Adolf Buchleiter – MAHLSTROM

Datum

18. Nov.. 2023 - 03. März. 2024
Abgelaufen!

Standort

Museum für Sepulkralkultur
Museum für Sepulkralkultur
Weinbergstraße 25–27, 34117 Kassel
Webseite
http://www.sepulkralmuseum.de

Öffnungszeiten
: Di. – So. 10 bis 17 Uhr | Mi. 10 – 20 Uhr


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Museum für Sepulkralkultur
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18. November 2023 – 03. März 2024 | Kabinettausstellung in der Rotunde

Am 29. Febru­ar 2000 wur­de der deut­sche Zeich­ner, Maler und Bild­hau­er Adolf Buch­lei­ter von sei­nen eige­nen Bil­dern erdrückt. Es waren die groß­for­ma­ti­gen und gerahm­ten Zeich­nun­gen aus sei­nem Zyklus zu Dan­tes Gött­li­cher Komö­die – Arbei­ten, die auch eine inhalt­li­che Schwe­re prägt. Zwölf die­ser Bil­der wur­den nach einer Aus­stel­lung in Kas­sel und vor einer wei­te­ren in Pforz­heim in sei­nem Haus in Kau­fun­gen zwi­schen­ge­la­gert. Rena­te Roth­ke­gel, Buch­lei­ters lang­jäh­ri­ge Lebens­ge­fähr­tin, fand ihn dort zwi­schen meh­re­ren Bil­dern und einer Mau­er ein­ge­quetscht. Am 3. März 2000 starb Adolf Buch­lei­ter an den Fol­gen sei­ner Ver­let­zun­gen. Post­hum fand Rena­te Roth­ke­gel einen klei­nen Zet­tel, auf dem Buch­lei­ter notiert hat­te: „Aus­stel­lun­gen sind doch Stör­fäl­le“. Ein Satz, der nachwirkt.

Die Aus­stel­lung MAHLSTROM prä­sen­tiert in einer Kabi­nett­aus­stel­lung in der Rotun­de drei sei­ner raum­grei­fen­den Zeich­nun­gen, in denen Adolf Buch­lei­ter sich dem Stru­del der Bil­der auch in for­ma­ler Wei­se hin­ge­ge­ben hat. Zudem wer­den künst­le­risch bear­bei­te­te Foto­gra­fien aus der Rei­he „Sol­da­ten­spie­le“ gezeigt, in denen die all­ge­gen­wär­ti­ge Trau­ma­ti­sie­rung von Soldat*innen im Krieg aufscheint.

Der Mahl­strom ist ein Gezei­ten­strom zwi­schen den Lofo­ten-Inseln Mos­ken­esøy und Værøy in Nor­we­gen, der sich auf­grund von star­ken Was­ser­wir­beln bil­det. Zahl­rei­che Lite­ra­ten, Maler und Fil­me­ma­cher lie­ßen sich von dem Natur­er­eig­nis inspi­rie­ren. Auch Adolf Buch­lei­ter hat sich von dem Natur­phä­no­men mit­rei­ßen lassen.

Buch­lei­ters Arbei­ten der Rei­he „Das Para­dies ist eine Polo­nai­se“ sind ein wah­res Werk sei­ner Hän­de. Wer genau hin­schaut, ent­deckt feins­te Stri­che, sche­ma­ti­sche Wie­der­ho­lun­gen und minu­tiö­se Schraf­fu­ren aus Blei­stift und Tusche, die sich in mona­te­lan­ger Arbeit zu Monu­men­tal­wer­ken zusam­men­setz­ten. Das spricht für sein enor­mes Vor­stel­lungs- und Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen. So ent­stand in akri­bi­scher Arbeits­wei­se das Tri­pty­chon „Das Para­dies ist eine Polo­nai­se“, das aus den drei Groß­zeich­nun­gen (je 244 x 172 cm) „Mahl­strom“ (1990/1991), „Rei­gen“ (1990/1991) und „Rhyth­mus“ (1991/1992) besteht. Sei­ner Arbeit am Bild gin­gen Skiz­zen vor­aus, soge­nann­te Schmud­del­blät­ter; Neben­pro­duk­te sei­ner künst­le­ri­schen Arbeit: Raum für Fin­ger­übun­gen zum Auf­wär­men und zum Able­gen der Hand beim Zeich­nen. Die Fin­ger, heißt es in einem Text der Kunst­his­to­ri­ke­rin Regi­na Fischer über sei­ne Zeich­nun­gen zu Dan­tes Gött­li­cher Komö­die, muss­ten zu Beginn geschmei­dig gemacht wer­den, die Hand in Schwung kom­men; erst dann habe die Arbeit am gro­ßen For­mat ein­set­zen kön­nen. Buch­lei­ters Arbeits­pro­zess glich einer Medi­ta­ti­on. Meist vom klas­si­schen Musik­pro­gramm des Hes­si­schen Rund­funks beglei­tet, setz­te die fein­tei­li­ge Wie­der­ho­lung der Stri­che einen Rhyth­mus vor­aus. „Es müss­te eine Kunst kom­men, die mehr Zeit braucht“, sag­te Buch­lei­ter ein­mal – ein Zei­chen sei­ner Hin­ga­be für das Bild, doch zugleich ein Plä­doy­er für die Lang­sam­keit und eine phi­lo­so­phisch gepräg­te Her­an­ge­hens­wei­se an die Kunst. Er ließ sei­ne Arbei­ten wer­den – sei­ne Mög­lich­keit, sich inten­siv zu wid­men, die Bil­der aus sich selbst her­aus ent­ste­hen zu las­sen. Hier ist eine Ana­lo­gie zur Natur zu erken­nen, von der er auch selbst sprach. Zel­le für Zel­le füg­te sich ein Gan­zes zusammen.

