Die
Künstler-Nekropole
Harry Kramer / Kassel 1996 | © Foto: Stephan Reuse
Harry Kramer: Geboren 1925 in Lingen, gestorben 1997 in Kassel. Ausbildung zum Friseur, anschließend Tänzer, Erfinder Automobiler Skulpturen und manches mehr. Teilnehmer der documenta 3, 1964. 1970 bis 1992 Professor an der Gesamthochschule Kassel. Sein Atelier entwickelte sich zum Labor für die Erprobung kreativer Strategien mit gesellschaftlichen Bezügen. Harry Kramers Urne wurde anonym auf dem Gelände der Künstler-Nekropole bestattet.
Als der Kasseler Kunsthochschulprofessor Harry Kramer 1980 über seine eigene Endlichkeit nachdachte, wurde er gewahr, dass er nicht der einzige ist, dem das Ereignis des Todes bevorsteht.
Um die Diskussion über die Skulptur in der Natur und die künstlerische
Auseinandersetzung mit dem Tod neu in Gang zu setzen, entwickelte Harry Kramer die Idee einer Künstler-Nekropole: Ausgewählte Künstler sollten zu ihren Lebzeiten ihre eigenen Grabmonumente entwerfen. Auf einem Areal im Habichtswald wurde dieses Projekt realisiert. Eine Stiftung sorgt dafür, dass es fortgesetzt wird.
Auch Künstler gehören nicht zu den Unsterblichen – es sei denn, sie machten sich dazu. Ein geeignetes Mittel schien ihm die Idee eines Künstlerfriedhofs. Künstlerinnen und Künstler von documenta-Rang sollen zu Lebzeiten an selbstgewählter Stelle ihr Grabmal errichten können und sich verpflichten, dort ihre Asche in einer Urne bestatten zu lassen. Auf diese Weise sollen sich die Teilnehmenden aktiv mit ihrer Sterblichkeit auseinandersetzen, um den eigenen Tod, zugleich aber auch das eigene Leben und dessen Position in der Welt mit individuellen künstlerischen Mitteln zu verarbeiten.
Harry Kramer nannte sein Projekt „Künstler–Nekropole“ – eine Bezeichnung, die von einem Hang zum Pathos zeugt, sich aber gleichzeitig durch Ironie entschärft. Das ideale Gelände fand sich am Blauen See im Habichtswald, in Nachbarschaft zum Bergpark Wilhelmshöhe: circa 6.000 Quadratmeter idyllische Landschaft, geprägt von früherer Bergbautätigkeit. Nach Überwindung zahlreicher Probleme des Bestattungswesens, des Naturschutzes und der Forstwirtschaft konnte 1993 das erste Monument errichtet werden. Das allgemein gewachsene Interesse an alternativen Bestattungsformen verhalf der Idee in die Wirklichkeit.
Mit der Möglichkeit, das Erinnern kreativ zu beeinflussen, bietet die Künstler-Nekropole eine Alternative zum bürokratisch reglementierten Bestattungswesen. Gleichzeitig geht es auch um eine Neudefinition von Kunst im öffentlichen Raum. Und darüber hinaus wird die in Konventionen erstarrte Gattung Grabplastik wieder in die Kunst zurückgeführt. Umstritten bleibt jedoch Harry Kramers Ort der künstlerischen Selbstinszenierung wegen der gesellschaftlichen Sonderrolle, die dort von Künstlern in Anspruch genommen wird.
Insgesamt sollen 40 Plätze vergeben werden. Eine von der Stadt Kassel getragene Stiftung stellt die Finanzierung der einen Rundweg – beginnend am Parkplatz „Bergfreiheit“ – erschlossen: Rune Mields‘ flacher Marmor-Mäander (1992), Timm Ulrichs‘ unterirdisches Bodendenkmal (1992), Fritz Schweglers barocker Sarkophag (1993), Werner Ruhnaus einladender Festplatz (1995), Heinrich Brummacks idyllische Vogeltränke (1997), Karl Oskar Blases waches Auge (2001), Blalla W. Hallmanns Gedenktafel für Harry Kramer (1998), Ugo Dossis umfriedeter Denkort (2003), Gunter Demnigs stählerne Lebensuhr (2011).
Über die einzuladenden Künstler entscheidet der Stiftungsrat. Bislang wurden neun Grabzeichen realisiert.
[ Text: Harald Kimpel | Fotos: Gerd Hausmann ]
Künstler-Nekropole
Ab Wanderparkplatz Nekropole