Die fabelhafte Welt der Joey.
KUNST + nachgefragt mit Joey Arand.

Joey Arand, Kassel/ Tehe­ran, Tex­til­druck, 2015

Unsere Gesprächspartnerin, Joey Arand, trafen wir an einem Freitag bei einem Zoomtalk. Joey Arand ist eine faszinierende & vielschichtige Künstlerin und eine erfolgreiche Regisseurin. Vor genau vier Jahren lernten wir Joey, während der Vorbereitungen auf die documenta 14, als Künstlerin und Kollegin kennen.

KK: Lie­be Joey. Dan­ke, dass Du Dir die Zeit für uns nimmst.
Wie bist Du zur Kunst gekom­men? Bei uns ist es mit Anje­li­ka in die Fami­lie gezo­gen aber wo war Dein Berührungspunkt?

Joey: Mei­ne Eltern haben früh gemerkt, dass mir “künst­le­ri­sche” Tätig­kei­ten wie Malen und Bas­teln Spaß machen und haben das geför­dert, indem sie mich in Kin­der­kur­sen der VHS ange­mel­det haben. Und mei­ne Mut­ter ist Jour­na­lis­tin, wes­halb mei­ne Arbei­ten oft einen jour­na­lis­ti­schen Ansatz haben.

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KK: Das ist super span­nend, dass Du Dei­ne Arbei­ten auch als jour­na­lis­tisch bezeich­nest. Im Netz wirst Du als Film­re­gis­seu­rin beti­telt. Wür­dest Du Dich so bezeich­nen oder grenzt Dich die­ser Titel ein?

Joey: Ich wür­de mich immer sowohl als Künst­le­rin als auch Fil­me­ma­che­rin bezeich­nen. Als Fil­me­ma­che­rin daher, weil ich nicht nur Regie füh­re, son­dern auch die Dreh­bü­cher oder Kon­zep­te schrei­be, meis­tens schnei­de oder zumin­dest mit am Schnitt betei­ligt bin, die Pro­duk­ti­on lei­te und manch­mal auch die Kame­ra führe. 

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KK: Was ist Dein Lieb­lings­be­reich im Gen­re Film? Dar­stel­le­rin, Regis­seu­rin, Kame­ra, Drehbuch? 

Joey: Ich mag alle Berei­che, alle machen mir Spaß. Am leich­tes­ten fällt mir Dreh­buch und am meis­ten Respekt habe ich vor den tech­ni­schen Parts (wie z.B. Farb­kor­rek­tur). Nach und nach baue ich aber die Ängs­te ab.

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KK: Über­nimmst Du die Kame­ra­füh­rung bei Dei­nen Fil­men oder macht das jemand anders?

Joey: Ich über­le­ge mir immer wie genau das Bild aus­se­hen soll, also die Stim­mung, der Aus­schnitt, die Posi­ti­on, etc. . Aber gera­de, wenn ich selbst vor der Kame­ra ste­he, fra­ge ich ande­re, weil es dann leich­ter ist, z.B. die rich­ti­ge Schär­fe zu zie­hen. Außer­dem wert­schät­ze ich die Fähig­kei­ten mei­ner Kolleg*innen sehr. Dar­um arbei­te ich auch ger­ne in Grup­pen. Es ist sehr inspi­rie­rend mit ande­ren Krea­tiv­schaf­fen­den Pro­jek­te zu ent­wi­ckeln. Die meis­ten mei­ner Wer­ke sind Team­ar­bei­ten, ohne das Kön­nen der ande­ren könn­te ich mei­ne Ideen nicht so umset­zen wie ich sie mir vor­stel­le. Bei man­chen Pro­jek­ten habe ich aber auch selbst Kame­ra geführt.