Wer vor Buch­lei­ters Tri­pty­chon steht, wird her­aus­ge­for­dert: Man kann gar nicht anders, man möch­te ganz genau hin­se­hen. Buch­lei­ter war es stets wich­tig, dass sich die Betrach­ter sei­ner Arbei­ten eige­ne Gedan­ken machen. „Er woll­te dem Betrach­ter das Den­ken über­las­sen“, sagt Rena­te Roth­ke­gel, die vie­le Jah­re mit ihm zusam­men­leb­te und heu­te sei­nen Nach­lass ver­wal­tet. So bleibt es auch den Betrach­tern über­las­sen, ob sie sich in den Stru­del hin­ein­zie­hen las­sen und, so wie die etli­chen geo­me­tri­schen Figu­ren, vom Sog ange­zo­gen wer­den. Und auch ihn selbst haben sei­ne Arbei­ten in einen Sog gebracht: „Er fing nie vor zehn Uhr an, arbei­te­te dann aber auch bis nachts um 3 Uhr“, erin­nert sich Rena­te Roth­ke­gel. Die Bil­der woll­ten oder muss­ten sogar aus ihm her­aus­flie­ßen. Sie dräng­ten gera­de­zu aus sei­ner Innen­welt in die Rea­li­tät. Sie schei­nen ihn bedrängt zu haben, bedenkt man den per­ma­nen­ten Schaf­fens­drang. Bis ihn schließ­lich sei­ne mate­ria­li­sier­ten inne­ren Bil­der, sei­ne selbst geschaf­fe­nen Bild­wel­ten, über­wäl­tig­ten – ohne Fra­ge ein tra­gi­scher Tod, aber im Kon­text sei­nes Schaf­fens auf selt­sa­me Wei­se konsequent.

Buch­lei­ter ist 1929 in Hei­del­berg gebo­ren, muss­te noch als Jugend­li­cher mit dem soge­nann­ten Volks­sturm in den Krieg zie­hen. Er sah Kol­la­bo­ra­teu­re an den Bäu­men hän­gen – Bil­der wie die­se beglei­te­ten ihn sein Leben lang. Selbst floh er damals mit einem Freund aus dem Krieg. Als er zurück in Hei­del­berg war, litt er unter der Falsch­heit der Nazis, die, um sich selbst zu ret­ten, wei­ße und ame­ri­ka­ni­sche Flag­gen gehisst hatten.
Rena­te Roth­ke­gel, die die letz­ten 18 Jah­re sei­nes Lebens mit ihm zusam­men­leb­te, erin­nert sich an ein von ihm geschaf­fe­nes Gemäl­de eines Son­nen­auf­gangs. Eines nachts um zwei Uhr habe er gesagt „es ist so weit“ und gestal­te­te den Son­nen­un­ter­gang um zu einem Pan­zer. Er hat­te vom Aus­bruch des Kuweit-Kriegs erfah­ren. Eine Ver­zweif­lung über die Welt trug er bis zu sei­nem Tod im Jahr 2000 in sich. So waren es wohl sei­ne eige­nen Kriegs­er­fah­run­gen, die ihn zur Rei­he „Sol­da­ten­spie­le“ führ­ten: etwa 20 Foto­gra­fien, die er selbst ent­wi­ckelt hat­te und mit Gra­phit, Farb­stift und Kugel­schrei­ber über­zeich­ne­te. „Buch­lei­ter war ein Unzeit­ge­mä­ßer, von einer gewis­sen Auf­leh­nung gegen die Welt, wie sie sich dar­bot“, sag­te Roth­ke­gel ein­mal anläss­lich einer Ausstellungseröffnung.

Wie das Zeich­nen gehör­te auch die Musik zu sei­nem Leben. Zwei Stun­den am Tag musi­zier­te er: auf dem Flü­gel, auf dem Ban­do­ne­on, mit dem Cel­lo. Das Kon­ser­va­to­ri­um der Musik in Hei­del­berg besucht, war er 1947–1951 Mit­glied ver­schie­de­ner Jazz-For­ma­tio­nen. Anders als sein Zwil­lings­bru­der, der als Berufs­mu­si­ker arbei­te­te, blieb es für Buch­lei­ter ein Hob­by. So spiel­te er bis zu sei­nem Lebens­en­de Ban­do­ne­on. Gesell­schaft hin­ge­gen such­te er sel­ten, leb­te statt­des­sen radi­kal zurückgezogen.

Adolf Buch­lei­ter wur­de im Dezem­ber 1929 in Hei­del­berg gebo­ren. Nach dem Schul­be­such mach­te er eine Leh­re zum Gold- und Sil­ber­schmied und schloss ein Stu­di­um an der Kunst- und Werk­schu­le Pforz­heim an. Aus der Assis­tenz 1955 bis 1958 bei Prof. K.H. Wie­nert resul­tier­te ein Lehr­auf­trag in Pforz­heim. Par­al­lel arbei­te­te er bei Archi­tek­ten und in der Schmuck­in­dus­trie und hat­te Erfol­ge bei Wett­be­wer­ben. 1961 wur­de Buch­lei­ter als Dozent für Gestalt­leh­re an die Werk­kunst­schu­le Kas­sel beru­fen, 1971 zum ordent­li­chen Pro­fes­sor im Fach­be­reich Kunst an der Uni­ver­si­tät Kassel.

 

Öff­nungs­zei­ten

Di – So 10 – 17 Uhr | Mi 10 – 20 Uhr

Jeden Mitt­woch um 17 Uhr fin­det eine öffent­li­che Füh­rung statt.