Kunst entfalten konnte und ihn zu alldem beflügelte, was er in seinem Leben unternommen hat. Diesen Raum, der, so meinte er, eigentlich allen Menschen gemeinsam sein musste, wollte er mit Hilfe der Kunstwerke und ihrer Inszenierung visuell anschaulich machen und damit die Einsicht vermitteln, dass jeder von uns in diesen Raum eintreten und ihm angehören konnte.“
(Wieland Schmied)
Marlou Bode und Gastgeber-Qualität
Arnold Bode hatte das große Glück in der aus dem Elsaß stammenden, acht Jahre jüngeren quirligen Marlou die ideale verständnisvolle Lebensgefährtin zu finden. Marlou Bode trug mit ihren Kochkünsten entscheidend zu Bodes Gastgeber-Qualität bei. Mit ihrer exzellenten Kochkunst begeisterte sie jeden Gourmet. Dabei war Marlou Bode aber nicht nur auf Kochkünste zu reduzieren. Sie war ein ebenso kommunikativer Mensch wie Arnold Bode und kam ohne Umschweife zum Punkt.
Stilfragen
Natürlich hatte Bode auch seine Marotten, von denen Marlou Bode berichtet:
„Unter der Uniform trug er im Krieg seidene Hemden.“
Eröffnungsfeier der Ausstellung „Zum Fünfundsiebzigsten Geburtstag von Arnold Bode“, Kasseler Kunstverein, 1975
Bürokratie
„Für Bürokratie hatte er nichts übrig, sie hat er, wenn nicht gehasst, dann gründlich ignoriert als ein Übel, von dessen Notwendigkeit ihn nichts überzeugen konnte.“
(Wieland Schmied)
Geldsorgen
„Er war nicht geldgierig, träumte aber bisweilen von einem Ausgleich für Opfer, die er für seine documenta gebracht hatte.“
(Alfred Nemeczek)
„Zeit seines Lebens plagten Arnold Bode und seine Familie Geldsorgen. Zur documenta III wollte man ihn sogar persönlich für das Defizit haftbar machen. … Erst heute, im Zeitalter der Globalisierung und einer Neubewertung der sogenannten „weichen Standortfaktoren“, wird deutlich, welch’unbezahlbares Geschenk er seiner Stadt Kassel gemacht hat. Da wirkt es geradezu absurd, wenn diejenigen, die ihn persönlich kannten, anekdotenreich von der großen materiellen Not berichten, die ihn zeitlebens begleitet hat. Das verpflichtet, sorgfältig mit seinem Erbe umzugehen.“
“Dass man ihm in den siebziger Jahren sein Instrument documenta mehr und mehr entwunden hat, ging Bode an den Lebensnerv. Das Alter begann sein Recht zu fordern. Während der documenta 6 lieferte man ihn ins Krankenhaus ein, was ihn trotz nachlassender Kräfte bis zuletzt nicht hinderte, weitere Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Marlou Bode berichtete in einem Gespräch mit Lothar Orzechowski, dass Joseph Beuys zu seinen letzten Besuchern gehört hat. Da habe Arnold Bode wohl schon gar nicht mehr gesprochen. Doch Beuys bezeugte, sie hätten „ein langes und tiefes Gespräch“ gehabt. Ein Gespräch wohl von der Art, dürfen wir ergänzen, wie es nur Menschen führen können, die in jenem poetischen Raum zu Hause sind, von dem Arnold Bode uns Kenntnis gegeben hat.”
(Prof. Dr. Wieland Schmied)
Textauszug aus der Laudatio von Wieland Schmied
aus Anlass der Feier zu seinem 100. Geburtstag
Kassel, 15. Dezember 2000, documenta Halle
„Der kleine Meister“,
wie seine Studenten ihn liebevoll nannten, war von untersetzter Gestalt und nur einsfünfundsechzig groß, hatte also nicht unbedingt eine gängige Konfektionsfigur. Schon deshalb lag Maßanfertigung nahe, und Bode nutzte sie lustvoll auch zur Auswahl weicher Woll- und mattglänzender Seidenstoffe für seine gedeckten Einreiher mit Weste. Er sah darin keineswegs aus „wie frisch aus dem Ei gepellt“ , sondern war so unauffällig gekleidet, dass es Kennern prompt auffallen musste. Auf Reisen in seinem flamboyanten Citroën ID 19 trug er englische Kaschmir-Jacken mit Hahnentritt-Dessin, auch schon mal eine beige Windbluse aus gechintzter Baumwolle und dazu immer eine Art Baskenmütze mit eingearbeitetem Schild der Marke Kangool. Zum dunkelblauen Stadtmantel — Raglanschnitt, verdeckte Knopfleiste – gehörte hingegen ein Borsalino.
Apropos Weste.
Für festliche Anlässe besaß Arnold Bode ein Modell, dessen matte Weißgoldknöpfe aus der Werkstatt seiner Tochter, der Bildhauerin Nele, stammten – ebenso wie die als Schichtrelief gearbeiteten Manschettenknöpfe. Der Mann legte auf sein Outfit schon verdammt viel Wert, lässt sich behaupten. Hatte er auch Stil?
