Als Beuys die
Zarenkrone einschmolz
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Von Johannes Stüttgen / Fotos: Dieter Schwerdtle
Am 30. Juni 1982 fand die von Joseph Beuys schon in der Pressekonferenz zur Eröffnung der documenta 7 angekündigte Schmelzung der Kopie der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen statt. Diese hatte der Künstler von dem Düsseldorfer Gastronomen Helmut Mattner erhalten, der sie Anfang der 1960er-Jahre von dem Juwelier René Kern nach dem Original hatte anfertigen lassen, um sie dann in der Düsseldorfer Altstadt-Nobelkneipe „Datscha“ in einer Glasvitrine auszustellen und sie zuweilen, mit Krimsekt gefüllt, an besonders zahlungswillige Gäste herumzureichen. Ein altes Symbol autokratischer Herrschaftsform, abgewirtschaftet im Kitsch der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft, hatte ausgedient — ein für Joseph Beuys wie geschaffenes Demonstrationsobjekt zur Vorführung seiner Idee PLASTIK, welche die Umschmelzung aller verbrauchten Begriffe und Formen, nicht zuletzt des herrschenden Gesellschaftssystems im Ganzen vorsah und mit der gerade begonnenen Skulptur „7000 Eichen“ real in die Welt überführen sollte.
… blitzende Zarenkrone aus einer Plastiktüte …
Beuys hatte vor dem Museum Fridericianum in Kassel über der Spitze des Basaltsäulenkeils, vor der die erste gepflanzte Eiche mit ihrer Basaltsäule schon stand, ein mit Zeltplanen überdachtes Holzpodest errichten lassen, auf dem er die Krone in ein neues Zeichen umschmelzen wollte. Diese Verwandlungsaktion, die gegen organisierte Proteste des Juweliergewerbes und aufgebrachter Bevölkerungskreise öffentlich, da auf dem Podium, aber verdeckt für die meisten, mitten im Gedränge der Journalisten vonstatten ging, hatte eine geheimnisvolle Dramatik, die an ein Ketzertribunal oder eine alchimistische Vorführung erinnerte. Sie begann damit, dass Joseph Beuys die blitzende Zarenkrone aus einer Plastiktüte zog, sie mit ausgestreckter Hand der unterhalb des Podiums versammelten Menschenmenge zeigte und ins Mikrofon sprach:
„Es geht jetzt los!
Es wird also jetzt die Krone Iwans des Schrecklichen eingeschmolzen. Ich zeige sie euch nochmal.“
Dann zog er sich lächelnd in den inneren Kreis zurück, wo schon das Feuer im provisorischen Ziegelsteinofen entfacht war, schraubte das Kreuz von der Kronenspitze ab und brach, nachdem er alle Edelsteine der Krone behutsam mit einer Nagelschere abmontiert und mit dem Kreuz in ein Einmachglas gelegt hatte, das Kronengestell auseinander und warf jedes einzelne Goldblechteil in ein in die Glut getauchtes Gefäß. Das Einmachglas, in welchem das kostbare Zubehör eingesammelt wurde, war mit der Aufschrift versehen:
„Jetzt ist das Gold
gesunken!
Das Gold — das Gold —
es blickt!
Das Gold — es blickt,
es blickt!“
Es dauerte eine gehörige Weile, bis die Glut auf 1.100 Grad erhitzt war, die das Gold zum Schmelzen brachten. Beuys griff zum Mikrofon und rief in rhythmischen Abständen die Namen großer Alchimisten hinein:
„Agrippa von Nettesheim!“ — „Athanasius Kircher!“ — „Theophrastus Bambastus Aureolus von Hohenheim, Paracelsus!“ -,
sprang in dem Moment, als das Gold flüssig geworden war und zu sieden begann, auf und schrie, er selber sei jetzt ein Magier im Zustand der Verzückung. Es erscholl über den ganzen Friedrichsplatz : „Jetzt ist das Gold gesunken! Das Gold — das Gold — es blickt! Das Gold — es blickt, es blickt!“ Die vor kurzer Zeit noch feste Form des Metalls war durch die Wärme in den Zustand chaotischer Energie verwandelt worden; jetzt konnte die heiße, brodelnde, pratzende Tinktur in eine neue Form gegossen werden, die der Künstler vorbereitet hatte und die bis dahin nur ihm bekannt war, nämlich in die Form eines Hasen — eines Osterhasen der Art, wie er in Schokoladenfabriken hergestellt wird, jetzt aber in purem Gold!
„Chaos — Bewegung — Form“
Beuys hatte die Grundprinzipien seiner „Theorie der PLASTIK“, bezogen auf die drei Aspekte „Chaos — Bewegung — Form“ (die schon bei Paracelsus als „sulphur — mercurius — sal“ auftreten), diesmal nicht am Fett, sondern am Gold vorgeführt; herausgekommen war der Hase, das Tier, das er Zeit seiner Aktionen immer wieder als Zeichen der Liebesverbindung von Himmel und Erde, der Beweglichkeit und des Friedens sowie des Zusammenhangs von Ost und West (EURASIA) eingesetzt hatte. Und aus dem noch restlichen Gold goss er eine kleine Sonnenkugel. Er griff den fertigen, aber noch heißen Hasen und anschließend die Sonne mit der Schmiedezange; hielt die beiden goldenen Zeichen hoch hinaus über die Köpfe der unten Versammelten und rief ins Mikrofon, dass die Aktion nun beendet sei. „Nun haben wir einen Hasen und die Sonne!“
Beuys nannte ihn den Friedenshasen und fügte in Anlehnung an den Ausspruch Admiral Nelsons nach der Schlacht von Trafalgar hinzu:
„Documenta 7 expects
every man to do his duty”.
Documenta 7 erwartet, dass jeder seine Pflicht tut!“ Nicht zuletzt das Spenden von Eichen hatte er damit im Sinn.
Der goldene Hase mit der Sonne und das Zubehör aus dem Einmachglas waren in einem Safe mit Panzerglas, der im Foyer des Fridericianums in einem Durchgangsbogen eingelassen war, während der gesamten Zeit der documenta 7 ausgestellt. Das Kunstwerk wurde nach der documenta an Josef W. Fröhlich verkauft und befindet sich heute in der Staatsgalerie in Stuttgart. Sein Erlös floss, wie von Anfang an vorgesehen, vollständig in das Pflanzunternehmen:
„7000 Eichen“.