documenta fifteen
documenta fifteen und lumbung-Praxis.
Vorstellung der ersten lumbung-member
→ Vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen unserer Zeit, in der vielerorts Initiativen und Gruppierungen um das Überleben kämpfen, wird lumbung als Ausgangspunkt genommen und von folgenden Partner*innen mitgestaltet: Fondation Festival Sur Le Niger (Ségou, Mali), Gudskul (Jakarta, Indonesien), INLAND (verschiedene Orte, Spanien), Jatiwangi art Factory (Jatiwangi, Indonesien), Khalil Sakakini Cultural Center (Ramallah, Palästina), Más Arte Más Acción (MAMA) (Nuqui, Choco, Kolumbien), OFF-Biennale (Budapest, Ungarn), Trampoline House (Kopenhagen, Dänemark) sowie dem ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik (Berlin, Deutschland). ←
ruangrupa: lumbung-members handschriftlich, Bild: Indra Ameng, 2020
ruangrupa hat diese Initiativen aufgrund ihrer inspirierenden Methoden, ihrer tiefgreifenden künstlerischen Verwurzelung in lokalen sozialen Strukturen und ihren experimentellen organisatorischen und ökonomischen Strukturen ausgewählt, die den Werten von lumbung entsprechen.
lumbung ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird. ruangrupa hat der documenta fifteen die Werte und Ideen von lumbung zugrunde gelegt. lumbung als Konzept ist der Ausgangspunkt für die documenta fifteen: Iumbung wird die konkrete Praxis auf dem Weg zur documenta fifteen im Jahr 2022 und danach sein.
ruangrupa: lumbung booklet, Foto: Keke Tumbuan, 2020
Gemeinsam werden diese lumbung-member einen langfristigen Diskurs aufbauen, in dessen Verlauf das Wohlergehen ihrer jeweiligen lokalen Einrichtungen durch geteiltes Wissen, Solidarität und Ressourcen gesteigert wird. Diese ersten lumbung-member werden über die nächsten zwei Jahre neue lumbung-member einladen und mit ihnen ihre bewährten Vorgehensweisen teilen, sie werden diese Initiativen auf verschiedene Weise und durch unterschiedliche Ausdrucksformen zur documenta fifteen in Kassel und an anderen Orten sichtbar machen.
ruangrupa: lumbung Zeichnung: Iswanto Hartono, 2020
Fondation Festival sur le Niger
(Ségou, Mali)
Der Name des 2011 von der Fondation Festival sur le Niger gegründeten Centre Culturel Kôrè bezeichnet in der Kultur der Bambara die höchst mögliche Ebene des Wissens (Kôrè).
Kôrèdugaw ist ein Ritus, der Humor, Scharfsinnigkeit und Weisheit verbindet. Kinder werden hier auf ihr späteres Leben und ihr gesellschaftliches Umfeld vorbereitet, indem ihnen die im Kôrèdugaw zentralen Werte wie Respekt für andere, gegenseitige Hilfe, Selbsterkenntnis in guten und in schlechten Zeiten sowie die absolute Ablehnung von Gewalt vermittelt werden.
„Diese Werte bilden die Grundlage aller künstlerischen, pädagogischen und ökonomischen Aktivitäten, die wir im Centre Culturel Kôrè und IKAM, dem Bildungszentrum, veranstalten. Indem wir junge Künstler*innen und Kulturunternehmer*innen aus ganz Afrika ausbilden, sie bei der Produktion künstlerischer Arbeiten und dem Aufbau von Vertriebswegen intensiv betreuen und unterstützen, stärken wir das gesamte Spektrum aus Kultur und Kunst in Mali und ganz Afrika.
Gudskul ist eine dem Wissensaustausch gewidmete Bildungsplattform, die 2018 von den drei in Jakarta ansässigen Kollektiven ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara ins Leben gerufen wurde.
Gudskul ist überzeugt, dass das Teilen und Zusammenarbeiten zwei wesentliche Elemente für die Weiterentwicklung der indonesischen Kunst und Kultur der Gegenwart sind. Ziel ist, die Eigeninitiative durch künstlerische und kulturelle Vorhaben in einer Gesellschaft, die ohnehin stark durch Kollektivismus geprägt ist, weiter anzuregen und zugleich Initiatoren zu fördern, die von den lokalen Bedürfnisse ausgehend auch Schlüsselrollen auf internationaler Ebene einnehmen. Gudskul bildet hierfür ein Ecosystem, in dem viele Beteiligte wie Künstler*innen, Kurator*innen, Kunstkritiker*innen, Manager*innen, Forscher*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen, Architekt*innen, Köch*innen, Designer*innen, Fashionistas und Straßenkünstler*innen zusammenarbeiten.
