BibelBilder

Aus der Samm­lung “Alter Meister”

Rem­brandt Har­mensz. van Rijn (1606 — 1669), 1656, Gemä­de, Öl, 173 x 209 cm,
erwor­ben ver­mut­lich 1752 durch Wil­helm VIII.

Als Jakob in Ägyp­ten das Alter von 147 Jah­ren erreicht hat­te und krank gewor­den war, kam sein Sohn Joseph mit sei­nen eige­nen Söh­nen Manas­se und Ephra­im zu ihm. Jakob, der sei­ne Kräf­te sam­mel­te und sich im Bett auf­recht setz­te, adop­tier­te sei­ne Enkel und stell­te sie sei­nen Söh­nen gleich. Dar­auf for­der­te er Joseph auf, sie zum Segen her­an­zu­füh­ren. »Isra­els (= Jakobs) Augen waren vor Alter schwer gewor­den, und er konn­te nicht mehr recht sehen … Dann nahm Joseph bei­de, Ephra­im an sei­ne Rech­te, und Manas­se an sei­ne Lin­ke, zur Rech­ten Isra­els, und führ­te sie zu ihm hin. Isra­el streck­te sei­ne Rech­te aus und leg­te sie Ephra­im auf den Kopf, obwohl er der jün­ge­re war, sei­ne Lin­ke aber leg­te er Manas­se auf den Kopf, wobei er sei­ne Hän­de mit Über­le­gun­gen führ­te …« Joseph, dem dies nicht gefiel, »unter­faß­te die Hand sei­nes Vaters, um sie von Ephra­ims Kopf auf den Kopf Manas­ses hin­über­zu­zie­hen, und sag­te zu sei­nem Vater: >Nicht so, Vater, son­dern der ist der Erst­ge­bo­re­ne; leg dei­ne Rech­te ihm auf den Kopf!< Aber sein Vater woll­te nicht. >Ich weiß, mein Sohn, ich weiß<, sag­te er, >auch er wird zu einem Volk, auch er wird groß sein; aber sein jün­ge­rer Bru­der wird grö­ßer sein als er, und sei­ne Nach­kom­men wer­den zu einer Fül­le von Völ­kern< … So setz­te Isra­el Ephra­im vor Manas­se.« (1. Buch Moses, 48, in der Text­in­ter­pre­ta­ti­on der hol­län­di­schen Sta­ten­bi­j­bel von 1637). Rem­brandts Erzäh­lung gibt nicht die Dra­ma­tik der Erzäh­lung wie­der, son­dern betont ihren Wesens­ge­halt im Sin­ne der christ­li­chen Deu­tung, nach wel­cher Ephra­im als Vor­läu­fer des jün­ge­ren, von Gott gegen­über dem Juden­tum bevor­zug­ten Chris­ten­tum gese­hen wur­de. Der blon­de, lich­tum­strahl­te Kna­be im Bild­zen­trum über­kreuzt sei­ne Hän­de auf der Brust (in der Sep­tuag­in­ta-Über­set­zung und den ihr fol­gen­den Dar­stel­lun­gen über­kreuzt Jakob sei­ne Arme).

Josephs Unter­fas­sungs­ges­te der seg­nen­den Hand ist auf­fal­lend unbe­stimmt und sowohl als behut­sa­mer Wider­stand gegen den väter­li­chen Wil­len wie — ent­ge­gen dem Bibel­text — als des­sen Unter­stüt­zung gedeu­tet wor­den. Die Hin­zu­fü­gung von Asnath, der Mut­ter der Kin­der, dient der Ver­voll­stän­di­gung der Fami­lie bei die­ser bedeu­ten­den Handlung.

Wegen mehr­fa­cher Ände­run­gen der Kom­po­si­ti­on und Ver­wen­dung ver­schie­den­ar­ti­ger Mal­tech­ni­ken ist ein lang­wie­ri­ger Ent­ste­hungs­pro­zeß anzu­neh­men. Ein Auf­trag­ge­ber — der nicht vor­aus gesetzt wer­den muss — ist eben­so­we­nig über­lie­fert wie ein Vor­be­sit­zer oder der Ver­käu­fer. Die ein­zi­ge, wenn auch unsi­che­re Spur des Bil­des aus der Zeit vor der Kas­se­ler Erwer­bung ist eine über­lie­fer­te Pas­tell­ko­pie von C. Troost (J. W. Nie­mei­jer, Cor­ne­lis Troost, Assen 1973, Kat. Nr. 919 T). Nach einem Säu­re­at­ten­tat im Okto­ber 1977 erfolg­te im Münch­ner Doer­ner-Insti­tut eine Restau­rie­rung durch H. von Son­nen­burg. Dabei zeig­te sich, daß der Erhal­tungs­zu­stand »auch unter Berück­sich­ti­gung der kürz­lich erfolg­ten Säu­re­schä­den als aus­ge­spro­chen gut bezeich­net wer­den kann« (von Son­nen­burg 1978, S. 228).
(G. J. M. Weber, 2006)

Rem­brandt Har­mensz. van Rijn (1606 — 1669), 1646, Gemä­de, Öl, 46,8 x 68,4 cm, erwor­ben 1752 von W. Lor­mier, Den Haag, durch Wil­helm VIII.