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Joey Arand, 7- Kanal Instal­la­ti­on, 2017

KK: In der Arbeit im Huge­not­ten­haus (Body­s­wing), dem Haar­tuch und vie­ler dei­ner Arbei­ten bist Du, oder Dein Haar, selbst Teil des Wer­kes. Wie eng ist die Kunst mit Dei­ner Per­son, Dei­nem Erschei­nungs­bild oder auch Dei­ner Auto­bio­gra­fie verbunden?

Joey: Eigent­lich sind alle Arbei­ten mit mei­nem Erschei­nungs­bild oder Auto­bio­gra­fie ver­bun­den. Zum Bei­spiel bei mei­nem letz­ten Pro­jekt, bei dem es um Demenz ging, war der Aus­lö­ser die demen­ti­el­le Ver­än­de­rung mei­nes Nach­bars, dem ich nicht beson­ders nahe stand. Dadurch jedoch, dass wir den Film in der Woh­nung mei­ner ver­stor­be­nen Groß­el­tern mit ihren per­sön­li­chen Gegen­stän­den und Klei­dern gedreht haben, habe ich sehr viel mit mei­nem Vater über deren Leben gespro­chen und das dann in den Film ein­flie­ßen las­sen und auch selbst mit­ge­spielt, wes­we­gen auch die­ses Pro­jekt wie­der etwas sehr per­sön­li­ches bekam.

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KK: Sei es das The­ma Demenz, das The­ma der Leih­mut­ter­schaft oder die Haa­re, die durch Klei­der­ord­nung unsicht­bar gemacht wer­den, in Dei­nem Werk schaffst Du Sicht­bar­keit für The­men, die uns alle umge­ben aber oft unter der gesell­schaft­li­chen Ober­flä­che blei­ben. Suchst Du bewusst The­men aus, die gesell­schaft­li­che Tabus darstellen?

Joey: Tat­säch­lich behan­deln die meis­ten The­men Tabus. Oft sind es The­men, die mich gera­de beschäf­ti­gen und zu denen ich selbst eine Lösung suche. Dann den­ke ich sehr lan­ge dar­über nach und recher­chie­re viel, spre­che mit ande­ren Men­schen, lese und infor­mie­re mich. Die Her­an­ge­hens­wei­se an die Pro­jek­te ist also erst mal jour­na­lis­tisch. Nach und nach kris­tal­li­siert sich so für mich ein Kern her­aus, den ich ger­ne mit ande­ren tei­len möch­te und die­sen set­ze ich dann visu­ell um. Je nach The­ma ergibt das dann auch ein ande­res Medi­um.  
Die The­men knüp­fen oft anein­an­der an. Wäh­rend ich recher­chie­re erfah­re ich oft Din­ge, die mich zur nächs­ten Arbeit inspi­rie­ren, aber nicht in die vor­he­ri­ge mit “hin­ein­pas­sen”. Außer­dem ent­ste­hen bei den Aus­stel­lun­gen oft sehr inter­es­san­te Gesprä­che mit Besucher*innen. Die­se füh­ren dann zu Fol­ge­ar­bei­ten.
So zum Bei­spiel bei den Arbei­ten zu Kopf­tü­chern. Ich begann, mich damit zu beschäf­ti­gen, da ich bei einer Rei­se in den Iran ein Kopf­tuch tra­gen muss­te und mach­te hier­für ein Kopf­tuch, das mit mei­nen eige­nen Haa­ren bedruckt war. Da ich mich frag­te, wie die Situa­ti­on in Deutsch­land ist, web­te und sponn ich ein Kopf­tuch aus Haa­ren von Besucher*innen der Grimm­welt. In Wil­lings­hau­sen beschäf­tig­te ich mich schließ­lich mit dem “deut­schen Kopf­tuch”, also Kopf­be­klei­dung, die zu tra­di­tio­nel­len Trach­ten gehört.