Gut angezogen ist ja auch der Dandy, ein Typ aus dem Panoptikum der Gecken, mit dem Bode aber auch gar nichts gemeinsam hatte. Und Stil war seinerzeit auch noch nicht zum LifeStyle verkommen, den einer sich umhängt wie eine Pelerine. Wer Bode Stil bescheinigt, bescheinigt ihm zugleich Haltung in einem heute womöglich altmodisch anmutenden Sinn. »Le style c‘est l‘homme«, diese Definition des französischen Naturforschers Georges Louis Leclerc Buffon (1707–1788), war mehr als nur ein geflügeltes Wort aus dem Zitatenlexikon. „Der Stil, das ist der Mensch (selbst)“ – in dieser Feststellung steckte zugleich ein moralischer Imperativ. Stil zeigte sich mit jeder Geste — oder man hatte halt keinen. Stil setzte ein System voraus, dem man seine ganze Existenz unterworfen hatte.
Im Fall von Arnold Bode hieß das System „die zweite Ordnung der Dinge“ . Die galt es herzustellen, und somit war auch das Feinbild klar: die allseits grassierende Unordnung.
Bode fiel es schwer, eine Ausstellung zu ertragen, die er nicht selber eingerichtet hatte. Und das nicht aus Arroganz, sondern weil er mit besserer Einsicht geradezu geschlagen war. Wie ein Musiker mit absolutem Gehör, dem jeder Misston wehtut, reagierte Bodes absoluter Blick auf die visuellen Defizite seiner Umwelt. Er spürte Chaos in scheinbar wohlgeordneten Museen, Galerien, Skulpturenparks und besonders in den Ateliers seiner Studenten: „Malt mir die Türen schwarz“ , verlangte er, „weißt die Wände, räumt das Atelier auf, oder ich komme nicht zur Korrektur eurer Bilder.“ Das Sekretariat seiner documenta 3 (1964), eine ehemalige Arztpraxis in der Fünffensterstraße 8, hat er aus Protest gegen die zu winzigen Räume und das spießige, vom Geschäftsführer aus Sparsamkeitsgründen übernommene Mobiliar des Vormieters jahrelang zu keiner Sitzung betreten.
Das auch intelligenten Zeitgenossen verloren gegangene Gefühl für Form und Proportion schmerzte Bode auf Industriemessen und beim Gang durch die unsensibel wiederaufgebaute Innenstadt von Kassel, deren Kulturzone er ungefragt immer wieder umplante. Sogar beim Durchblättern der Tageszeitung wurde er böse. Der typografische Wirrwarr des Kasseler Lokalblatts war ihm derart verhasst, dass er den Verleger der „Hessischen Allgemeinen“ so lange nervte, bis Paul Dierichs den Kasseler Grafiker Karl Oskar Blase tatsächlich eines Tages mit der Runderneuerung des Layouts beauftragte. Eine Wohltat, die leider längst wieder abgeschafft ist.
Seinen gültigsten Ausdruck fand Bodes lebenslanger Kampf für „die zweite Ordnung der Dinge“ in den vielen Ausstellungen, die er zu einer Zeit inszenierte, als das „Inszenieren“ von Kunst auf der internationalen Szene noch als Sakrileg galt. Bei seiner ersten documenta im Jahr 1955 gelangen ihm im zerbombten, nur provisorisch hergerichteten Museum Fridericianum geradezu magische Räume. „Wunderbare Klarheit und festliche, fast tempelhafte Sammlung und Stille“ , konstatierte Friedrich Herbordt, Kasseler documenta-Kritiker der ersten Stunde. Bode glaubte an eine Wechselbeziehung von Kunstwerk und Raum, die keinen Kompromiss erlaubte. Nur das in einer Schau an seinem einzig möglichen, optimalen Ort platzierte Werk stimulierte nämlich beim Betrachter ein „visuelles Begreifen“ , das dem rein intellektuellen Begreifen überlegen war.
Malte Bode also „mit den Werken anderer Maler„, wie ein Künstlerkollege meinte? Manfred Schneckenburger, Kurator der documenta-Ausstellungen 6 und 8, widersprach: „Seine Inszenierung zielte auf kein Gesamtkunstwerk, sondern auf den besseren, direkteren Zugang zur Kunst.“ Und der Kritiker Peter M. Bode ging noch weiter: „Mein Vater glaubte an die Verbesserung der Zustände durch ästhetische Eingriffe.“
Von Bodes Stil, der wohltuende Klarheit mit Überwältigung verband, waren die Raumkonzepte der ersten drei documenta-Folgen geprägt. Und in jenen Jahren (von 1955 bis 1965) wurden seine Wohnungen – erst in der Weyrauch‑, dann in der Lindenstraße – zum Open House für internationale Museumdirektoren, Galeristen, Journalisten und die prominentesten Künstlerinnen und Künstler der westlichen Welt. Sie besuchten dort den Mr. documenta und erlebten eine Gastlichkeit, deren Noblesse weder etwas Großbürgerliches an sich hatte noch den leisesten Hauch von Boheme. Aber alles war auf der Höhe der Zeit, und alles stimmte. .