Ein beschei­de­ner, spär­lich beleuch­te­ter Innen­raum ist Schau­platz einer häus­li­chen Fami­li­en­sze­ne: Links vor­ne sitzt vor einer Bett­statt eine Mut­ter in inni­ger Umar­mung des Klein­kin­des auf ihrem Schoß, des­sen Wie­ge dane­ben am Boden steht. Sie schaut hin­ab auf die kärg­li­che Feu­er­stät­te in der Mit­te des Rau­mes, neben der eine Kat­ze kau­ert und eine irde­ne Scha­le steht. Wei­ter rechts öff­net sich die Aus­sicht ins Freie, wo man den Fami­li­en­va­ter beim Holz­ha­cken erblickt. Die­se gen­re­haf­te Sze­ne schlich­ter, fami­liä­rer Behag­lich­keit wur­de erst im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts als Dar­stel­lung der Hei­li­gen Fami­lie erkannt. Die Ein­klei­dung des Heils­ge­sche­hens im Gewand des All­täg­li­chen ist typisch für die nie­der­län­di­sche Kunst des 17. Jahr­hun­derts und ins­be­son­de­re für Rem­brandt, der die­sen Ansatz bereits in frü­he­ren Fas­sun­gen des The­mas erprob­te. Der zeit­ge­nös­si­sche Cha­rak­ter reg­te an, die Bild­bot­schaft für das eige­ne Dasein zu vergegenwärtigen.

Bemer­kens­wert an Rem­brandts Gemäl­de ist jedoch vor allem die Tat­sa­che, dass die eigent­li­che Bild­sze­ne von einem gemal­ten Rah­men ein­ge­fasst wird, vor dem wie­der­um ein eben­falls gemal­ter, das rech­te Drit­tel der Raum­dar­stel­lung bede­cken­der roter Vor­hang hängt. Eine getreue Nach­zeich­nung im Ashmo­lean Muse­um in Oxford gibt Auf­schluss über den ursprüng­lich rund­bo­gi­gen obe­ren Abschluss des beschnit­te­nen Gemäl­des. Die Tafel gibt somit vor, ein gerahm­tes Gemäl­de zu sein, des­sen Dar­stel­lung mit­tels des zurück­ge­schla­ge­nen Vor­hangs für den Betrach­ter ent­hüllt wur­de. Die Figu­ren­sze­ne selbst wird dabei zum Bild im Bild mit büh­nen­raum­ar­ti­gem Cha­rak­ter.

Wenn­gleich die nie­der­län­di­sche Male­rei um 1640 bis 1650 den gemal­ten Vor­hang bereits in unter­schied­li­chen Gen­res kennt, ist Rem­brandt der­je­ni­ge, der die­ses Motiv mit dem des gemal­ten – im eige­nen Œuvre sin­gu­lä­ren – Rah­mens ver­bin­det und in der Fol­ge popu­la­ri­siert. Der sog. Ädi­ku­larah­men des Kas­se­ler Bil­des mit sei­nen eher unzeit­ge­mä­ßen Renais­sance­for­men taucht eben­falls auf zwei spä­te­ren zeich­ne­ri­schen Rah­men­ent­wür­fen des Künst­lers auf.
Der Reiz und die Irri­ta­ti­on des Gemäl­des lie­gen in der Durch­drin­gung der eigent­lich getrenn­ten Sphä­ren von Bild­dar­stel­lung und ‑rah­mung, die hier bei­de durch die­sel­ben Licht­quel­len in- und außer­halb des Bil­des erhellt wer­den. Ob der Betrach­ter Rah­men und Vor­hang als gemal­te oder rea­le Objek­te erken­nen soll, bleibt jedoch unein­deu­tig. Sicher aber dürf­te die ursprüng­li­che Prä­sen­ta­ti­on ohne exter­nen Rah­men gewe­sen sein.

Der Vor­hang selbst lässt als Schar­nier zwi­schen Bild- und Betrach­ter­ebe­ne ver­schie­de­ne Deu­tun­gen zu: Zum einen reflek­tiert er die in nie­der­län­di­schen Samm­lun­gen auch bild­lich beleg­te Ver­hül­lung von Gemäl­den, die vor allem der Stei­ge­rung des Rei­zes und der Kost­bar­keit der Wer­ke dien­te – womög­lich war Rem­brandts Bild für einen sol­chen Kon­text vor­ge­se­hen. Zum ande­ren ist mit dem Motiv ein popu­lä­rer Künst­ler­to­pos ange­spro­chen, dem­zu­fol­ge der anti­ke Maler Par­r­ha­si­us sei­nen Kon­kur­ren­ten Zeu­xis mit einem gemal­ten Vor­hang täusch­te und als bes­ter Maler besieg­te. Der Vor­hang illus­triert die künst­le­ri­schen und illu­sio­nis­ti­schen Qua­li­tä­ten von Rem­brandts Kunst, des­sen Signa­tur er zudem ent­hüllt, im Sin­ne eines Trompe‑l´Œils. Gleich­wohl wird des­sen Ver­blüf­fungs­po­ten­zi­al im male­ri­schen Duk­tus des Bil­des, das hier­in „vor allem zur Schau stellt, dass es ganz und gar Male­rei ist“, bewusst nicht aus­ge­reizt. Schließ­lich fun­giert der Vor­hang als visu­el­ler und farb­li­cher Stör­fak­tor, der die Auf­merk­sam­keit für die dahin­ter lie­gen­de Sze­ne schärft und deren inti­men Cha­rak­ter, durch das Bewusst­sein ihrer Ent­hül­lung, für den Betrach­ter ver­stärkt.
(J. Car­ras­co, 2015)

Jacob Cor­ne­lisz. van Oost­sa­nen (um 1472 — 1533) Chris­tus als Gärt­ner, 1507 Gemäl­de, Öl, 60,5 x 45,2 x 4,5 cm (Rah­men­maß)
54,5 x 38,8 cm (Bild­maß) erwor­ben um 1753 durch Wil­helm VIII.