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KK: Das ist ein super span­nen­der Punkt, mit dem wir uns auch schon beschäf­tigt haben. Den meis­ten Men­schen ist nicht bewusst, dass auch in Deutsch­land bis vor 100 Jah­ren Kopf­tuch getra­gen wur­de. So zum Bei­spiel in der hes­si­schen Tracht, wenn die Frau trau­er­te und ihre Trau­er in Form eines schwar­zen Kopf­tuchs nach außen trug.
Wäh­rend und nach dei­nem Auf­ent­halt in Wil­lings­hau­sen hast Du dich mit tra­di­tio­nel­len Kopf­be­de­ckun­gen und dem The­ma Hei­mat beschäf­tigt. Wel­che Bedeu­tung hat Hei­mat für Dich?

Joey: Hei­mat ist sehr wich­tig für mich und mich hat die Zeit mit mei­ner Fami­lie stark geprägt. Jedoch erken­ne ich mei­ne Hei­mat erst so rich­tig durch die “Tren­nung” von ihr und bin sehr neu­gie­rig auf neue Orte, Rei­sen, ande­re Kul­tu­ren und Menschen. 

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KK: Neben der Hei­mat spielt auch das The­ma der Iden­ti­tät eine prä­gen­de Rol­le in Dei­nen Wer­ken. In Dei­ner neus­ten Arbeit fin­det bei­des statt. Möch­test Du Dein neu­es­tes Pro­jekt kurz beschrei­ben? Wie bist Du zu dem The­ma Demenz gekommen?

Joey: Ja ger­ne. Einer mei­ner Nach­barn hat­te eine demen­ti­el­le Ver­än­de­rung und war meh­re­re Wochen allei­ne in sei­ner Woh­nung, mit nur drei bis vier Besu­chen pro Tag von Pfleger*innen. Die rest­li­che Zeit wirk­te er sehr ver­zwei­felt auf mich und stand gro­ße Tei­le des Tages hil­fe­su­chend hin­ter der Tür. Ich fühl­te mich sehr hilf­los in die­ser Situa­ti­on, weil ich nicht wuss­te, wie und ob ich ihn unter­stüt­zen kann. Dadurch beschäf­tig­te ich mich mit dem The­ma Demenz und je mehr ich mich mit mei­nem Umfeld dar­über unter­hielt, umso mehr stell­te ich fest, wie vie­le Men­schen es betrifft und wie wenig dafür im Ver­hält­nis dazu dar­über gere­det wird. Als ich dann letz­ten Som­mer in die Woh­nung mei­ner ver­stor­be­nen Groß­el­tern fuhr, ver­band sich in mei­nem Kopf das The­ma Demenz mit die­ser Woh­nung. Dank der hes­si­schen Kul­tur­stif­tung konn­te ich erst das Dreh­buch aus­ar­bei­ten und danach den Film rea­li­sie­ren. 
In dem Film sieht man die (fik­ti­ve) Woh­nung eines Man­nes mit einer demen­ti­el­len Ver­än­de­rung, die immer stär­ker wird. Die Kame­ra nimmt sei­nen Blick ein und so läuft der*die Betrachter*in mit ihm durch die Woh­nung. Erin­ne­run­gen wer­den zu Hal­lu­zi­na­tio­nen und einer eige­nen Rea­li­tät. Gegen­stän­de wer­den unbe­greif­lich, Räu­me ver­wir­rend und beängs­ti­gend, Zei­ten ver­schie­ben sich. Es ist ein trau­ri­ges Pro­jekt. 
Eine Ver­si­on des Pro­jekts wird ab Mit­te Juli im Huge­not­ten­haus zu sehen sein. Kommt vorbei!

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KK: Das machen wir ger­ne, sobald es mög­lich ist! Wel­chen Ein­fluss hat­te die momen­ta­ne Lage samt Aus­gangs­be­schrän­kun­gen etc. auf das Projekt? 

