Keine Eingriffe in die 

[ Von Wolf­ram Brem­ei­er – Hans Eichel – Bert­ram Hilgen ]

Es gibt ein gro­ßes Miss­ver­ständ­nis über die docu­men­ta, das für sie exis­tenz­be­dro­hend wer­den kann. Sie sei ein deut­sches Ereig­nis, „ein Leucht­punkt deut­scher Kul­tur“ (SZ vom 08.02.) Die­ses Miss­ver­ständ­nis durch­zieht auch gro­ße Tei­le des Berichts, den das Gre­mi­um zur „fach­wis­sen­schaft­li­chen Beglei­tung“ der docu­men­ta fif­teen erstat­tet hat. Tat­säch­lich ist die docu­men­ta spä­tes­tens seit 1997, als Cathe­ri­ne David die d’10 zur „Welt­kunst­aus­stel­lung“ erklär­te, ein Welt­ereig­nis, das haupt­säch­lich in Deutsch­land, in Kas­sel statt­fin­det. Sie ist längst das Forum der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de. Sie ist kei­ne deut­sche Ver­an­stal­tung mehr mit inter­na­tio­na­len Künst­le­rin­nen und Künst­lern. Die Ver­ant­wor­tung ist daher auch anders ver­teilt als bei deut­schen Veranstaltungen.

Alle künst­le­ri­schen Fra­gen, zunächst die Lei­tungs­funk­ti­on und ihr Zustan­de­kom­men wer­den de fac­to in unab­hän­gi­gen, inter­na­tio­nal besetz­ten Gre­mi­en ent­schie­den. Die ehe­ma­li­gen docu­men­ta-Kura­to­ren nomi­nie­ren die inter­na­tio­nal besetz­te Fin­dungs­kom­mis­si­on, die ihrer­seits einen Vor­schlag für die künst­le­ri­sche Lei­tung der docu­men­ta macht. Die künst­le­ri­sche Lei­tung ist dann im Rah­men der vom Grund­ge­setz garan­tier­ten Kunst­frei­heit voll­kom­men frei und allein­ver­ant­wort­lich für die Aus­wahl der Künst­le­rin­nen und Künst­ler, für Kon­zept, Inhalt, Ver­mitt­lung und Erschei­nungs­bild. So ist jede docu­men­ta, spä­tes­tens seit der d‘5 von Harald Sze­e­mann, im öffent­li­chen Bewusst­sein nament­lich mit ihrer Kura­to­rin, ihrem Kura­tor, ihrem Kura­to­ren­team verbunden.

Auf­ga­ben der Gesell­schaf­ter der docu­men­ta eGmbH, also Stadt Kas­sel und Land Hes­sen, des fakul­ta­ti­ven Auf­sichts­rats und der Geschäfts­füh­rung sind die Orga­ni­sa­ti­on und Finan­zie­rung und deren Über­wa­chung. Kei­ner­lei Ein­fluss haben sie dage­gen auf die der künst­le­ri­schen Lei­tung zuge­ord­ne­ten Ver­ant­wor­tungs­be­rei­che. Sie haben sich bewusst dar­aus zurück­ge­zo­gen in der Ein­sicht, dass ihnen die nöti­ge Exper­ti­se fehlt und dass jede natio­na­le poli­ti­sche Ein­fluss­nah­me den glo­ba­len Anspruch und die glo­ba­le Bedeu­tung der docu­men­ta zerstört.