Zwei ineinandergehende Räume von eher bescheidenen Abmessungen ließen das Tageslicht nur durch vorgespannte Filterfolien herein. Eines der Fenster war zudem Vitrine, auf deren Glasborden sich Kleinplastiken von Nele und Henry Moore, aber auch Multiples, gerahmte Zeichnungen und römische Gläser im Gegenlicht zu einem kultivierten bric-à-brac formierten, wie Bodes Ehefrau Marlou diesen Mix genannt hätte. Sie stammte aus dem Elsass und deckte den (natürlich von Bode entworfenen) Tisch mit dem schwarzen Porzellan, das der finnische Designer Tapio Wirkkala soeben für die Firma Rosenthal entworfen hatte. Bode gehörte lange zu den Rosenthal-„Studiohaus“-Beratern. Glücklicherweise bewahrte Marlou Bodes Herkunft die Gäste vor so berüchtigten Kasseler „Schmecke-wöhlerchen“ wie Weckewerk – ihre exzellente Kochkunst kombinierte französische mit italienischer Küche und begeisterte Gourmets.
Abends fiel durch Leuchtröhren hinter den Fensterfolien indirektes Licht ein, das durch Decken- und Stativstrahler in Becherfassungen gemildert wurde. Getrunken wurde abwechselnd Frankenwein und Mineralwasser der Marke San Pellegrino; als Digestif kam fast nur Armagnac der Marke Jeanneau in Frage, der in voluminösen Schwenkern serviert wurde. Weder Bode noch seine Frau wären je auf die Idee gekommen, das Gespräch unter den Gästen mit Klassik aus ihrer Braun-Anlage zu untermalen, wie es dazumal Brauch war.
Marlou und Arnold Bode, kein Zweifel, hatten Stil, und gewiss hatte der Professor auch Marotten. Eine gab die Witwe in einem Interview preis: „Unter der Uniform trug er im Krieg seidene Hemden.„ In Kneipen saß er notorisch mit dem Rücken zur Wand – „alte Höhlenmentalität„, wie er sagte. Und wenn er im Café Däche am Rathaus das sensationelle Prager Schnitzel bestellte, befreite er es auf der Stelle von seiner unübertrefflichen Pilz-Speck-Kräuter-Sahne-Sauce, um das Fleisch pur zu genießen.
Als stillos anzukreiden wäre ihm der autoritäre Gebrauch des Mediums Telegramm. Doch die wenigsten dieser oft seitenlangen Depeschen betrafen Petitessen wie seine nach Maß geschneiderte Kleidung. „Ihm ging es„, bezeugte seine Frau, „immer um die Sache. Was er für richtig hielt, wollte er durchsetzen, aber Selbstbespiegelung war ihm fremd. In dieser Hinsicht war er der uneitelste Mensch, den ich kannte.„
[Alfred Nemeczek]
Biografie Arnold Bode
Alfred Nemeczek, von 1967 bis 1998 Kulturredakteur der Magazine „Spiegel“, „Stern“ und „art“, stammt aus Kassel und lebt als freier Autor in Hamburg. Sein jüngstes Buch – Titel: „documenta“ (Europäische Verlagsanstalt, Hamburg) – analysiert Geschichte und Problematik der Kasseler Weltkunst-Schau, deren Pressesprecher er während der documenta 3 (1964) gewesen ist.
Der Mensch – Arnold Bode
Timeline
Arnold Bode in den 20er Jahren auf dem Friedrichsplatz
Bode mit den Fahnen des documenta-Kataloges, 1955
Expo, German Pavillon, Montreal 1967:
Karl Oskar Blase, Arnold Bode, ein Kunst-Student und Nele Bode
»
Eine Vorschau:
Was könnte noch kommen?
Ich versuche, die „Geschichte meines Lebens“ zu schreiben… mit einem Kapitel über unsere Familie – und einem Kapitel, was ich so gemacht habe: welche Aufträge durchgeführt – die Göppinger Galerie in Frankfurt! u.s.w. – ein Kapitel, welche Auszeichnungen und Orden ich bekommen habe, welche Kunstpreise – 1975 den Preis in Köln, in der Nachfolge von Sandberg und Barr – und so geht die Geschichte weiter… weiter und weiter – hoffentlich wird sie mal fertig – die „Geschichte meines Lebens“!
«
»
Leben kann man bleiben, noch ein wenig länger, wenn
man träumt, hofft, noch arbeiten kann, noch arbeiten muß,
vielleicht weil man 15 Jahre verloren hat – von 1933 bis
1948 –, wie so viele in unserem Alter, und wenn man
Freunde hat!
So kommt der Dank:
Dank an Marlou, Dank den Kindern, den Kindeskindern!
Dank den Freunden: Herbert von Buttlar, Knud Jensen,
Hans Mangold, Karl-Oskar Blase,
Dank an Ela Spornitz.
«
†
Arnold Bode starb am 3. Oktober 1977.