Visuell besessen

Ver­nis­sa­ge in der Neu­en Gale­rie von
Arnold Bode unframed
Etwas über­ra­schend ist im docu­men­ta-Jahr die Neue Gale­rie kein offi­zi­el­ler Aus­stel­lungs­ort der 15. Welt­kunst­aus­stel­lung. Dafür gibt es die unbe­kann­te Sei­te des docu­men­ta-Erfin­ders zu ent­de­cken: Arnold Bode als Künst­ler. Das Früh­werk Bodes galt als ver­ges­sen, hier kann man nun in die Gemäl­de, Holz­schnit­te und Gra­phi­ken ein­tau­chen und anhand der chro­no­lo­gi­schen Sor­tie­rung Bezü­ge zu sei­ner Bio­gra­fie entdecken.
Dass dies­mal etwas anders ist, als bei ande­ren Aus­stel­lungs­er­öff­nun­gen, lässt sich schon beim Ankom­men erah­nen: Auf dem Park­platz der Neu­en Gale­rie steht ein Pavil­lon und zwei Turn­ta­bles mit rie­si­gen Boxen, wel­che die abend­li­che Früh­lings­son­ne reflek­tie­ren. Ver­nis­sa­ge oder Par­ty? Es wird auf Bei­des hinauslaufen.

Frischer Wind durch ungewöhnliche Konstellationen

Der fri­sche Wind bei der Kon­zep­ti­on der Aus­stel­lung kommt von der unge­wöhn­li­chen Kon­stel­la­ti­on der Aus­stel­lungs­ma­cher: Das Gan­ze fin­det in den Räum­lich­kei­ten der Muse­ums­land­schaft Hes­sen Kas­sel (MHK) statt, Student:innen der Kunst­hoch­schu­le haben der Aus­stel­lung ihr visu­el­les Gesicht gege­ben. Das docu­men­ta-Archiv besitzt den größ­ten Bestand an Bil­dern Arnold Bodes und die Gale­rie Rasch fun­gier­te als Ideen­ge­ber und ver­bin­den­des Ele­ment. Herr Prof. Dr. Mar­tin Eber­le, Direk­tor der MHK, wies in sei­ner Eröff­nungs­re­de dar­auf hin: „Ohne das docu­men­ta-Archiv trau­en wir uns sowie nichts mehr zu machen!“ Gute Idee.

Der Bereich vor dem Gemäl­de Fritz Win­ters, Kom­po­si­ti­on vor Blau und Gelb, gera­de erst von der Neu­en Gale­rie ange­kauft, ist bis auf den letz­ten Platz gefüllt. Nach der Eröff­nungs­re­de Eber­les gab Tobi­as Rasch, Inha­ber der Gale­rie Rasch, Ein­bli­cke in die schwie­ri­ge Vor­be­rei­tung solch eines Pro­jek­tes. Dabei beton­te er die gute Zusam­men­ar­beit der unter­schied­li­chen Insti­tu­tio­nen und bedank­te sich aus­drück­lich bei sei­nem wich­tigs­tem Ansprech­part­ner, die Fami­lie Bode. Dank der Offen­heit und Hilfs­be­reit­schaft der Fami­lie konn­te die­se Aus­stel­lung auf die Bei­ne gestellt werden.

Meisterschüler für freie Wandmalerei“

Bode stu­dier­te Male­rei und Gra­phik an der Kas­se­ler Kunst­aka­de­mie. Durch diver­se pro­gres­si­ve Pro­fes­so­ren wur­de Bode hier mit Ideen des Wei­ma­rer Bau­hau­ses ver­traut gemacht. Das soll­te ihn in sei­nem Schaf­fen als Künst­ler immer beglei­ten.
Er been­de­te sein Stu­di­um 1924 als „Meis­ter­schü­ler für freie Wand­ma­le­rei und Raum­ge­stal­tung“ und mach­te die Staats­prü­fung zum Zei­chen­leh­rer. Trotz sei­ner frü­hen Orga­ni­sa­ti­on von Aus­stel­lun­gen, sei­ner Tätig­keit als Möbel- und Tape­ten­de­si­gner mal­te und zeich­ne­te er sein gan­zes Leben.