Und genau hier beginnt das Pro­blem mit dem Bericht der „fach­wis­sen­schaft­li­chen Beglei­tung“. Sei­ne ers­te Emp­feh­lung für die zukünf­ti­ge Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur der docu­men­ta: „Die Klä­rung der Auf­ga­ben­tei­lung zwi­schen Geschäfts­füh­rung und künst­le­ri­scher Lei­tung und eine Stär­kung der inhalt­li­chen Kom­pe­ten­zen der Geschäfts­füh­rung, die die Letzt­ver­ant­wor­tung der öffent­li­chen Hand für die Aus­stel­lun­gen wider­spie­gelt.“ Was kon­kret gemeint ist, sagt der Bericht gegen Ende: „… dass sich eine voll­stän­di­ge Ver­or­tung der Ver­ant­wor­tung für die Aus­stel­lungs­in­hal­te bei der künst­le­ri­schen Lei­tung im Ernst­fall nicht durch­hal­ten lässt“, wes­halb hier for­mel­le Zustän­dig­kei­ten der Geschäfts­füh­rung eta­bliert wer­den müss­ten. „Mil­des­tes Mit­tel“ sei ein Recht der Geschäfts­füh­rung auf „Kon­tex­tua­li­sie­rung und gege­be­nen­falls kri­ti­sche Kom­men­tie­rung von Wer­ken …, die in Kon­flikt zu grund­le­gen­den Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en ste­hen“. Bis­her war klar, dass die Kunst­frei­heit ihre Gren­zen aus­schließ­lich im Straf­recht fin­det, und dass dar­über letzt­lich nur Gerich­te, nicht aber z.B. Bediens­te­te einer Kul­tus­ver­wal­tung oder Poli­ti­ker ent­schei­den. Die­sem Vor­schlag muss also schon aus grund­sätz­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Erwä­gun­gen wider­spro­chen werden.

Die­se Ein­schrän­kung der Kunst­frei­heit gefähr­det auch unmit­tel­bar die docu­men­ta. Als Forum der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de ver­sam­melt sie die unter­schied­lichs­ten Posi­tio­nen von Künst­le­rin­nen und Künst­lern, die auch poli­tisch ganz unter­schied­lich den­ken. Wenn nun nicht mehr das deut­sche Straf­recht, das ja durch­aus auf die Ver­let­zung von grund­le­gen­den Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en reagiert, die Gren­zen des auf der docu­men­ta Zeig- und Sag­ba­ren zieht, die­se Gren­zen also enger gezo­gen wer­den und die Geschäfts­füh­rung des­halb ein Recht auf Ein­griff in die Aus­stel­lung erhält, hat das zwei Konsequenzen:

Zum einen: Das Forum, das die docu­men­ta bis­her der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de bie­tet, droht wesent­lich klei­ner zu wer­den, eine Rei­he von künst­le­ri­schen Posi­tio­nen kön­nen womög­lich nicht mehr auf­ge­nom­men wer­den, weil die poli­ti­schen Posi­tio­nen der Künst­le­rin­nen und Künst­ler umstrit­ten sind, Bei­spiel: BDS-Nähe. Zwar ist der Bun­des­tags­be­schluss, BDS sei anti­se­mi­tisch und BDS — Anhän­gern müss­ten des­halb öffent­li­che Räu­me und För­de­rung ver­wei­gert wer­den, im Fal­le sei­ner Ver­wirk­li­chung eine grund­ge­setz­wid­ri­ge Ein­schrän­kung der Mei­nungs­äu­ße­rungs­frei­heit, wie der Wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­ta­ges, das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt und Chris­toph Möl­lers in sei­nem Gut­ach­ten fest­stel­len, aber der öffent­li­che Druck, Künst­le­rin­nen und Künst­ler des­we­gen von der docu­men­ta aus­zu­schlie­ßen, kann stark sein. Über­haupt nimmt die Ten­denz, Künst­le­rin­nen und Künst­ler wegen ihrer — oft ver­mu­te­ten — poli­ti­schen Gesin­nung Auf­trit­te in Deutsch­land unmög­lich zu machen, deut­lich zu. Für die Bedeu­tung der docu­men­ta als Forum der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de wäre das töd­lich. Deutsch­lands Kul­tur schnit­te sich selbst von einem Teil des inter­na­tio­na­len kul­tu­rel­len Lebens ab. Nein, es muss glas­klar bei der im Grund­ge­setz garan­tier­ten Kunst­frei­heit, die ihre Gren­ze nur im Straf­recht und damit nur durch Rich­ter­spruch fin­det, blei­ben. Das, und nur das ist die Letzt­ver­ant­wor­tung der öffent­li­chen Hand für die docu­men­ta. Alles inner­halb die­ses Rah­mens liegt in der allei­ni­gen Ent­schei­dung der künst­le­ri­schen Lei­tung. Nicht staat­li­che Ein­grif­fe, son­dern Debat­ten, wo nötig auch hef­ti­ge, in der Zivil­ge­sell­schaft sind die Ant­wort in der Demo­kra­tie. Das gilt z.B. auch für BDS, wofür man als Deut­scher schon des­we­gen nicht sein kann, weil man sich erin­nert, dass mit dem Boy­kott jüdi­scher Geschäf­te die Juden­ver­fol­gung begann, die im Holo­caust ende­te. Des­halb kann docu­men­ta nur in einer Demo­kra­tie statt­fin­den, die die­se Kunst­frei­heit gewährt, die jeg­li­che Art von Zen­sur ver­bie­tet und die öffent­li­che Debat­te ermöglicht.