Joey: Das Pro­jekt ent­stand nur wegen Coro­na. Durch die Arbeit im Home­of­fice bekam ich die Geschich­te mei­nes Nach­bars sehr deut­lich mit (nor­ma­ler­wei­se bin ich nicht so viel in mei­ner Woh­nung). “Urlaub” in der Woh­nung mei­ner ver­stor­be­nen Groß­el­tern mach­te ich nur, weil ich nicht rei­sen und kei­nen Kon­takt haben woll­te. Die För­de­rung ist eine kul­tu­rel­le Coro­na För­de­rung. Und selbst die Dar­stel­ler, die man im Film sieht, sind Team­mit­glie­der, die sonst nur hin­ter der Kame­ra ste­hen wür­de — weil wir so weni­ge Men­schen wie mög­lich am Set sein woll­ten. Jetzt sieht man das gan­ze Team ent­we­der als Pfleger*innen oder als Per­so­nen aus der Erin­ne­rung der 60er und 70er Jah­re. Sogar das Baby der Kame­ra­frau kommt im Film vor. 
Ich habe mich auch bewusst dafür ent­schie­den, mit einer Kame­ra­frau und ihrem Baby zu dre­hen, da ich nicht nur in mei­nen Arbei­ten femi­nis­ti­sche Mei­nun­gen ver­tre­te, son­dern es mir auch wich­tig ist, die Pro­duk­ti­on gen­der­ge­recht zu hal­ten. Die Kame­ra­frau Alma Weber, die ich sehr schät­ze und mit der ich vor­her schon oft zusam­men­ge­ar­bei­tet habe, hat­te Lust, auch wie­der bei die­sem Pro­jekt Kame­ra zu füh­ren, mit einem vier Mona­te altem Baby. Das fand ich stark. Es war zwar etwas auf­wän­di­ger in der Vor­be­rei­tung, ihr Freund nahm sich frei und kam mit ans Set, dafür haben wir aber auch ein ent­zü­cken­des Baby in den Kame­ra­auf­nah­men und sie wir­ken dadurch viel authentischer.

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KK: Das The­ma Femi­nis­mus beglei­tet Dich in vie­len Dei­ner Arbei­ten. Ein Vögel­chen hat uns gezwit­schert, dass es auch im nächs­ten Pro­jekt The­ma sein wird.

Joey: Ich beschäf­ti­ge mich zur­zeit mit femi­nis­ti­schem Por­no, Lust und Sexua­li­tät und könn­te mir gut vor­stel­len, einen Kurz­film in die­se Rich­tung zu machen. Die ers­ten drei Ideen sind da, sobald ich eine För­de­rung dafür gewin­nen kann (was wahr­schein­lich etwas schwie­ri­ger ist, als für die ande­ren The­men 😉 ) wür­de ich los­le­gen. Ich kann mir einen eher expe­ri­men­tel­len Film vor­stel­len oder auch etwas sehr ästhe­ti­sches. Und es geht vor­nehm­lich um weib­li­che Lust! 

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KK: Das ist ein groß­ar­ti­ges The­ma und wir freu­en uns sehr auf Dei­ne zukünf­ti­gen Arbei­ten. Lie­be Joey, obwohl wir Tage und Stun­den mit Dir reden könn­ten, sind wir lei­der schon am Ende unse­rer Zeit ange­kom­men. 
Wie immer bit­ten wir Dich zum Abschluss fol­gen­den Satz zu ergän­zen:  Kunst bedeu­tet für mich…

Joey: …viel. Eine Mischung aus mei­ner Lei­den­schaft und mei­ner Arbeit. Sie ist all­ge­gen­wär­tig. Sowohl als Betrach­te­rin, als auch als Kunstschaffende. 

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KK: Wir dan­ken Dir für dei­ne Zeit und Offen­heit. Es war uns eine Freude.

Joey: Ich dan­ke euch für das schö­ne Gespräch!

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[ Das Inter­view führ­ten Kari­na Cher­nen­ko und Anje­li­ka Spöth von KUNST + kaviar ]

Kunst Und Kaviar 360

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