Por­trät Karl Ley­hau­sen,
1920 Blei­stift und Feder in Schwarz auf Pergamentpapier

Links: Oben: 2 Frau­en in Rio 1965, Blei­stift auf Papier, Mit­te: Strand von Copa­ca­ba­na, 2 Frau­en, 1965 Kugel­schrei­ber auf Papier, Unten: 2 Frau­en in Rio2 1965, Blei­stift auf Papier)
rechts: Oben: Mei­ne Mut­ter, Mit­te: Mei­ne Mut­ter im Kran­ken­haus, Unten Gestor­ben, alle 1954 Feder und Bleistift

Film­aus­schnitt Arnold Bode unframed

Visuell besessen

Und er wur­de beein­flusst von den Strö­mun­gen sei­ner Zeit: Expres­sio­nis­mus, Fau­vis­mus, Neue Sach­lich­keit, über­all lehnt sich Bode an und reflek­tiert die Stim­mun­gen sei­ner Zeit. Dabei bedien­te er sich in sei­nen frü­hen Wer­ken eher klas­si­scher Mal­tech­ni­ken. Erst ab den 50er Jah­ren expe­ri­men­tier­te er, ver­ließ dabei aber trotz aller Abs­trak­tio­nen nie ganz die Gegen­ständ­lich­keit. Zen­tra­les Motiv in sei­nen Wer­ken ist sicher­lich die Land­schaft, die erst noch rea­lis­tisch dar­ge­stellt, spä­ter in Struk­tu­ren und gewe­be­ar­ti­gen Mus­tern ver­lau­fen. Pate ste­hen dabei Picas­so, Matis­se und Beck­mann, Par­al­le­len sind deut­lich zu erken­nen. Bode nann­te sich sel­ber „visu­ell beses­sen“.
1956 und in den dar­auf­fol­gen­den drei Jah­ren ver­brach­te Fami­lie Bode ihren Som­mer­ur­laub auf Ein­la­dung des Ver­le­gers Gerd Hat­je in des­sen Vil­la im klei­nen süd­ita­lie­ni­schen Fischer­ort Accia­ro­li. Dort ent­stand eine Bil­der­se­rie, in der Bode ver­schie­de­ne Tages­zei­ten in Licht- und Farb­ein­drü­cken fest­hält. Auch hier ver­lässt er nie ganz das Gegen­ständ­li­che, ein­zel­ne Objek­te sind noch klar erkennbar.

Eini­ge Gemäl­de sind lei­der bei der Bom­bar­die­rung der Stadt Kas­sel im Zwei­ten Welt­krieg unwi­der­ruf­lich ver­lo­ren gegan­gen. Trotz­dem ist es den Aus­stel­lungs­ma­chern gelun­gen, eine Viel­zahl an Gemäl­den und Gra­phi­ken Bodes aus der Zeit vor 1933 zu finden.

Vie­le Men­schen scho­ben sich durch die Aus­stel­lung, die Tem­pe­ra­tur stieg ste­tig und der Sau­er­stoff­ge­halt fiel merk­lich. Des­halb war die Mög­lich­keit, bei elek­tro­ni­scher Musik und einem Kalt­ge­tränk vor der Neu­en Gale­rie noch­mal die Aus­stel­lung Revue pas­sie­ren zu las­sen, eine wun­der­ba­re Idee. Hier wur­de ein zen­tra­les Ele­ment von ruan­grupa, des indo­ne­si­schen Kura­to­ren­teams der dies­jäh­ri­gen docu­men­ta fif­teen, auf­ge­grif­fen: Par­ty, Kunst und Nongkrong.

[ Ger­rit Bräu­ti­gam | Redaktion ]