Zum ande­ren: Des­halb dür­fen der Geschäfts­füh­re­rin, dem Geschäfts­füh­rer kei­ne die­se Kunst­frei­heit ein­engen­den Ein­griffs­rech­te in die docu­men­ta gege­ben und zuge­mu­tet wer­den.
Eine so insti­tu­tio­nell ein­ge­bau­te Front­stel­lung zwi­schen Geschäfts­füh­rung und künst­le­ri­scher Lei­tung ist eine Bedro­hung für die ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit, die hier oft beson­ders schwie­rig, aber auch beson­ders not­wen­dig ist, weil mit­un­ter gro­ße kul­tu­rel­le Unter­schie­de auf­ein­an­der­pral­len. Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Geschäfts­füh­rung und künst­le­ri­scher Lei­tung, die es immer gege­ben hat, müs­sen ver­trau­lich und hier­ar­chie­frei blei­ben.
Erst­mals bei der docu­men­ta fif­teen — und nie­mals davor — hat die Geschäfts­füh­rung in die Aus­stel­lung ein­ge­grif­fen, als sie den Abbau von „People’s Jus­ti­ce“ von Taring Padi anord­ne­te. Das war ein Ver­stoß gegen die Kunst­frei­heit, wie der ehe­ma­li­ge Prä­si­dent des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, Prof.Dr. Hans-Jür­gen Papier, kürz­lich in einem Vor­trag in Kas­sel fest­stell­te. Es kam nur des­we­gen nicht zum Eklat, weil gleich­zei­tig ruan­grupa nach inten­si­ver Dis­kus­si­on mit Taring Padi und mit deren Ein­ver­ständ­nis selbst den Abbau beschlos­sen hat­ten. Aber das Ver­trau­en zwi­schen Geschäfts­füh­rung und künst­le­ri­scher Lei­tung war zer­stört. Des­we­gen Alex­an­der Faren­holtz, der auf Sabi­ne Schor­mann folg­te, die sich ansons­ten gro­ße Ver­diens­te um die docu­men­ta fif­teen erwor­ben hat­te, Pflicht­ver­let­zung vor­zu­wer­fen, weil er sich wei­ger­te, dies­seits der straf­recht­li­chen Gren­zen in die Aus­stel­lung ein­zu­grei­fen, wie es der Abschluss­be­richt tut, ist abso­lut unver­ständ­lich. Der neue Geschäfts­füh­rer muss­te alle Ener­gie dar­auf ver­wen­den, ruan­grupa und die Künst­le­rin­nen und Künst­lern, die sich durch die inzwi­schen ins Hys­te­ri­sche gestei­ger­ten Anti­se­mi­tis­mus­vor­wür­fen in ihren Arbei­ten kaum noch wahr­ge­nom­men fühl­ten, neu für die docu­men­ta zu gewin­nen. In der docu­men­ta selbst gab es star­ke Befürch­tun­gen, dass ruan­grupa und gro­ße Tei­le der Künst­ler­kol­lek­ti­ve frus­triert abrei­sen wür­den. Das wäre das Ende die­ser docu­men­ta und womög­lich das Ende ihrer Ein­zig­ar­tig­keit und Welt­gel­tung, die ja gera­de auf ihrer Frei­heit beruht, gewesen.

