GEMEINSAM VISIONEN ENTWICKLEN
Welt.Kunst.Kassel. stellt die neue Vertreterin des Kasseler Kulturbeirats für die Sparte „Bildende Kunst/Grafik/Design“, Liska Schwermer-Funke, vor und hat mit der Künstlerin über die Bedeutung des neuen Gremiums gesprochen.
[ Von Sonja Rosettini + Helmut Plate ]
Die in der Vollversammlung gewählten Beiratsmitglieder und deren Stellvertreter*innen der Freien Kulturszenen für den Kulturbeirat der Stadt Kassel mit Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker und Kulturamtsleiterin Carola Metz. Nicht auf dem Bild: Leena Kötter und Madlen Freudenberg.
© Foto:Stadt Kassel, Can Wagner
Der Kulturbeirat der Stadt Kassel soll die gemeinsamen Interessen der Kulturschaffenden vertreten und den Magistrat zu Fragen der kulturellen Entwicklung Kassels und zu Planungen kultureller Vorhaben mit gesamtstädtischer Perspektive beraten.
Interview mit Liska Schwermer-Funke
Liska Schwermer-Funke (BIOTOP ZACK), zusammen mit Alexandra Berge als Stellvertreterin, wurden als Vertreterinnen für die Sparte „Bildende Kunst/Grafik/Design“ gewählt.
Wir gratulieren nachträglich und wünschen dem neuen Kulturbeirat alles Gute und viel Erfolg.
W.K.K.: Liebe Liska, was war deine Motivation für den Kulturbeirat zu kandidieren und welche sind deine Erwartungen?
L.S.F.: Mich hat aus heiterem Himmel per Mail die Nachricht erreicht, dass ich für den Kulturbeirat vorgeschlagen wurde. Da habe ich mir das unverhoffte Szenario ausgemalt und festgestellt, dass die Arbeit im Kulturbeirat zu mir gut passen kann. Ich komme aus der Kunst, bin eine freudige Gestalterin. Und ich mag Menschen. Ich initiiere gerne offene Prozesse und es ist mir ein großes Anliegen produktiv den Ist-Zustand Richtung Zukunft zu entwickeln.
Ich habe gar kein Talent für Empörung, Grimmigkeit oder Nörgeleien. Ich möchte mit Menschen produktiv arbeiten und das diese Haltung auch in die Gesellschaft hineintragen.
Als Mitglied des Kulturbeirats möchte ich aktiv schauen: was was sind die Bedarfe unserer Sparte, welche Bedürfnisse gibt es in der Kunst-Szene, wie sind unsere Lebens- und Arbeitssituationen? Es gilt gemeinsame Visionen zu entwickeln und zu schauen wie wir dahin kommen.
Ich freue mich ganz persönlich auf die viele tollen Leute und konstruktiven Begegnungen im Kulturbeirat und darüber hinaus. Wie wunderbar auch, dass ich mit Alexandra Berge für die Sparte „Bildende Kunst/Grafik/Design“ zusammenarbeiten darf!
Ich finde es sehr wichtig, dass die Freie Szene gut vertreten ist, auch in dieser Differenziertheit, weil es um alle verschiedenen Sparten geht. Im Gremium sitzen sowohl die Freie Szene als auch die etablierten Institutionen zusammen um unsere gemeinsame Zukunft in Kassel zu entwerfen. Ich glaube, dass das eine große Chance für die Stadt ist.
Die Vertreterinnen und Vertreter im Kulturbeirat kommen aus ganz verschiedenen Bereichen zusammen und bringen Schwung und Erfahrung mit. Das Erlebnis im März, als wir bei der Vollversammlung alle zusammen kamen und die geballte kulturelle und künstlerische Schaffenskraft miteinander im Raum saß, war grandios, erstaunlich und ermutigend. Einfach super, dass dieser Rahmen geschaffen wurde. Von solchen intensiven Vernetzungs- und Austauschmomenten brauchen wir mehr!
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W.K.K.: Hast du besondere Anforderungen, Positionen, Wünsche oder Aussichten für die Sparte die du nun vertrittst?
L.S.F.: Es gibt so viel was man für diese Sparte tun kann.
Da ich als Vertreterin für „Bildende Kunst/Grafik/Design“ gewählt worden bin, sehe ich jetzt in erster Linie meine Aufgabe darin, ansprechbar zu sein und die Bedarfe der künstlerischen Szene und anderer Kreativer gezielt zu erfassen. Ich möchte sichtbar sein, damit die anderen Akteurinnen auf mich zukommen können, damit ich nachfragen und in Kontakt treten kann. Ich bin sozusagen im Sammel-Modus. Ich muss herausfinden, was der Kunst-Szene wichtig ist, aus einem anderen Hintergrund als nur meinen persönlichen heraus. Ich muss mich gewissermaßen zum Sprachrohr ausbilden – eine spannende Aufgabe!
Ich kann mir vorstellen, dass es inhaltlich erstmal viel um Räume geht, die wir in der Kunst-Szene brauchen. Künstler jenseits der Kunsthochschule brauchen Räume in denen sie gut arbeiten können, die erschwinglich sind, wo sie eine gewisse Sicherheit haben, dass sie morgen nicht wieder raus müssen.