INLAND: Organisationsstruktur der Para-Institution, 2020. Diese erste grafische Darstellung dient sowohl als Anleitung als auch als Erläuterung der agrikulturellen Aktivitäten, die in verschiedenen Kontexten an Orten umgesetzt werden, an denen INLAND Arbeitsgemeinschaften unterstützt. Sie kann als Tabelle, Linse, Spiegel oder auch Maske verwendet werden
INLAND ist eine kollektive Agentur, die im Jahr 2009 von Fernando Garcia Dory initiiert wurde. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Plattform für verschiedene Akteur*innen aus dem landwirtschaftlichen und sozialen Bereich sowie der Kulturproduktion.
In seiner ersten Phase (2010–13) widmete sich INLAND – Spanien als Fallstudie nutzend – der künstlerischen Produktion in 22 Orten des Landes mit landesweiten Ausstellungen und Präsentationen sowie einer internationalen Konferenz. Aus der anschließenden Phase der Reflexion und Auswertung in Arbeitsgruppen zu Kunst und Ökologie ging eine Reihe von Publikationen hervor. Heute fungiert INLAND als Kollektiv mit Fokus auf landbasierte Kooperationen und Ökonomien sowie Praxis-Arbeitsgemeinschaften als Nährboden für post-zeitgenössische Kunst- und Kulturformen.
INLAND verfügt über einen Radiosender, eine Akademie, veranstaltet Ausstellungen und produziert Käse. Darüber hinaus berät es die EU-Kommission zur Entwicklung des ländlichen Raumes durch künstlerische Projekte und setzt sich für ein europäisches Netzwerk von Schäfer*innen ein. INLAND versteht sich als eine Sozialbewegung, die die Politik in den genannten Bereichen hinterfragen will.
Die 2005 gegründete Jatiwangi art Factory (JaF) ist ein Gemeinschaftsprojekt für zeitgenössische Kunst und kulturelle Praktiken und versteht sich als Teil des lokalen Diskurses in einer ländlichen Gegend.
Vor einem Jahrhundert entstand in Jatiwangi eine bedeutende Ziegelindustrie, die die größte Dachziegelproduktion in ganz Südostasien lieferte. 2005, also hundert Jahre später, ermutigte JaF – denselben Ton nutzend – die Bürger*innen aus Jatiwangi, durch Kunst und kulturelle Aktivitäten ein kollektives Bewusstsein und eine gemeinsame Identität für ihre Region auszubilden. Mithilfe zahlreicher Projekte, die die Mitwirkung großer Teile der Bevölkerung einschließen, möchte JaF eine würdevollere Bearbeitung des Tons sowie eine größere Beachtung des Werkstoffes erreichen und das kollektive Glück der Menschen vor Ort erhöhen.
„Das ist eine Mind-Map. Wir erforschen, auf welche Weise organisch gebildete Kollektive ihre Kollektivität auf die Gemeinschaft ausweiten können, wie sie sich horizontal ausdehnen und dabei dennoch ihre Grundstruktur beibehalten können, um so ihrer Aufgabe – dem Ansammeln von Wissen, das von Kollektiven produziert und geteilt wird – nachzukommen.
Den Strukturen, in denen sich Ideen und Körper bewegen und arbeiten, liegt immer eine Ideologie zugrunde. Die Struktur, die wir vor Augen haben, ist die Landschaft in der wir leben. Sie ist nicht flach wie eine Küstenlandschaft, aber auch nicht durch steile Berge gekennzeichnet, sie besitzt vielmehr zahlreiche Hügel und Täler, Höhen und Tiefen, zwischen denen wir uns bewegen, während man sich zugleich auf dem Gipfel eines Berges und in einer Talsohle befinden kann. Ausgangspunkt für unser Kollektiv ist die Frage der Förderung als eine Möglichkeit, sich kulturell mit Politik und Ökonomie auseinanderzusetzen. Der Aspekt der Förderung wird neu gedacht und als Wert vorgestellt, der durch das Engagement der Gemeinschaft und die kollektive Bewegung wächst.
