Fritz Winters Gemälde
“Komposition vor Blau und Gelb”
Fritz Winter, Komposition vor Blau und Gelb, 1955 © Fritz-Winter-Haus, Ahlen
Die erste documenta bot Fritz Winter einen starken Auftritt. Arnold Bode platzierte dessen “Komposition vor Blau und Gelb” gegenüber Picassos “Mädchen vor einem Spiegel” im Hauptsaal des Fridericianums. Repräsentativ sowohl für die Prinzipien der abstrakten Malerei im Nachkriegsdeutschland als auch für die kuratorischen Intentionen am Beginn der Kasseler Ausstellungsreihe, ist das Großgemälde ein zentrales Werk der documenta-Geschichte. Sein Werk hätte man in der Ausstellung „fritz winter. documenta-künstler der ersten stunde” bestaunen können.
Im November 2020 wurde in der Kasseler Neuen Galerie die sehenswerte Sonderausstellung „Fritz Winter. documenta-Künstler der ersten Stunde“ eingerichtet – und umständehalber sogleich geschlossen. Wenn die Schau, die den Verbindungen des Künstlers mit der documenta nachgeht, hoffentlich demnächst zugänglich sein wird, dürften dem Publikum die Augen übergehen: Denn an zentraler Stelle im Museum, im Raum unmittelbar hinter dem Foyer und schon vom Eingang aus zu sehen, ist nichts weniger als eine Sensation zu besichtigen:
© VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für die abgebildeten Werke von Willi Baumeister, Max Beckmann, Georges Braque, André Derain, Hans Hartung, Zoran Antonio Music, Pierre Soulages, Victor Vasarely und Fritz Winter, © Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für die abgebildeten Werke von Henri Matisse, © Georg-Meistermann-Nachlassverwaltung, Dr. Justinus Maria Caleen VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für das abgebildete Werk von Georg Meistermann, © Elisabeth Nay-Scheibler, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für die abgebildeten Werke von Ernst Wilhelm Nay, © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 für die abgebildeten Werke von Pablo Picasso
Fritz Winters monumentales Bild „Komposition vor Blau und Gelb“, gemalt für die erste documenta 1955, ist endlich an dem Platz angekommen, den es in Kassel verdient.
Fritz Winters monumentales Bild „Komposition vor Blau und Gelb“, gemalt für die erste documenta 1955, ist endlich an dem Platz angekommen, den es in Kassel verdient. documenta-Initiator Arnold Bode war auch Initiator dieses szenografischen Spezialeffekts, der mit seinen 3,81 x 6,15 Metern Bildfläche den Dimensionen des doppelgeschossigen Hauptsaals im Museum Fridericianum Maß und Proportion verleihen sollte. Der große Saal wurde auf der westlichen Stirnseite dominiert von Fritz Winters Gemälde, das mit souveräner Flächenbeherrschung und seinen dynamischen Form- und Farbschichtungen den realen Raum schloss und ihn zugleich in einen imaginären erweiterte.
Das Bühnenbild für das Schauspiel der Kunst des 20. Jahrhunderts sprengte nicht nur die bis dahin üblichen Formatgrenzen, sondern auch die Gattungsgrenzen zwischen Leinwandgemälde und Wandgestaltung. Als kalkuliertes Pendant gleichrangig gegenüber einer Werkgruppe von Pablo Picasso gesetzt, fungierte diese triumphale künstlerische und inszenatorische Großgeste als Leitmotiv und Fluchtpunkt der umgebenden Beispiele der europäischen Malerei: als Dokument des neuen Selbstbewusstseins der westdeutschen Nachkriegsabstraktion. Gleichzeitig rückte sie den im selben Jahr berufenen Kasseler Akademieprofessor in die erste Reihe der zeitgenössischen deutschen Künstler.
Kein anderes Exponat vermag die Ursprünge der documenta so
wirkungsvoll zu dokumentieren.
Zuletzt im Museum Abtei Liesborn als Leihgabe des Fritz-Winter-Hauses Ahlen gezeigt, beherrscht dieses wichtige Werk mit seinen vielschichtigen Bedeutungsebenen nun das Erdgeschoss der Neuen Galerie. Dort ist es so überzeugend installiert, dass man sich wünschen könnte, es an dieser Stelle dauerhaft für Kassel zu erhalten. Denn keiner der späteren Ankäufe aus dem Zusammenhang einer documenta steht so repräsentativ für die Geschichte der Weltkunstausstellungsreihe; kein anderes Exponat vermag die Ursprünge der documenta so wirkungsvoll zu dokumentieren: als Zeugnis des Geltungsanspruch seines Produzenten, als unüberhörbarer Ausdruck der Weltsprache Ambitionen einer gegenstandsbefreiten Kunst, unübersehbarer Beweis für Bodes Inszenierungstalent sowie für die kuratorischen Behauptungen am Beginn des Mythos documenta.
[H. Kimpel]
Weiterführender Literaturhinweis:
Anna Rühl: „Großer Auftritt. Fritz Winters Komposition vor Blau und Gelb für die documenta 1955“. Beitrag der Kuratorin im Ausstellungskatalog.