Es hät­te übri­gens der prak­ti­schen Bedeu­tung der Emp­feh­lun­gen des Abschluss­be­richts nicht gescha­det, wenn die sie­ben Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler, von denen nur Mari­on Acker­mann weiß, was Kura­tie­ren einer Kunst­aus­stel­lung bedeu­tet, sich ein­mal bei Bernd Lei­feld, der ab der d’10 vier­mal das Welt­kunst­er­eig­nis als Geschäfts­füh­rer tadel­los orga­ni­siert hat­te, Aus­künf­te über das — in der Tat nicht ein­fa­che — Zusam­men­spiel von Geschäfts­füh­rung, künst­le­ri­scher Lei­tung und den Künst­le­rin­nen und Künst­lern ein­ge­holt hätten.

Nein, dies­mal war der Geschäfts­füh­rer, war Alex­an­der Faren­holtz, das letz­te ver­blie­be­ne Boll­werk, gegen Ein­grif­fe in die vom Grund­ge­setz ver­brief­te Frei­heit auch der docu­men­ta. Da er als ers­ter haupt­amt­li­cher Geschäfts­füh­rer die d‘9 von Jan Hoet erfolg­reich orga­ni­siert und spä­ter als Ver­tre­ter der Bun­des­kul­tur­stif­tung dem Auf­sichts­rat der docu­men­ta ange­hört hat­te, wuss­te er genau, was die docu­men­ta erfor­dert. Nie­mand in der „fach­wis­sen­schaft­li­chen Beglei­tung“ dage­gen hat­te irgend­ei­ne docu­men­ta-Erfah­rung. Bei allen docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen zuvor waren immer der Auf­sichts­rat und beson­ders sein Vor­sit­zen­der, das Boll­werk gegen Ein­grif­fe von außen in die Aus­stel­lung. Zum ers­ten Mal in der Geschich­te der docu­men­ta ver­such­ten sie nun bei der docu­men­ta fif­teen selbst in die Aus­stel­lung ein­zu­grei­fen, drei­mal sogar. Nein, ihnen war nicht die docu­men­ta „ent­glit­ten“, wie die Süd­deut­sche Zei­tung in dem schon erwähn­ten Arti­kel mein­te. Der docu­men­ta waren die Gesell­schaf­ter, der Auf­sichts­rat, der Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­de, die wis­sen was docu­men­ta ist, die ent­schlos­sen ihre Frei­heit ver­tei­di­gen, abhandengekommen.

Wenn die Gesell­schaf­ter mei­nen, die docu­men­ta inhalt­lich öffent­lich kri­ti­sie­ren zu müs­sen, dann soll­ten sie das tun, aber das nicht auf die Geschäfts­füh­rung abschie­ben und so in der docu­men­ta das not­wen­di­ge ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­wir­ken der Akteu­re unmög­lich machen. Im Übri­gen: wol­len wir wirk­lich Regie­run­gen, die uns sagen, wie wir ein­zel­ne Kunst­wer­ke zu betrach­ten haben?

Und voll­kom­men abwe­gig ist die Erwä­gung des Abschluss­be­richts, neben dem Geschäfts­füh­rer einen künst­le­ri­schen Inten­dan­ten zu instal­lie­ren. Er soll offen­bar als stän­di­ger Ober­auf­se­her die deut­sche Sicht in der docu­men­ta durch­set­zen. Die­ses „betreu­te Kura­tie­ren“ wür­de die glo­ba­le Bedeu­tung der docu­men­ta zer­stö­ren. Kein Kura­tor von inter­na­tio­na­lem Rang wür­de sich mehr für die docu­men­ta fin­den las­sen. „Künst­le­ri­scher Inten­dant“ der docu­men­ta ist nur die von der inter­na­tio­na­len Fin­dungs­kom­mis­si­on vor­ge­schla­ge­ne künst­le­ri­sche Lei­tung, jedes Mal neu, jedes Mal eine neue Chan­ce, ein neu­es Risiko.

Nein, die­se Emp­feh­lung des Abschluss­be­richts darf nicht umge­setzt wer­den. Die docu­men­ta wür­de sonst irrepa­ra­blen Scha­den neh­men, sie ver­lö­re ihre glo­ba­le Repu­ta­ti­on, wür­de zurück­ge­stuft auf eine deut­sche Ver­an­stal­tung mit poli­tisch geneh­men inter­na­tio­na­len Künst­le­rin­nen und Künst­lern. Die Idee Arnold Bodes wäre tot.

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