Más Arte Más Acción ist eine seit 2008 existierende Plattform für interdisziplinäre Projekte. Sie ist aus einem seit vielen Jahren bestehenden gemeinschaftlichen Engagement insbesondere an der Pazifikküste Kolumbiens hervorgegangen, das in den Aufbau von Chocó Base mündete.
Seit 2011 bietet dieser „Reflektionsraum“ Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Schriftsteller*innen die Gelegenheit, über die Schaffung möglicher anderer Welten nachzudenken. MAMA knüpft Netzwerke mit Förderern, Universitäten, Festivals, Kunstinstitutionen und Gemeinden, um die Ideen und Prozesse des kritischen Denkens im Rahmen territorialer Auseinandersetzungen voranzutreiben.
MAMA zur aktuellen Situation: „MAMA befindet sich gegenwärtig auf einer Reise, um bisherige Prozesse und Narrative einer Bewertung zu unterziehen und Möglichkeiten der Organisation für die kommenden Jahre auszuloten. Die Reise führt ins Ungewisse und diese Ungewissheit bestärkt uns darin, uns einer ergebnisorientierten Produktivität zu widersetzen.
Die OFF-Biennale startete 2015 als basisdemokratische Bewegung zur Stärkung der Unabhängigkeit, Widerstandskraft und Wirkungsmacht der lokalen Kunstszene in Ungarn. Das zunächst von einer Handvoll Kunstexperten initiierte und getragene temporäre Projekt hat sich seitdem zu einer unabhängigen Plattform der künstlerischen Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen entwickelt. Dabei werden die zugrundeliegenden Diskurse und Kooperationen von Künstler*innen, Kurator*innen, Forschenden, Studierenden und verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf lokaler wie auch auf internationaler Ebene unterstützt und begleitet.
OFF hat sich niemals um öffentliche Mittel in Ungarn beworben und die Zusammenarbeit mit staatlichen Kunstinstitutionen vermieden, eine Haltung, die zwar den grundlegenden Prinzipien des Projekts im Hinblick auf Kooperation, Austausch und eigentlich auch einem Agieren im Sinne des Gemeinwohls widerspricht, jedoch als unumgänglich erachtet wird, um die freie Meinungsäußerung und professionelle Integrität aufrechtzuerhalten. Die dritte OFF-Biennale wird im Mai 2021 stattfinden.
Am 8. Juni 2019 feierte das Trampoline House, eine Gemeinschaftseinrichtung für Geflüchtete in Kopenhagen, sein neunjähriges Bestehen mit einer Gala für alle Mitglieder und Unterstützer*innen. Eden Girma, eine langjährige Aktive, hatte angeregt, eine Modenschau auszurichten, bei der alle Beteiligten ihr Lieblingsoutfit auf dem Laufsteg vorstellen würden. Einige, wie auch Eden auf dem Foto, trugen traditionelle Kleider des Landes, aus dem sie geflüchtet waren. Andere wiederum hatten neue Outfits entworfen oder sich Volkstrachten von Freunden im Haus ausgeliehen. An den Feierlichkeiten haben mehr als 300 Erwachsene und Kinder aus aller Welt teilgenommen.
Gründe zum Feiern gab es genug. Trampoline House war seit nunmehr fast zehn Jahren ein Ort, an dem Menschen, die vor Krieg, Armut oder Menschenrechtsverletzungen flüchten mussten, die Möglichkeit der Partizipation in ihrem Gastland eröffnet wird und wo sie zugleich wieder ein Gefühl von Zugehörigkeit entwickeln können. Jede Woche kommen hunderte von Geflüchteten, Migrant*innen und Asylbewerber*innen sowie dänische Bürger*innen zusammen, um als Teil dieser einzigartigen Gemeinschaft an den angebotenen Aktivitäten teilzunehmen, sich für den Betrieb des Hauses oder die Rechte von Geflüchteten einzusetzen.
Das Künstlerkollektiv KUNSTrePUBLIK ist seit mehr als fünfzehn Jahren im öffentlichen Raum aktiv. Durch konkrete Projekte erkunden sie die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst, so dass Bürger*innen sich frei ausdrücken können oder durch eine Aktion und ein physisches Ergebnis der Arbeit von KUNSTrePUBLIK repräsentiert werden.
Die Arbeit von KUNSTrePUBLIK geht vom jeweiligen Ort aus. Die Projekte werden auf der Basis von Schnittmengen zwischen architektonischen, künstlerischen und politischen Diskursen entwickelt. KUNSTrePUBLIK steht als Organisation hinter ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik.