Die Welten
um die wir kreisen
THE LAGRANGE EFFECT
LUKAS MEIR | NATHALIE MOHADJER
17.07.— 04.08.23 | Dienstag — Freitag | 16 — 19 Uhr
(und nach Vereinbarung)
Die Galerie Coucou hat sich zu einem bedeutenden Treffpunkt der zeitgenössischen Kunstszene entwickelt. Hier wird ein ständiges Labor geboten, das dem Publikum die Chance eröffnet, junge Positionen neben etablierten Künstler*Innen zu erleben und somit immer wieder neue Impulse zu erfahren.
Das Konzept der Galerie Coucou ist einzigartig und überzeugend zugleich und macht sie zu einem spannenden Ort für alle Kunstinteressierten: Seit 2008 ist sie ein Ausstellungsort für relevante, zeitgenössische Kunst, die sich gesellschaftlichen Diskursen öffnet und mit viel Experimentierfreude die Möglichkeiten des aktuellen Kunstproduzierens erlebbar macht.
Hier werden nicht nur bekannte Namen präsentiert, sondern auch aufstrebende Talente gefördert. Auf diese Weise wird eine vielfältige Mischung aus verschiedenen Stilrichtungen und kreativen Ansätzen geboten.
Der Initiator und Galerist Milen Krastev und sein Team präsentieren deutsche sowie internationale Künstler*Innen in Einzel- oder in Gruppenausstellungen und legen dabei großen Wert auf eine präzise Ausstellungsinszenierung. Ihre Arbeit wurde im Jahr 2012 mit dem Kulturförderpreis der Stadt Kassel ausgezeichnet.
v.l.n.r.: Milen Krastev, Nathalie-Mohadjer, Lukas-Meier | © Foto: Helmut Plate
„Lukas Meir lernte ich bei einem Vortrag, den ich an der Kunsthochschule Kassel hielt, kennen. Seitdem verfolgen wir seine Entwicklung als Künstler, erst in Kassel und später in Nizza. Nathalie Mohadjer ist schon lange mit der Galerie verbunden und wir zeigen ihre Arbeiten regelmäßig. Die Verbindung mit ihr nach Paris halten wir schon seit über 10 Jahren aufrecht. Obwohl beide schon lange in Frankreich leben und arbeiten, haben sie eine Beziehung zu Kassel. Bei Nathalie Mohadjer über die Familie und bei Lukas Meir über die Ausbildung.
In der Galerie Coucou haben wir schon immer gerne Doppelausstellungen gemacht. Eine Doppelausstellung ist immer eine kuratorische Herausforderung. Im Unterschied zu einer Gruppenausstellung stehen dabei zwei starke selbstständige Positionen im Mittelpunkt. Es ist als wenn zwei Einzelausstellungen ineinandergreifen. Auch das Thema einer Ausstellung bekommt dabei eine ganz andere Bedeutung. Die beiden Positionen in „The Lagrange Effect“ haben ein gewisses Spannungsfeld und man würde nicht sofort auf den Gedanken kommen sie zu kombinieren. Sie sind nicht nur unterschiedlich im Medium (Fotografie und Malerei), sondern auch die Themen stammen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen.
Doch die Arbeiten haben eine inhaltliche und ästhetische Schnittmenge, die auch sehr emotional ist. Da haben wir angesetzt und das Projekt zusammen entwickelt. Die Idee war für Nathalie Mohadjer und Lukas Meir auch neu und unerwartet, aber umso länger wir darüber gesprochen haben wuchs auch die Überzeugung, dass wir die Ausstellung unbedingt machen wollen. Das Resultat spricht für sich, es ist eine Ausstellung die mehr ist als die Summe der Einzelpositionen.“
Nathalie Mohadjer, die schon auf zahlreichen nationalen und internationalen Kunstschauen ausgestellt hat, machte sich für ihr neuestes Kunstprojekt auf nach Ägypten: Ausgehend von einem journalistischen, dokumentarischen Ansatz porträtiert ihre Fotoserie „Fatma“ mit einer klaren Bildsprache, die traditionelle Gesellschaft der Siwa Oase. Die Oase beherbergt eine der konservativsten Gesellschaften des Nahen Ostens und ist als begrenzter Raum auch kulturell von besonderer Bedeutung. Hier leben Menschen seit Jahrhunderten eng miteinander zusammen und pflegen ihre eigenen kulturellen Traditionen. Nathalie Mohadjer wollte diesen besonderen Ort ohne jegliche Wertung oder Urteil erkunden und seine Ambivalenz darstellen, denn die westliche Vorstellung einer paradiesischen Oase stimmt nicht immer mit der Realität überein. So begab sie sich auf eine Reise voller Herausforderungen und Entdeckungen, traf auf Menschen, deren Sprache sie nicht verstand, erfuhr von alten Bräuchen und Gebräuchen, die bis heute gepflegt werden, und erlebte hautnah den Kontrast zwischen modernem Leben und jahrhundertealter Tradition. Nathalie Mohadjer begleitete die Menschen in Siwa nicht nur als Fotografin, sondern wurde auch als Freundin und Familienmitglied angenommen und das Band und die Nähe, die sie mit ihnen knüpfte, sind in ihren Bildern spürbar.
Nathalie Mohadjer hat eine einzigartige künstlerische Strategie und Motivwahl entwickelt, die von behutsamen Arrangements, einem feinen Gespür für stille und scheue Gesten, klaren Bildkompositionen und zusätzlichem Licht geprägt ist. Sie versteht es, ihre Motive in Szene zu setzen und ihnen eine faszinierende eigene Ausstrahlung zu verleihen. Mit viel Einfühlungsvermögen lässt sie die Hauptfiguren Ihrer Fotos die Szene betreten und macht sie sichtbar. Mit Vertrauen und Respekt hat sie es geschafft, kurze Momente der Stille in eine ihr eigenen Bildsprache zu übersetzen, ganz ohne dabei laut zu werden, und macht damit die Geschichten dieser Menschen künstlerisch greifbar. Das Ergebnis sind poetische Bilder, die Schönheit ausstrahlen und den Betrachter tief berühren. Ihre Fotoserie “Fatma” zeigt das Leben in Siwa aus verschiedenen Blickwinkeln, aber immer authentisch und ehrlich und bringt nicht nur neue Inspiration und einen besonderen Blick auf die Welt sondern stärkt auch das Bewusstsein für andere Lebensweisen.
Für seine Malerei und glasierte Keramik wendet Lukas Meir, in Stuttgart geboren, gekonnt „alte“ und „neue“ Techniken an und verleiht somit seinen Werken eine besondere Anziehungskraft. Seine neuesten Arbeiten sind Szenerien voller Spannung und Verletzlichkeit, Sehnsucht und Angst aber auch Hoffnung und Liebe. Sie zeigen Körper, oft am Meer oder an einem einsamen Strand, die von der Sonne gezeichnet sind. Es ist wie ein Tanz auf der Leinwand – eine Choreografie aus Licht und Schatten, die den Betrachter gefangen nimmt.
Lukas Meir ist ein Meister der Feinheiten: Sein Blick ist scharf und er taucht ein in die Tiefen einer parallel existierenden Wirklichkeit, er sucht und erkennt die feinen Nuancen in unserem Weltbild, wo Realitäten aufeinanderprallen, sich überschneiden und reiben. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Oberflächen paralleler Bildwelten zu durchdringen und eine neue Realität zu erschaffen. Seine Kunstwerke sind eine endlose Suche nach der perfekten Geometrie des Geschehens. Aus Körpern und Räumen werden Raumkörper, die sich in Teilen wie im Ganzen ästhetisch und inhaltlich beeinflussen, umkreisen und durchdringen. Neue Konstellationen entstehen, wie eine faszinierende Erzählung, die eine Geschichte ergeben, die in ihrer Interpretation und in ihrem Erzählschluss jedoch offen bleibt. Seine Werke flimmern zwischen profanem Alltag und Elementen eines kulturellen oder sakralen Gedächtnisses. Das Ergebnis seiner Arbeit ist eine überzeugende und ästhetische Darstellung von Narrationen, die sich in ihrem Abschluss offenbaren.