Zum The­ma s. W. Drost, GK 261. Im Hin­ter­grund wei­te­re Sze­nen aus der Auf­er­ste­hungs­ge­schich­te: links Maria Mag­da­le­na am lee­ren Grab, im Zen­trum die Begeg­nung von Jesus mit den drei Mari­en (Mat­thä­us 28, 9–10), in der Fer­ne vor dem Stadt­tor Jesus und die Emma­us­pil­ger, in einem nischen­ar­tig geöff­ne­ten Stadt­ge­bäu­de das Emma­us­mahl (Lukas 24, 13–15). * Neben einer »Kreu­zi­gung« (Kunsth. Otto Nau­mann, New York, Kat. Inau­gu­ral Exhi­bi­ti­on of Old Mas­ter Pain­tings, 1995, S. 16–20 m. Farb­abb.) frü­hes­tes datier­tes Gemäl­de­des Künst­lers, von außer­or­dent­lich gutem Erhal­tungs­zu­stand. Der Stil ist kon­ser­va­tiv spät­go­tisch, die Fein­ma­le­rei jedes Details erzeugt eine tep­pich­haft deko­ra­ti­ve Wir­kung. Die sil­hou­et­ten­haf­te Aus­füh­rung der Haupt­fi­gu­ren mit ecki­gem Fal­ten­werk erin­nert an Oost­sa­nens gleich­zei­ti­ge Holz­schnitt­fol­ge des Mari­en­le­bens.
(B. Schna­cken­burg, 1996)

Lucas d. Ä. Cra­nach (1472 — 1553), Klei­ner Flü­gel­al­tar mit der Auf­er­ste­hung Chris­ti (Mit­tel­ta­fel), der Hl. Bar­ba­ra (lin­ker Flü­gel, Innen­sei­te) und der Hl. Katha­ri­na (rech­ter Flü­gel, Innen­sei­te), Anfang des 16. Jh., Öl, Mit­tel­ta­fel 38 x 25,8 cm (Bild­maß) Flü­gel 39 x 9,9 cm (Bild­maß) 76 x 97,2 x 17,3 cm mit Rah­men (Objekt­maß) erwor­ben 1905 als Geschenk von Dr. Lud­wig Mond

Die Mit­tel­ta­fel zeigt den auf­er­stan­de­nen Chris­tus als jugend­lich-makel­lo­se Figur in fron­ta­ler Stel­lung. Links sieht man das ver­sie­gel­te Fel­sen­grab, vor dem ein schla­fen­der Sol­dat kau­ert. Rechts lagern eben­so zwei schla­fen­de Sol­da­ten sowie im Vor­der­grund ein wei­te­rer, der mit erschro­cken geöff­ne­ten Augen Chris­tus anstarrt und wie zur Abwehr sei­nen Schwert­knauf umfasst. Hin­ter den Sol­da­ten öff­net sich rechts der Blick auf eine wei­te Land­schaft, mit den drei Mari­en als minia­tur­haf­te Figür­chen im Mit­tel­grund. Auf den Sei­ten­ta­feln sind die Hl. Bar­ba­ra (links) und die Hl. Katha­ri­na (rechts) als Ganz­fi­gu­ren dar­ge­stellt. Sie gehö­ren zu den 14 Not­hel­fern und wur­den von den Gläu­bi­gen bei Krank­heit und in der Stun­de des Todes ange­ru­fen. The­ma­tisch ver­weist also Mit­tel­ta­fel wie Sei­ten­flü­gel auf die Todes­er­war­tung und die damit ver­bun­de­ne Hoff­nung auf Auf­er­ste­hung. Die Anord­nung der bei­den weib­li­chen Hei­li­gen Bar­ba­ra (rechts) und Katha­ri­na (links) ist unge­wöhn­lich, da sie sonst bei Cra­nach eher anders­her­um erfolgt (vgl. GK 12 und 13). Dar­in mag sich ein dezi­dier­ter Auf­trag­ge­ber­wunsch verbergen.

Wer den Altar bei Lucas Cra­nach bestellt hat, ist bis­lang nicht geklärt. Sicher sind dage­gen Adres­sa­ten sowie die zeit­li­che Anord­nung im Œuvre Cra­nachs. Auf den Rück­sei­ten der bei­den Flü­gel sind die Wap­pen Land­graf Wil­helms II. von Hes­sen (links) und sei­ner Frau Anna von Meck­len­burg (rechts) auf­ge­malt, so dass eine Ent­ste­hung mit eini­ger Sicher­heit für den Zeit­raum 1508-10 ange­nom­men wer­den kann. Seit jeher hat man den Klapp­al­tar mit der Krank­heit und dem frü­hen Tod von Land­graf Wil­helm in Ver­bin­dung gebracht. Die­ser erkrank­te 1506 an der Syphi­lis, an deren Fol­gen er am 11. Juli 1509 ver­starb. Sti­lis­ti­sche Grün­de, ins­be­son­de­re die Inspi­ra­ti­on durch nie­der­län­di­sche Kunst­wer­ke, wei­sen zudem auf eine Ent­ste­hung nach Cra­nachs Rei­se in die Nie­der­lan­de 1508. Das Kas­se­ler Klapp­al­tär­chen ist damit der ers­te beleg­ba­re Auf­trag des Wit­ten­ber­ger Hof­ma­lers für einen ande­ren Hof und Aus­druck der tie­fen Ver­bun­den­heit bei­der erb­ver­brü­der­ter Häu­ser zu Beginn des 16. Jahrhunderts.

Die Figur Chris­ti belegt in ihrer Gestal­tung die Aus­ein­an­der­set­zung mit Wer­ken von Jaco­po de‘ Bar­ba­ri, der von 1503 bis 1505 Cra­nachs Vor­gän­ger im Amt als Hof­ma­ler in Wit­ten­berg war, ins­be­son­de­re der um 1503/04 ent­stan­de­ne Kup­fer­stich mit dem auf­er­stan­de­nen Chris­tus ist hier zu nen­nen. Im Unter­schied zu de‘ Bar­ba­ri wirkt die Figur etwas gedrun­ge­ner und die Tri­umph­fah­ne wird näher an den Kör­per geführt. Wie die Infra­rot­re­flek­to­gra­phie belegt, ori­en­tier­te sich Cra­nach in Aus­se­hen und Posi­ti­on des Sta­bes zunächst mehr an de Bar­ba­ri. Spä­ter ent­schied er sich, den glä­ser­nen Stab mit Ring­wuls­ten zu ver­se­hen und dich­ter an Chris­tus her­an­zu­füh­ren. Eine Zwi­schen­stu­fe mag in der Zeich­nung in Erlan­gen über­lie­fert sein, die im Kon­text des Wit­ten­ber­ger Heilt­ums­bu­ches für Fried­rich den Wei­sen entstand.