Ein großes Thema ist auch das Überleben an sich. Wie können wir es schaffen, von der Kunst zu leben? Wie funktioniert Selbstständigkeit? Was kann das Stemmen dieser Herausforderungen strukturell erleichtern?
Ein weiteres großes Thema, das immer wieder zur Sprache kommt, ist die Vernetzung. Wir brauchen ein Bewusstsein darüber, dass wir etwa beim Ringen um Förderungen und Stipendien, ums Überleben und das Strukturieren der Arbeit nicht alle allein in unserem Kämmerlein die Hände über den Kopf schlagen müssen, sondern dass wir viele sind. Auch das fand ich in der Vollversammlung schön und beeindruckend: wir sind viele! Auch wenn längst nicht alle da waren. Das war ein großartiges Gefühl.
Wir Künstler sitzen manchmal allein im Atelier und wissen nicht wie wir es machen sollen. Wir sind Solo-Selbstständige und für alle Facetten unseres Unternehmens selbst verantwortlich – das ist extrem herausfordernd. In der Vernetzung und im Austausch steckt da so viel Potential, das war bei der Vollversammlung deutlich zu spüren.
Ich bin auch im Vorstand des BBK Kassel-Nordhessen, dem Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, aktiv. Es ist toll da auch mit ganz anderen Generationen zu tun zu haben, mit Künstlerinnen und Künstlern die das schon seit Jahrzehnten machen, das finde ich auch für mich als junge Künstlerin absolut motivierend und ermutigend. So einen Austausch und so ein Miteinander brauchen wir.
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W.K.K.: Es wird bald die Berufung der Mitglieder durch den Magistrat erfolgen. Wie stellst du dir die künftige Arbeit des neuen Kulturbeirats, der mindestens 2‑mal jährlich tagen wird, vor?
L.S.F.: Das Gremium ist neu – keiner weiß genau, wie sich die Zusammenarbeit gestalten und einspielen wird. Das werden Zeit und Erfahrung bringen. Wichtig ist, dass wir dabei engagiert und konstruktiv den Dialog miteinander suchen.
Dass wir 2‑mal jährlich tagen werden, ist wenig. Ich glaube, dass die eigentliche Arbeit jenseits der zwei Sitzungen stattfindet. Es gilt zu erfahren und zu erfragen was unsere Sparte bewegt, wer dahinter sitzt, was sie brauchen, wie ihre Lebens- und Arbeitssituation ist. Dank der Kunsthochschule kommen auch immer neue Künstler*innen in die Stadt: was brauchen sie, damit sie hier weiter arbeiten wollen und können?
Ich freue mich auf Anregungen und neue Kontakte. Es könnte sinnvoll sein Befragungen zur Arbeitssitutation, Raumbedarfen und Fiananzkapazitäten etc. zu organisieren, wie es zum Beispiel schon das Netzwerk Hammerschmiede e.V. vorgemacht hat – da können wir viel voneinander lernen. Gerade solche stichhaltigen Erfahrungsberichte und Informationen aus Gesprächen sind wertvoll, um im Gremium gut vorbereitet für konstruktive, zukunftsgewandte Diskussion und Entwicklung zu sein.
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W.K.K.: Wie kann der Kulturbeirat deiner Meinung nach die Kultur unserer Stadt und deren Weiterentwicklung aktiv mitgestalten? Wie läuft der Austausch zwischen den Kulturschaffenden der verschiedenen Szenen?
L.S.F.: Ich glaube, dass da vor allem zwei Aspekte notwendig und wertvoll sind.
Erstmal ist die Vernetzung innerhalb der Sparte wichtig. Da sehe ich in der bildenden Kunst noch viel Potenzial, dass wir mehr und nachhaltiger zusammenkommen, uns kennenlernen und unterstützen und weniger als Einzelkämpfer begreifen.
Und dann, zweitens, auch darüber hinaus zu schauen und spartenübergreifend zu kooperieren, weil wir viele ähnliche Herausforderungen und Wünsche haben – zum Beispiel beim Thema Raumangebote, Förderungen, mittel- oder langfristige Planungen, wie wir sichtbarer werden, Preise gestalten, wie wir an unser Publikum und potentielle Kundschaft herankommen. Es ist immer sehr befruchtend, ein Stück aus der eigenen Komfortzone herauszugehen um Schnittstellen mit anderen zu finden und neue Perspektiven kennenzulernen.
Es gibt auch schon tolle und etablierte Initiativen und Formate, wie den Kulturstammtisch, die strukturell noch sichtbarer werden können. Wenn wir vereinzelt arbeiten, besteht die Gefahr, dass Projekte und Initiativen sich doppeln. Da ist es sinnvoll und effizient, Kapazitäten und Erfahrungen zu bündeln und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
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W.K.K.: Wie könnte man, deiner Meinung nach, die Zusammenarbeit der Kasseler Kulturszene mit der Politik und der Verwaltung stärken und verstetigen?