„Lukas Meir ist ein sensibler Beobachter. Seine Bilder sind sehr präzise komponiert. Er beherrscht meisterhaft das Gleichgewicht zwischen Teilnahme und Abstand. Seine Werke sind auf dem ersten Blick sehr zugänglich, jedoch zerfällt die Vorstellung von einer einfachen Erzählung ziemlich schnell, die scheinbar klaren Fäden lösen sich auf und es bleiben viele Fragezeichen. Dadurch werden die Geschichten jedoch noch intensiver. Es ist auch interessant ob und wie viel Humor in seinen Werken steckt, denn seine Themen sind eigentlich sehr ernst. Es bleibt aber immer der Verdacht auf eine subversive, vielleicht auch bittere Heiterkeit bestehen. Des Weiteren ist das Verhältnis zwischen dem liebevollen Umgang mit Linien und Farben und den geradezu schmerzhaft-radikalen Schnitten in seinen Kompositionen ein weiterer Balanceakt. Lukas Meir schafft es den Lagrange Punkt einer multiplen Ambivalenz zu finden.“
„Uns war von Beginn an klar, dass wir bei zwei künstlerischen und einer kuratorischen Position auf einer gewissen Weise das Dreikörperproblem haben“, setzt Milen Krastev fort. „Wer schon von diesen alten und sehr schwierigen mathematischen Problemen gehört hat, weiß, mit gewöhnlichen Mitteln ist das kaum zu lösen. Es war daher von Anfang an die Frage wie wir die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede verstehen und ausarbeiten. Dazu gibt es keine fertige Formel. Wir haben immer wieder unterschiedliche Konstellationen kreiert, sie beobachtet, korrigiert, ausprobiert. So wie Nathalie Mohadjer und Lukas Meir in ihrer Kunst die richtige Dosis zwischen Anziehung und Abstand zum Thema finden, haben wir auch nach der richtigen Nähe und Entfernung der zwei Positionen in der Ausstellung, nach den Lagrange Punkte, gesucht.
Der Einfluss dieses Lagrange-Prinzip setzt sich auch in der Präsentation der Arbeiten fort. Wir wollten ein Dialog, ein Diskurs erzielen. Das geht natürlich nicht wenn die zwei Positionen getrennt auf Wänden oder Räumen gezeigt werden, das wäre dann nur ein nebeneinander. Wir wollten, dass die Geschichten die erzählt werden ineinandergreifen. Dafür mussten wir sehr sensibel und sinnvoll kuratieren. Es galt also die Werke miteinander sprechen zu lassen ohne die einzelnen Positionen zu verfälschen. Dazu müssen jede Zusammensetzung oder Gegenüberstellung, Positionierung sowie alle Blickachsen in der Ausstellung mit Bedacht gewählt werden.“
„Lagrange-Punkte sind Orte im Weltraum, an denen die Gravitationskräfte eines Mehrkörpersystems, wie z.B. der Sonne und der Erde, sich gegenseitig aufheben.“ möchte Milen Krastev die Botschaft, die der Titel der Ausstellung mit sich bringt, erklären. „Durch den Ausgleich der Anziehungskraft können diese auch als Punkte der relativen Ruhe betrachtet werden. Sich dort zu befinden gibt uns die Möglichkeit die Welt um uns herum „neutral“ zu beobachten, ohne direkt Teil einer Umlaufbahn zu sein. In Bezug auf die Ausstellung wirkt sich das auf mehreren Ebenen aus. Zum einen haben wir künstlerische Positionen wo diese sensible Balance Teil des Arbeitsprozesses ist. Der gleiche Effekt hat das Prinzip auch auf den kuratorischen Einsatz und findet sich schlussendlich in der räumlichen Präsentation wieder. Ganz allgemein ist das natürlich auch ein sehr menschliches Phänomen, denn mit jedem Schritt den wir machen, verschieben wir unseren und den Raum anderer. Wir sind immer auf der Suche nach der richtigen Nähe oder Abstand, wir leben in der Auswirkung des Lagrange Effekts.“
Die Welt ist voller Wunder und Möglichkeiten. Doch oft fällt uns der Zugang zu diesen Schätzen schwer. Wir sind so sehr in unseren Alltag eingebunden, dass wir nur selten den Raum finden, um uns mit einem neuen Blick auf die Dinge einzulassen. Für Künstler*Innen und Kurator*Innen jedoch ist das anders – sie haben ein besonderes Auge für das Schöne und das Besondere im Leben. Sie suchen nach neuen Perspektiven, um ihre Werke und Ausstellungen immer wieder neu zu gestalten und zu erfinden. Es geht darum, eine Vorstellung davon zu haben, wie man die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann. Denn in der Kunst gibt es keine Grenzen – jede neue Perspektive bringt uns weiter auf diesem Weg.
[ Von Sonja Rosettini ]
Galerie Coucou
Elfbuchenstr. 20 | 34119 Kassel
Fon: +49(0) 170 969 98 97| E‑Mail: info@coucou-coucou.com
www.coucou-coucou.com
www.nathaliemohadjer.com
www.laut.fm/Coucou
Di – Fr 16 – 19 Uhr
(und nach Vereinbarung)