Albrecht Alt­dor­fer (um 1482–85 — 1538), Chris­tus am Kreuz mit Maria und Johan­nes, um 1512 , 101,5 x 116 cm (Bild­maß)
von Kai­ser Wil­helm II. aus der Samm­lung W. Schmidt, Mün­chen, 1905 erworben.

Ver­mut­lich um 1512 als Epi­taph für die Regens­bur­ger Fami­lie Aumair ent­stan­den, deren Wap­pen um Fuß des Kreu­zes­stamm zu sehen ist. Hin­ter der monu­men­ta­len, streng sym­me­tri­schen Kreu­zi­gungs­grup­pe, deren Figu­ren die Beschäf­ti­gung mit der ita­lie­ni­schen Renais­sance, mit der Gra­phik von Andrea Man­te­gna zei­gen, brei­tet sich eine wei­te Vor­al­pen­land­schaft aus. Ihre durch­dach­te Kom­po­si­ti­on mit Vor­der­grund, Mit­tel­zo­ne, Fern­blick und Sei­ten­ab­schlüs­sen ist zukunft­wei­send. Weni­ge Jah­re spä­ter schuf Alt­dor­fer die ers­ten auto­no­men Land­schafts­ge­mäl­de der abend­länd­li­schen Kunst.
(B. Schna­cken­burg, 1996)

Bar­to­lo­mé Este­ban Mur­il­lo (1617 — 1682), Joseph und die Frau des Poti­phar, 1640–1645, Gemäl­de, Öl,
196,5 x 245,3 cm, erwor­ben vor 1775 durch Fried­rich II

Mur­il­los groß­for­ma­ti­ges Früh­werk zeigt in lebens­gro­ßen Figu­ren den dra­ma­ti­schen Höhe­punkt der Sze­ne aus der Josephs­ge­schich­te (Gen 39, 1–23). Die halb ent­blöß­te Frau des ägyp­ti­schen Käm­me­rers Poti­phar springt von ihrem mit kost­ba­ren Stof­fen und einem vor­neh­men Bal­da­chin geschmück­ten Bett auf, um den nach links in wei­ten Schrit­ten flie­hen­den Joseph auf­zu­hal­ten. Mit ihrer nach vor­ne gereck­ten Hand kann sie aller­dings gera­de noch sein leuch­tend gel­bes Gewand erha­schen. Die mit star­ken Hell-Dun­kel-Kon­tras­ten arbei­ten­de Kom­po­si­ti­on erin­nert an Thea­ter­in­sze­nie­run­gen. Tat­säch­lich dien­te die Geschich­te bis­wei­len als Grund­la­ge für reli­giö­se Schau­spie­le (Ull­rich 2009, S. 182–185). Seit dem hl. Ambro­si­us wur­de die Sze­ne als Alle­go­rie auf den Tod Chris­ti ver­stan­den; die Frau des Poti­phar kann zwar Josephs Man­tel erha­schen, nicht aber sei­ne Tugend­haf­tig­keit. Ana­log bedeu­tet die Ent­klei­dung Chris­ti ledig­lich einen äuße­ren Tri­umph der Scher­gen über den Hei­land. Joseph wird somit zum alt­tes­ta­men­ta­ri­schen Vor­läu­fer Chris­ti.

In Spa­ni­en taucht die Sze­ne ver­gleichs­wei­se sel­ten auf. Am Königs­hof in Madrid fin­det man sie ledig­lich als Teil von Tin­to­ret­tos Aus­stat­tungs­zy­klus, den soge­nann­ten »bóve­das de Tizia­no«, die Veláz­quez auf sei­ner zwei­ten Ita­li­en­rei­se in Vene­dig für die könig­li­chen Samm­lun­gen erwor­ben hat­te, sowie inner­halb eines grö­ße­ren Aus­stat­tungs­pro­gramms in der Gale­rie der Köni­gin im Schloss El Par­do, gemalt 1607–1612 von dem in Arez­zo gebo­re­nen Patri­cio Caxes. Spa­ni­sche Kunst­theo­re­ti­ker des 17. und 18. Jahr­hun­derts emp­fan­den die­se Sze­ne jedoch als unpas­send für Palast­de­ko­ra­tio­nen. So schrieb Anto­nio Palo­mi­no: »Es scheint mir nicht die bes­te Wahl zu sein für eine Gale­rie der Frau­en, wo es doch so vie­le berühm­te Frau­en in der Hei­li­gen Schrift gibt, die als Tugend­bei­spiel die­nen kön­nen« (Palo­mi­no 1988, Bd. 3, S. 129).

