© Foto: Die­ter Schwerdle

Karl- Oskar Blase

1925–2016

Bilder drängen nach oben ins Bewusstsein. Alles ist so lang her, damals, als wir ihn in seinem Haus in der Kuhbergstraße 47 in Kassel besuchten. Elvira Zickendraht, die Fotografin, und ich zu einem Interview für ein Buch über Kasseler Leute. Wie er mit mir an dem großen Arbeitstisch im Atelier saß, und seinen Gedanken nachhing, sie ordnete.

Karl Oskar Bla­se war kein Mensch der schnel­len, spon­ta­nen Ant­wort. Das Reden, das Erin­nern ström­te nicht ein­fach so aus ihm her­aus. Er nahm sich Zeit, gestat­te­te sich Gedan­ken­ver­zwei­gun­gen. Und eben so, fast zögernd sag­te er eben dann, dass er in sei­ner Arbeit immer auf den Bau­haus-Gedan­ken bezo­gen war, und zugleich des­sen Über­win­dung ange­strebt habe. In einer Ver­bin­dung zwi­schen Kunst und prak­ti­schem Leben hat­te er sei­ne künst­le­ri­sche Hei­mat gefunden.

Bla­se oder die Lie­be zur Geo­me­trie. „Damals“, auch das hat er mir bei unse­rem Gespräch erzählt, „woll­te mich mei­ne Mut­ter in den Kin­der­gar­ten brin­gen. Da habe ich durch einen Schlitz in den Raum geschaut. Der war wun­der­schön ein­ge­rich­tet. Die Möbel waren blau rot plus gelb. Die­ses Bild hat mich nie wie­der los­ge­las­sen. Ich war vier Jah­re alt“. Der Gedan­ke des Bau­hau­ses mit sei­nen kla­ren Far­ben, stren­gen Lini­en, küh­len kubi­schen Ver­ein- fachun­gen und dem Funk­tio­na­lis­mus haben Karl Oskar Bla­se wie kei­ne ande­re Kunst-Rich­tung geprägt. Sei­ne Welt war die, ohne Schnör­kel. So wie er sei­ne bes­ten Ideen stets auf der Basis kon­struk­ti­ver Ent­wür­fe ent­wi­ckel­te, bil­de­ten auch im zeich­ne­ri­schen, male­ri­schen Werk sol­che Ele­men­te das Zentrum.

Der aus Köln stam­men­de Karl Oskar Bla­se wur­de 18-jäh­rig zum Mili­tär ein­ge­zo­gen und geriet von April bis Win­ter 45 in rus­si­sche Gefan­gen­schaft. Er wol­le Maler wer­den, sag­te der jun­ge Mann im Lager zu zwei Künst­lern aus Dres­den. „Dann bleib doch gleich bei uns“, sol­len die gesagt haben. Bla­se gestal­tet zu jener Zeit die Grab­in­schrif­ten für die im Lager Gestor­be­nen, und er reno­viert die Pra­xis des Lager­arz­tes. Malt sie aus mit Goe­the­ge­dich­ten, die er damals aus­wen­dig kann­te. Der jun­ge Deut­sche wird früh­zei­tig ent­las­sen. Viel­leicht hat Kunst hier Leben gerettet.

Als Karl Oskar Bla­se aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft heim­kehr­te und der Auf­bruch nach 1945 auch wie­der in der Kunst beginnt, nimmt er sein Stu­di­um an der Werk­kunst­schu­le in Wup­per­tal auf. Hier ent­wi­ckelt er sein Talent für die Gra­fik. 1958 kommt er dann an die dama­li­ge Werk­kunst­schu­le in Kas­sel, 1966 wird er zum Pro­fes­sor für Kunst und visu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on beru­fen – eine Funk­ti­on die er bis 1993 inne­hat­te. So wur­de Bla­ses Dop­pel­be­ga­bung als Gra­fi­ker und Künst­ler immer auch von einer drit­ten, näm­lich der als Leh­rer und Kunst-Erzie­her gestützt. Die Stadt aber wird für ihn und sei­ne Fami­lie, Mar­ga und die drei Söh­ne, Heimat.