L.S.F.: Ich denke in Prozessen. Mir ist es wichtig Entwicklungen in Gang zu bringen und gemeinsam anzugehen. Mit geballter Erfahrung aus unseren unterschiedlichen Bereichen, aus freier Arbeit in der Kulturszene, der Politik und Verwaltung heraus, müssen wir sichten, was wir haben, was wir brauchen, wie die Ist-Situation ist und was wir gemeinsam ändern wollen und können. Wir arbeiten auf ein zukünftiges Kassel hin, in dem Kulturschaffende gut, gerne, langfristig und sichtbar leben und arbeiten können und es entsprechend ein tolles, diverses, lebendiges Angebot an Kunst und Kultur für alle gibt. Was das im Einzelnen heißt und wie wir dorthin kommen, wird sich im Prozess und der Zusammenarbeit zeigen.
Wir können uns gerne nach den ersten Sitzungen des Kulturbeirats nochmal treffen, dann lässt sich sicher schon besser sagen, welche konkreten Mitsprache und Gestaltungsmöglichkeiten es für uns geben wird, welche Rolle wir als Kunst- und Kulturschaffenden spielen, wie wir effektiv zusammenwirken und zugewandt und auf Augenhöhe Stadtentwicklung vorantreiben können. Ich gehe nicht mit einer konkreten Prognose oder Vorstellung an die Arbeit im Kulturbeirat heran, sondern mit einer produktiven Grundhaltung: mit Neugierde, mit Freude am konstruktiven Dialog, an vielfältigen Perspektiven und zukunftsfähiger Vision.
Auf jeden Fall, gerade in einer Stadt wie Kassel, die sich als documenta-Stadt der Kunst verbunden fühlt, kann und soll man sich erlauben, die Künstler*Innen vor Ort, das dynamische Geschehen der jungen Kunst und ihr Potenzial ganz klar in den Fokus zu stellen.
Als ich nach Kassel zog, habe ich mich gewundert, wie sehr man die Arbeits- und Wirkungsstätten der in der Stadt agierende Künstler*innen suchen muss. Ich fragte mich, wo denn die ganzen Künstlerinnen und Künstler sitzen, die es doch hier geben muss. Wo sind die Ateliers, an denen ich auf dem Weg in den Supermarkt vorbeikomme, wo die Produzent*innengalerie neben der Bäckerei und die Ausstellungsfläche für Studierende in der Innenstadt? Es gibt hier viele gut sichtbare documenta-Außenkunstwerke im öffentlichen Raum, aber das aktuelle Schaffen der hiesigen Künstler*Innen passiert in der Regel im Verborgenen. Ich wünsche mir, dass neben den fertigen Arbeiten auch die künstlerischen Prozesse sichtbarer und alltäglicher werden. Absolut inspirierend und bemerkenswert finde ich da zum Beispiel das HERAKU, Atelier für heranwachsende Kunst, in der Südstadt. Eine unermüdliche Gruppe kreativer Jugendlicher und junger Erwachsener stellt hier einen niedrigschwelligen Ort zum selbstbestimmten Kunstmachen auf die Beine – von Jugendlichen, für Jugendliche. Hut ab. Mehr davon.
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W.K.K.: Der neuen Oberbürgermeister wird ab Juli für das Kulturdezernat zuständig und für die Kultur persönlich verantwortlich sein. Wird die Kultur somit eine herausragende Position in den Verwaltungsstrukturen einnehmen?
L.S.F.: Eine Person, die einer bestimmten Arbeit nachgeht, hat nur begrenzte Zeit und Kapazitäten zur Verfügung. Wenn ich mich also ausschließlich um die Kultur kümmere, dann kann ich hundert Prozent meiner Kapazitäten in die Kultur hinein investieren. Entsprechend wäre es für die Kultur in Kassel wünschenswert gewesen, wenn es eine*n eigenständige*n Kulturdezernent*in gegeben hätte, der/die sich ausschließlich der Kultur gewidmet hätte und seine ganzen Kapazitäten in diesem Bereich hätte investieren können. Das ist nun nicht mehr so.
Es ist bedauerlich, dass Susanne Völker, die Spezialistin in ihrem Gebiet ist und sich als Kulturdezernentin mit großem Einsatz, Expertise und Weitsicht für die Kultur und die Kreativen in der Stadt eingesetzt hat, die sich ausschließlich um die Kultur kümmern könnte, nicht mehr im Amt sein wird.
Unter diesen Voraussetzungen stellt sich jetzt umso mehr die Frage, wie das Kulturamt sich neu sortieren und aufstellen wird, wie die Aufgaben verteilt werden, wer sie übernimmt und wie dann Entscheidungen getroffen werden. Es ist sehr zu wünschen, dass der künftige Oberbürgermeister, Herr Schoeller, sich der Verantwortung für die so wichtige Kunst- und Kulturszene unserer Stadt bewusst ist und auf die Stimmen aus der Kulturszene zu hört, wo es ihm an Einblicken in die künstlerischen Realitäten und Expertise im Kulturbetrieb fehlt. Und an dieser Stelle ist wiederum Grund zur Freude: wie gut, dass es jetzt den Kulturbeirat gibt!
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© Fotos: Kai Frommann