Ein nächtliches Wahrzeichen leuchtet über der documenta-Stadt: Das weltweit erste permanente Laser-Licht-Kunstwerk im öffentlichen Raum verknüpft seit 1977 historische Architekturen unterschiedlicher Funktion und Epochenzugehörigkeit zu einem Netz aus räumlichen und zeitlichen Bezügen. Mit der „Laserscape Kassel“ – ursprünglich „Laserenvironment“ genannt – werden herausragende Punkte der Kasseler Kulturlandschaft, denen eine achteckige Grundform gemeinsam ist, über den Dächern der Stadt einleuchtend miteinander verbunden.
In der Linienführung zur documenta 6 laufen, vom Zwehrenturm am Museum Fridericianum ausgehend, ein grüner und roter Strahl parallel über 7.325 m hinweg zum Herkules-Oktogon und verweisen auf die historische Zusammengehörigkeit von Stadtgebiet und Wilhelmshöhe. Gleichzeitig werden auf dem Turm Teilstrahlen so abgespalten, dass ein grüner auf das Dach des Zentralbaus der Orangerie in der Karlsaue trifft, von wo aus er, von einem Spiegel umgelenkt, die Mittelachse der barocken Parkanlage begleitet, bis er am Schwanentempel auf der Pfaueninsel endet. Ergänzend schneidet eine rote Linie die Konfiguration über der Rasenfläche, um auf die Figur der Vesta, der Göttin des Herdfeuers, im mythologischen Figurenprogramm am südlichen Rand der Karlswiese zu treffen.
So formiert das farbige Netz zwischen Standorten unterschiedlicher Funktion und Epochenzugehörigkeit ein komplexes Geflecht aus räumlichen und zeitlichen Bezügen, das mit farbigen Wegweisern zur Orientierung auf einem alternativen Kulturstadtplan im Maßstab 1:1 einladen und zum aktiven Nachvollzug der Stadtgeschichte anregen will.
Die ausgedehnte Struktur, deren lineare Erstreckung 1977 idealtypisch die Thesen des künstlerischen Leiters Manfred Schneckenburgers zur „horizontalen Plastik“ im Rahmen seiner „Medien-documenta“ repräsentiert, durchquert mit ihren Armen schwerelos den Raum und hat sich seitdem zum Symbol des kulturellen Selbstverständnisses der documenta-Stadt entwickelt.
Mit diesen sanften Berührungen prominenter, lokalgeschichtlich signifikanter Punkte erhellt die Lichtskulptur zugleich die Geschichte der documenta. Denn vom Fridericianum (dem Stammhaus seit 1955) führen die Leuchtspuren zu weiteren Standorten der Weltkunstausstellung: zur Orangerie (von 1959 bis 1987 zunächst als Ruine, dann als wiedererstandene Barock-Architektur zur Kunstpräsentation genutzt), über die Karlswiese (dem traditionellen Schauplatz ortspezifischer Installationen im öffentlichen Raum), zum Herkules, dem immer wieder anvisierten, bis heute jedoch unerreichten Ziel der ausgreifenden Planungsutopien Arnold Bodes.
2007 wurde mit Hilfe des documenta forum e.V. die „Laserscape Kassel“ technisch grunderneuert. Das heutige Linienschema des Laser-Kunstwerks ist gegenüber dem ursprünglichen partiell modifiziert – unter anderem durch einen dreifingrigen Fächer, der vom Orangerie-Dach die Parkachsen nachzeichnet.
Eine von Horst H. Baumann geplante Erweiterung des Konzepts durch die „Gauß-Triangulation“ würde die innerstädtische Konfiguration an den Rest der Welt anbinden: Zwischen 1818 und 1828 hatte der Geodät Carl Friedrich Gauß eine großräumige Landvermessung des Königreichs Hannover anhand von 2.600 trigonometrischen Punkten unternommen, die auch das Dreieck Brocken-Hoher Hagen-Inselsberg einbezog. Würde nun der 68 km lange Schenkel Brocken-Hoher Hagen mittels eines Laserstahls verlängert, träfe er – so die Entdeckung des Lichtkünstlers – die Herkules-Figur von ihrer Rückseite.
Von Harald Kimpel
Horst H. Baumann
Geboren 1934 in Aachen.
Fotograf, Kommunikationsdesigner und Lichtkünstler. Seit Ende der 1960er-Jahre entwickelt Horst H. Baumann den Laser als Kunstmittel in zahlreichen internalen Projekten. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf.
Literatur:
Laserscape Kassel. Horst H. Baumann. Lichtkunst im öffentlichen Stadtraum. Herausgegeben vom Magistrat der Stadt Kassel, Kulturamt, in Zusammenarbeit mit dem documenta forum Kassel e.V., Kassel 2005.