Ent­spre­chend sel­ten fin­det sich das Sujet in der spa­ni­schen Male­rei dar­ge­stellt. Sevil­la scheint aller­dings zu Mur­il­los Zei­ten hier­in eine Aus­nah­me gewe­sen zu sein. Flä­mi­sche Kauf­leu­te, die teil­wei­se gro­ße Samm­lun­gen in der Stadt zusam­men­tru­gen, fan­den offen­sicht­lich beson­de­res Inter­es­se an der ero­ti­schen Sze­ne. Nico­las Oma­zur, einer der bedeu­tends­ten Mäze­ne Mur­il­los in der Stadt, besaß eine Kopie nach Mur­il­lo, Juan Bau­tis­ta Clar­ebout sogar, nach Aus­weis sei­nes Inven­tars, ein Ori­gi­nal­werk des Meis­ters (Kin­kead 1986). Viel­leicht han­delt es sich um das 2004 bei Sotheby’s ver­stei­ger­te Gemäl­de aus den 1660er Jah­ren (Öl auf Lein­wand, 63,5 x 84,5 cm; Sotheby’s Lon­don, 9.12.2004, Nr. 336). Eine frag­men­ta­ri­sche Replik die­ses Wer­kes, die den flie­hen­den Joseph und nur noch den aus­ge­streck­ten Arm der Frau zeigt, wird im Insti­tu­to Gómez-Moreno in Gra­na­da auf­be­wahrt (Öl auf Lein­wand, 36 x 29,5 cm; Best.-Kat. Gra­na­da 1992, S. 129). Eine zeich­ne­ri­sche Kopie (mit weni­gen Vari­an­ten) von Cor­ne­lis Schut befand sich bis zum Spa­ni­schen Bür­ger­krieg im Insti­tu­to Jovel­lanos in Gijón (Lavier­te Feder­zeich­nung, 17 x 24 cm; Pérez Sán­chez 2003², S. 471, Abb. 436).

Zu die­sen Wer­ken aus dem unmit­tel­ba­ren Umkreis Mur­il­los kommt noch der um 1655 ent­stan­de­ne sechs­tei­li­ge Zyklus der Josephs­ge­schich­te von dem in Cór­do­ba täti­gen Anto­nio del Cas­til­lo, in dem auch die besag­te Sze­ne dar­ge­stellt wird (Madrid, Museo del Pra­do, vgl. Tag­gard 1990) sowie ein Gemäl­de Alon­so Canos in Pri­vat­be­sitz, das um 1650–52 datiert wird und sich durch die ero­tisch auf­ge­la­de­ne weib­li­che Akt­fi­gur von den genann­ten Bei­spie­len unter­schei­det (Ull­rich 2009, S. 376). Das Kas­se­ler Gemäl­de steht inner­halb die­ser Rei­he wahr­schein­lich am Anfang und lässt sich um 1640–45 datie­ren. (J. Lan­ge, 2016)

Jacob Jor­daens (1593 — 1678) Moses schlägt Was­ser aus dem Fel­sen Mit­tel­zo­ne: 1650er Jah­re; Rest nach 1660 Gemäl­de,
Öl. 221,5 x 266 cm, erwor­ben vor 1749 durch Wil­helm VIII.

Beim Zug durch die Wüs­te ret­te­te Moses die durst­ge­quäl­ten Israe­li­ten, indem er auf Wei­sung Got­tes mit sei­nem Stab gegen einen Fel­sen schlug, dem dar­auf­hin Was­ser ent­ström­te (2. Buch Mosis, 17, 1–7). Ein Bezug zum Neu­en Tes­ta­ment wird her­ge­stellt durch den auf einem Regen­bo­gen thro­nen­den Chris­tus: »Wer aber von dem Was­ser trinkt, das ich ihm geben wer­de, wird in Ewig­keit nicht mehr dürs­ten.« (Joh. 4,14) * Die Mit­tel­zo­ne ver­mut­lich aus den 1650er Jah­ren. Wohl erst nach 1660 wur­den oben und unten brei­te Strei­fen ange­stückt. Die skiz­zen­haf­te Mal­wei­se der unte­ren Figu­ren erin­nert an den spä­ten Tep­pich­ent­wurf »Harun al Rasch­id vor Karl dem Gro­ßen« in Brüs­se­ler Pri­vat­be­sitz (Ausst. Kat. Ant­wer­pen 1993, Nr. A 93).
(B. Schna­cken­burg, 1996)

Giu­sep­pe Cesa­ri (1568 — 1640), Die Gefan­gen­nah­me Chris­ti, 1590er Jah­re, Gemäl­de, Öl, 88,5 x 62 cm
erwor­ben 1750 mit dem Kabi­nett des Vale­ri­us Röver, Delft, durch Wil­helm VIII.

Bei der Dar­stel­lung der Gefan­gen­nah­me Chris­ti hat­ten Künst­ler seit jeher die Anfor­de­rung, eine Nacht­sze­ne dar­zu­stel­len. Die Grund­la­ge bil­de­ten die Erzäh­lun­gen der Evan­ge­lis­ten. Cesa­ri, einer der füh­ren­den und ein­fluss­reichs­ten Maler Roms vor der Ankunft Cara­vag­gi­os zeigt die Sze­ne in das fah­le Licht des Mon­des getaucht, wodurch die Far­ben einen küh­len, fast metal­li­schen Klang erhal­ten. Cha­rak­te­ris­tisch für die Kunst des spä­ten 16. Jahr­hun­derts ist einer­seits das Bemü­hen um eine rea­lis­tisch anmu­ten­de ein­heit­li­che Licht­si­tua­ti­on, ande­rer­seits die Inte­gra­ti­on ver­schie­de­ner Licht­quel­len im Bild. So erkennt man neben dem Mond und eini­gen Ster­nen als wei­te­re Licht­quel­le links einen Sol­da­ten mit bren­nen­der Fackel, einen Jun­gen mit Ker­ze rechts sowie, leicht aus dem Bild­zen­trum gerückt, Chris­tus, des­sen Haupt von einer strah­len­den Glo­rio­le umge­ben ist. All die­se Licht­quel­len beleuch­ten das Werk auf ihre Wei­se.

Wolf­gang Schö­ne unter­schied zwi­schen vier unter­schied­li­chen „Leucht­licht-Arten“: „natür­li­ches“ (Son­ne, Mond, Tages­licht), „künst­li­ches“ (Ker­ze, Fackel oder Feu­er), „sakra­les“ (Glo­rie, Hei­li­gen­schein) und „indif­fe­ren­tes“ Leucht­licht (eine Licht­quel­le, die sich den drei vor­he­ri­gen nicht ein­deu­tig zuord­nen lässt).