Die Hei­mat, in der die docu­men­ta gebo­ren wur­de. Karl Oskar Bla­se konn­te wie kaum ein ande­rer in der Stadt die Geschich­te der docu­men­ta auf­spu­len zwi­schen Kon­zept und Bewer­tung, zwi­schen Erfah­rung und eige­nem Erle­ben. Der Kas­se­ler Künst­ler und Gra­fi­ker war immer ganz nah an der Welt­kunst­schau. Wohl auch durch sei­ne Freund­schaft mit dem docu­men­ta Grün­der Arnold Bode, mit dem er gemein­sam das docu­men­ta forum grün­de­te oder durch sei­ne Mit­wir­kung bei dem Vor­be­rei­tungs­team Har­ry Sze­e­mans zur docu­men­ta 5. Als Meis­ter der Gestal­tung gelan­gen dem Gra­fi­ker Logos für drei docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen: Für die d4, die d6 und die d8, letz­te­res Logo, die ecki­ge Acht, war wohl ein beson­ders ein­präg­sa­mes. Der Künst­ler Bla­se hat­te zudem 1964 bei der drit­ten docu­men­ta mit aus­ge­stellt — man könn­te das als Krö­nung eines Lebens bezeich­nen, wäre ein sol­ches Leben nicht viel rei­cher gewesen.

Erin­ne­run­gen an Karl Oskar Bla­se – auch die­se sind plötz­lich wie­der da. 2005, da ist Bla­se schon 80 Jah­re alt, gedenkt er in einer Kunst­ver­eins­aus­stel­lung sei­ner gestor­be­nen Frau Mar­ga – Gleich­den­ken­de, Weg­ge­fähr­tin, Gelieb­te. Der Künst­ler Bla­se the­ma­ti­siert hier das bit­te­re Schick­sal der Demenz, an dem sei­ne Frau lan­ge Jah­re litt. In den Foto­gra­fien hat er sie noch ein­mal ein­ge­fan­gen, Bli­cke waren das, wie von ganz weit her. Ein Jahr spä­ter erscheint Bla­ses Buch mit Bil­dern und Tage­buch­auf­zeich­nun­gen. Künst­ler­ta­ge­buch eines lan­gen Abschieds. Er wol­le kein trös­ten­des Buch machen, hat­te er damals zu sei­nem Pro­jekt fast abweh­rend gesagt. Es wur­de ein wich­ti­ges Buch, weil es über die Lie­be erzählt und ihr Leid.

Mit 91 Jah­ren ende­te ein lan­ges Leben. Karl Oskar Bla­se starb im Dezem­ber 2016. Dass er bis zum Schluss auch prä­sent war im Kas­se­ler Kul­tur­le­ben, sich dabei schie­ben lässt im Roll­stuhl, das Gesicht abwei­send freund­lich, zeigt wohl sei­ne Kon­se­quenz und sein Nicht-Auf­ge­ben-Wol­len. Zuletzt habe ich mit ihm bei der Ver­lei­hung des Prei­ses „Glas der Ver­nunft“ gespro­chen, einer klei­nen Skulp­tur mit Pris­ma, von dem Künst­ler Bla­se selbst gestal­tet. Wenig spä­ter wur­de er mit dem Wap­pen­ring der Stadt Kas­sel geehrt. Die letz­te Aus­zeich­nung für einen Mann, der sich stets um die­se Stadt bemüht hat­te, sich ein­ge­bracht, dis­ku­tiert und gestrit­ten hat­te. Karl Oskar Bla­se hat das Erschei­nungs­bild der Stadt Kas­sel in zahl­rei­chen Logos, Signets und Schrift­zü­gen ver­an­kert, er hat mit sei­nen rund 50 ent­wor­fe­nen Brief­mar­ken Kas­sel in die Welt getra­gen. Und auch mit den Pla­ka­ten der Kas­se­ler Schu­le, für die sein Name in den 60er-Jah­ren stand.

Karl Oskar Bla­se then found his last res­t­ing place high abo­ve the city: next to his much-loved wife Mar­ga in the artist necro­po­lis in Habichts­wald initia­ted by Har­ry Kra­mer. The huge monu­ment of an eye desi­gned by Bla­se hims­elf seems to be floa­ting on a pil­lar as if over his gra­ve. You can visit him the­re if you pass by.

[Von Julia­ne Sattler]