Ces­a­ris „Gefan­gen­nah­me Chris­ti“ ist hier­für ein anschau­li­ches Bei­spiel, ver­eint das Gemäl­de doch all die­se Leucht­licht-Arten. Zunächst möch­te man mei­nen, dass alle Figu­ren ihr Licht von dem am Him­mel rechts strah­len­den Mond erhal­ten, doch tritt gera­de bei der Figu­ren­grup­pe von Petrus und Malch­us im Vor­der­grund eine wei­te­re Licht­quel­le hin­zu, die eher von oben links zu kom­men scheint, wie die Schlag­schat­ten am Boden anzei­gen. Soll damit die Bren­nen­de Fackel links gemeint sein, die einer der Sol­da­ten trägt? Oder sen­det Chris­tus dem zukünf­ti­gen Apos­tel­fürs­ten etwas von sei­nem Licht?
Die Kom­po­si­ti­on besteht aus gegen­läu­fi­gen Bewe­gungs­rich­tun­gen, die in sich in der Figur Chris­ti kreu­zen. Vom Mond über die Sol­da­ten rechts und der Kopf­wen­dung Chris­ti wird der Blick auf den davon­ei­len­den nack­ten Jüng­ling links gelei­tet, von dem es im Mar­kus­evan­ge­li­um heißt: „Ein jun­ger Mann aber, der nur mit einem lei­ne­nen Tuch beklei­det war, woll­te ihm nach­ge­hen. Da pack­ten sie ihn, er ließ aber das Tuch fal­len und lief nackt davon.“ (Mar­kus, 14, 51–52). Von den Sol­da­ten links wie­der­um führt über den aus­ge­streck­ten Arm Chris­ti eine Bewe­gungs­li­nie zu Petrus, der gera­de Malch­us, dem Die­ner des Hohen­pries­ters, ein Ohr abschlägt, wor­auf Jesus ihm befielt: „Steck das Schwert in die Schei­de!“ (Joh., 18, 10). Chris­tus wird so zum Dreh- und Angel­punkt der Sze­ne.

Die unter­schied­li­chen Licht­quel­len unter­stütz­ten das sich dia­go­nal kreu­zen­de Geflecht der Bewe­gun­gen und ver­deut­li­chen Ces­a­ris aus­ge­klü­gel­te Kom­po­si­ti­on, die das Kas­se­ler Gemäl­de zu einem sei­ner Haupt­wer­ke macht. Eine eigen­hän­di­ge, klei­ne­re Fas­sung in Rom (Gal­le­ria Borg­he­se) sowie zahl­rei­che Kopien bele­gen den Erfolg des Wer­kes. Rött­gen ver­mu­te­te in dem Kas­se­ler Bild die Mit­ar­beit von Ber­nar­di­no Cesa­ri, der häu­fig bei sei­nem Bru­der mit­ar­bei­te­te. (J. Lan­ge, 2011)

Anto­nio Moli­na­ri (1655 — 1704),. Chris­tus und die Ehe­bre­che­rin, Gemäl­de ÖL, 1690er Jah­re .
125,5 x 170,5 cm, erwor­ben 1752 durch Wil­helm VIII. von Graf Fran­ces­co Algarotti

Zum The­ma s. L. Cra­nach d.J., Werk­statt, GK 1023. * Haupt­werk des Künst­lers, das sich durch rei­chen Kolo­ris­mus aus­zeich­net. Nach Leh­mann (1986) bereits in den 1690er Jah­ren ent­stan­den.
(B. Schna­cken­burg, 1996)

Miche­le Roc­ca (1670/75 — nach 1751), Baths­eba im Bade, 1729, Gemäl­de, Öl,
74 x 96,5 cm, erwor­ben 1748 auf der Verst. der Samm­lung Theo­dor Wil­kens in Ams­ter­dam durch Wil­helm VIII.

Zum The­ma s. B. F. Dou­ven, GK 324. * Abwand­lung einer Kom­po­si­ti­on Car­lo Marat­tas aus dem Ende des 17 Jhs. ins ele­gan­te und hell­far­bi­ge Roko­ko. Das gleich­for­ma­ti­ge Gegen­stück »Sam­son und Deli­la« (Inv. 1749 ff. Nr. 184) befin­det sich bei der Staat­li­chen Ver­wal­tung der Schlös­ser und Gär­ten Hes­sen, Schloß Wil­helms­hö­he, Wei­ßen­stein­flü­gel. (B. Schna­cken­burg, 1996)

Jacob Jor­daens (1593 — 1678), Die Anbe­tung der Köni­ge, 1643 — 1644, Gemäl­de, Öl. 156,5 x 115,5 cm
erwor­ben von Kunsth. F. Teltscher, London

Als Jesus in Beth­le­hem gebo­ren war, kamen Wei­se aus dem Mor­gen­land (nach der Legen­de die drie Köni­ge Cas­par, Mel­chi­or und Bal­tha­sar). Als der Stern, der sie geführt hat­te, über der Geburts­stät­te ste­hen­blieb, tra­ten sie ein und brach­tem dem Kind Gold, Weih­rauch und Myr­rhe als Geschen­ke dar.
(Mat­thä­us 2, 1–12, Legen­da aurea, S. 111–120) *

Ent­wurf zu dem 1644 ent­stan­de­nen, im 1. Welt­krieg zer­stör­ten Hoch­al­tar­bild der St. Niko­laus­kir­che in Diks­mui­de (R.-A- d´Hulst, De Teken­in­gen von Jacob Jor­daens, Brüs­sel 1956, Abb. 136. Kom­po­si­ti­ons­zeich­nun­gen s. d´Hulst 1974, s. GK 108, I Kat. Nr. 186, 187, III Kat. Nr. A 290, V Kat. Nr. C 34). Vor­bild für die Kom­po­si­ti­on ist Rubens´ Altar­bild von 1624 für St. Micha­el in Ant­wer­pen, heu­te im Kon­in­kli­jk Muse­um voor Scho­ne Kunsten.
(B. Schna­cken­burg, 1996)

Peter Paul Rubens (1577 — 1640), Maria mit Jesus und Johan­nes, von reu­igen Sün­dern und Hei­li­gen ver­ehrt, um 1619,
Gemäl­de, Lein­wand auf Eichen­holz, 258 x 204 cm, erwor­ben durch Wil­helm VIII. 1734 auf der Verst. Wil­lem Six, Ams­ter­dam, oder vor 1749 von einem Zwischenbesitzer

Das Altar­bild hat in betont gegen­re­for­ma­to­ri­schem Sinn die Rol­le der Buße zum Inhalt. Maria mit Jesus und dem sün­den­lo­sen Büßer Johan­nes dem Täu­fer wird von reu­igen Sün­dern, dem ver­lo­re­nen Sohn, Maria Mag­da­le­na, König David und dem Kir­chen­va­ter Augus­ti­nus um Für­spra­che ange­ru­fen. Hin­ter ihnen wen­den sich der Hl. Georg und die Ordens­grün­der Fran­zis­kus und Domi­ni­kus der Madon­na in Ver­eh­rung zu.
Aus sti­lis­ti­schen Grün­den und wegen der Ver­wen­dung von Por­trät­zeich­nun­gen von Rubens´ 1614 und 1618 gebo­re­nen Söh­nen ist eine Ent­ste­hung um 1619 anzu­neh­men. Stif­ter könn­te, wie auch Mül­ler Hof­stede annimmt, der mit Rubens befreun­de­te Domi­ni­ka­ner Michiel Opho­vi­us gewe­sen sein; der Hl. Domi­ni­kus hat sei­ne Gesichts­zü­ge, wie sie aus Ein­zel­por­träts von Rubens bekannt sind (vgl. Vlieg­he 1987, s. GK 92, Nr. 126; Ausst. Kat. Boston/Toledo 1993/94, Nr. 23).

Opho­vi­us, Pri­or des St. Pauls-Klos­ters in Ant­wer­pen und Ordens­pro­vi­ni­zi­al für Nie­der­deutsch­land, war ein lei­den­schaft­li­cher Vor­kämp­fer der Gegen­re­for­ma­ti­on und wur­de 1615 Prä­fekt der Domi­ni­ka­ner­mis­si­on in den cal­vi­nis­tisch beherrsch­ten Nord­pro­vin­zen. Trotz der offen­sicht­li­chen Bestim­mung für eine Bet­tel­or­dens­kir­che ist das Altar­blatt 1640 im Nach­laß­in­ven­tar des Künst­lers auf­ge­führt; bereits damals war die Lein­wand auf Holz auf­ge­klebt. Die­se Maß­nah­me wur­de nötig, weil das auf einer stark zusam­men­ge­stück­ten Lein­wand gemal­te Bild wohl nicht lan­ge nach der Voll­endung schwe­re Beschä­di­gun­gen erlitt. Neben einer durch­ge­hen­den senk­rech­ten Knick­fal­te fin­den sich meh­re­re unre­gel­mä­ßi­ge, lan­ge Schnitt­spu­ren mit sehr alten Aus­kit­tun­gen und Retu­schen. Unter­halb der Hän­de des Hl. Augus­ti­nus, wo auf zwei zeit­ge­nös­si­schen Kopien (Ermi­ta­ge St. Peters­burg, Inv. Nr. 519; Ger­ma­ni­sches Natio­nal­mu­se­um Nürn­berg, Inv. Nr. Gm 357) ein Engel zu sehen ist, wur­de ein recht­ecki­ges Stück Lein­wand ohne Figur neu ein­ge­setzt. Wahr­schein­lich kam das Bild nach Beschä­di­gun­gen durch einen Unfall oder Kriegs­ein­wir­kun­gen von sei­nem Bestim­mungs­ort zur Restau­rie­rung in die Rubens-Werk­statt, ohne anschlie­ßend zurück­ge­schickt wer­den zu kön­nen. Der den­dro­chro­no­lo­gi­sche Befund der aus neun Bret­tern bestehen­den Holz­ta­fel unter­stützt die Ver­mu­tung, daß die bemal­te Lein­wand früh­zei­tig auf­ge­zo­gen wur­de (Gut­ach­ten Dr. P. Klein, Ham­burg, vom 7.7.95: Ver­wen­dung der Holz­ta­fel bereits ab 1597 denk­bar).

Wäh­rend das Gemäl­de im Nach­laß­in­ven­tar als eige­nes Werk ver­zeich­net ist, ist aus dem 18. Jh. eine Zuschrei­bung an Anton van Dyck über­lie­fert, der zur frag­li­chen Zeit der bedeu­tends­te Mit­ar­bei­ter von Rubens war. Seit dem 19. Jh. ist die Zuwei­sung des Bild­ent­wurfs an Rubens unbe­strit­ten, doch schrei­ben Bode und Olden­bourg die gesam­te Aus­füh­rung van Dyck zu. Sei­ne Betei­li­gung wird heu­te zurück­hal­ten­der beur­teilt, aber nur von McN­airn gänz­lich aus­ge­schlos­sen. Wen­det man sich dem Detail zu, so sind meh­re­re Hän­de unter­scheid­bar, wenn auch nicht über­all abgrenz­bar. Im wesent­li­chen von Rubens selbst dürf­ten die mit hel­ler Palet­te gemal­ten Figu­ren der Frau­en und Kin­der stam­men, ein­schließ­lich des Ober­teils von Mari­as Kleid, von van Dyck dage­gen die Män­ner­fi­gu­ren mit rot-brau­nem Inkar­nat, aber auch Haa­re und Schlei­er der Mag­da­le­na. Für sein Früh­werk typisch ist die aus­drucks­vol­le Ver­schat­tung der Gesich­ter und die unre­gel­mä­ßi­ge, stel­len­wei­se rau­he und sträh­ni­ge Pin­sel­schrift mit star­ken pas­to­sen Erhe­bun­gen. Die meis­ten Gewand­par­tien machen den Ein­druck anony­mer Gehil­fen­ar­beit. (B. Schna­cken­burg, 1996)

Peter Paul Rubens (1577 — 1640), Die Flucht nach Ägyp­ten, 1614, Gemäl­de, Öl, 40,5 x 53 cm
erwor­ben ver­mut­lich 1735 auf der Verst. Johan van Schuy­len­burgh, Den Haag, durch Wil­helm VIII.

… ich wür­de wün­schen, dass jene Kup­fer­ta­fel mit der Flucht unse­rer Jung­frau nach Ägyp­ten, von der Sie schrei­ben, in die Hän­de irgend­ei­nes Lands­man­nes gelan­gen möge, der es in die­ses Land bräch­te, …“ schrieb Rubens Anfang des Jah­res 1611, nach­dem er von dem frü­hen Tode sei­nes ver­ehr­ten Maler­kol­le­gen Adam Els­hei­mer erfah­ren hat­te. Das erwähn­te Gemäl­de kann­te der Künst­ler ver­mut­lich nicht aus eige­ner Anschau­ung, son­dern nur über die Beschrei­bung des Dr. Johann Faber, des Emp­fän­gers die­ser Zei­len. Ob Rubens die Radie­rung Goudts kann­te, bleibt eben­falls unge­wiss. Sicher ist nur, dass sich der flä­mi­sche Meis­ter auf zen­tra­le Moti­ve des Vor­bilds bezieht und damit eine Art Hom­mage an des­sen bewun­der­te Dar­stel­lung schafft. Dies wird auch durch das gewähl­te Bild­for­mat deut­lich, das in Höhe und Brei­te nur jeweils etwa 10 cm grö­ßer ist als jenes der Kup­fer­ta­fel Els­hei­mers.

Bei­de Gemäl­de zei­gen die Hei­li­ge Fami­lie auf ihrer nächt­li­chen Flucht vor den Häschern des Hero­des. Wäh­rend bei Els­hei­mer die Land­schaft brei­ten Raum in der Dar­stel­lung ein­nimmt, kom­pri­miert Rubens die Sze­ne deut­lich, indem er sich auf die monu­men­tal im Vor­der­grund wie­der­ge­ge­be­ne Figu­ren­grup­pe der flie­hen­den Fami­lie kon­zen­triert, die hier von zwei Engeln ange­führt wird. Die Land­schaft, die bei Els­hei­mer gegen­über den Figu­ren noch als gleich­be­rech­tig­tes Bild­ele­ment auf­tritt, ist hier auf ein nicht näher spe­zi­fi­zier­tes Dun­kel redu­ziert, von dem sich das Gesche­hen am vor­de­ren Bild­rand stim­mungs­voll abhebt. Ange­legt als tief­schwar­ze Folie öff­net sich der Hin­ter­grund nur am rech­ten Bild­rand zu einem Aus­blick auf einen See, in dem sich Abend­him­mel und Mond spie­geln. Die­ses Motiv ist bereits bei Els­hei­mer vor­han­den und wird durch Rubens nur leicht abge­wan­delt, der statt des ursprüng­li­chen Voll­monds nur noch eine schma­le Sichel zeigt. Die hier­durch erziel­te Stei­ge­rung der nächt­li­chen Dun­kel­heit erhöht auch die Dra­ma­tik der Sze­ne, die durch die Figu­ren ver­mit­telt wird: Dem has­ti­gen Antrei­ben der bei­den Engel folgt der rück­wärts­ge­wand­te Blick von Josef, der am gegen­über­lie­gen­den Ufer einen schat­ten­haf­ten Rei­ter erblickt.

Rubens beschränkt sich in sei­ner Dar­stel­lung auf zwei Licht­quel­len, die durch die Spie­ge­lun­gen des Was­sers ver­stärkt wer­den. Ein sakra­les Leucht­licht, das schein­bar vom Jesus­kna­ben aus­geht und die Figu­ren illu­mi­niert, ver­bin­det sich mit dem natür­li­chen Licht des Mon­des im aus­schnitt­haf­ten Land­schafts­hin­ter­grund. Dabei wirkt das bild­li­che Licht­ge­fü­ge auf den ers­ten Blick in hohem Maße natu­ra­lis­tisch und die Aus­brei­tung und gleich­zei­ti­ge pro­por­tio­na­le Redu­zie­rung des Lichts im Raum lässt sich in Kreis­form nach­voll­zie­hen.

Das gött­li­che Leuch­ten wür­de einer Bedeu­tung Chris­ti als lumen mun­di, als Licht der Welt, ent­spre­chen und sich damit ganz der katho­li­schen bzw. gegen­re­for­ma­to­ri­schen Bild­spra­che bedie­nen, die das gött­li­che Wun­der in das Zen­trum des Bil­des tre­ten lässt. Wie Schö­ne bemerk­te, trägt das Licht jedoch nicht kon­se­quent einen sakra­len Cha­rak­ter, da das Kind einen Schat­ten auf die Brust der Mut­ter wirft und somit nicht selbst als Licht­quel­le in Fra­ge kommt. Die­se wäre viel­mehr in einer Fackel zu suchen, die unsicht­bar bleibt und erst in der zwei Jahr­zehn­te spä­ter ent­stan­de­nen Druck­gra­phik des Künst­lers in Erschei­nung tritt.
(T. Trüm­per, 2011)