Sigurd Beyer
Interview
W.K.K.: Herr Beyer, Sie sind 1953 in Einbeck geboren. Ihre Kindheit und vor allem die Schulzeit haben Ihr Leben sehr geprägt. Wie war es damals?
S.B.: Damals war die Schulzeit nicht so schön. Als Schüler war ich schüchtern, zurückhaltend, unauffällig. Es gab vor allem Lehrer, die von Bombeneinschlägen erzählten, vom Krieg und davon wie viele Leute sie umgebracht hatten. Das war nicht so erfreulich. Aber ich konnte diese Zeit schnell verarbeiten. Ich glaube, dass in meiner Kunst davon, nichts mehr zu finden ist. Mein Vater war Fabrikant. Zu meiner Mutter hatte ich kein gutes Verhältnis und kam als Jugendlicher mit ihr nicht gut zu Recht. Es waren die 68er Jahre und bei vielen herrschten diese Generationenkonflikte.
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W.K.K.: Sie haben dann Freie Malerei an der Kunsthochschule Kassel und später Philosophie, Ethnologie und Kunstgeschichte in Göttingen studiert. Wie war Ihre Studienzeit in der 70er Jahren?
S.B.: Ich habe ja zu der Zeit in Göttingen studiert, aber an der 68er Bewegung nicht aktiv teilgenommen. Ich war nie einer von denen, die radikal demonstriert haben oder mit Spraydosen unterwegs waren.
Kunst in Kassel zu studieren war damals ziemlich unerfreulich, weil viele Kunst auf Lehramt studierten und an der damaligen HBK meistens Lehramtsstudenten unterwegs waren, die Malerei quasi „als Alibi“ studiert haben.
Deswegen habe ich dann in Göttingen Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Bei der Ethnologie habe ich mich insbesondere mit Mikronesien beschäftigt und habe dann auch Jahrzehnte später eine Reise nach Mikronesien unternommen.
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W.K.K.: Nach dem Studium reisten Sie in ganz Europa, Asien, Karibik und Afrika. Welche Eindrücke für Ihre Kunst konnten Sie damals gewinnen?
S.B.: Ja, ich bin fast durch die ganze Welt gereist. Ich war in Asien (Thailand. Kambodscha…) fast überall, außer in Japan und Korea.
Ich war in Venezuela, Brasilien, in der Karibik… Und in Los Angeles. Einer meiner besten Freunde hat eine Perlenfarm auf Französisch-Polynesien, so dass ich ihn oft besucht habe.
Die Reiseleidenschaft kam durch meinen Vater: er war auch so ein Verrückter, er ist mit mir und meiner Mutter mit dem Auto nach Marokko gefahren!
Am meistens hat mich aber Norwegen beeindruckt und ich habe dann auch ein Jahr dort gelebt. Ein schönes Land aber es war mir zu kalt und in Winter auch zu dunkel, ab Mittag gab es kein Licht mehr. Aber es war eine schöne Erfahrung. Ich habe zum Beispiel mit dem Künstler und Schriftsteller Odd Nerdrum in Oslo zusammengearbeitet. Seine realistische Malerei im Stil der Alten Meister orientierte sich an Tizian, Caravaggio und Rembrandt.
Ich verpasse auch kein Film über Norwegen.
Obwohl ich auch Italien und die italienische Malerei wunderbar finde: Gaudenzio Ferrari, Schüler von Leonardo da Vinci, oder Mantegna. Leider sind die italienischen Meister in unserer Alte Meister Sammlung im Schloss Wilhelmshöhe nicht vertreten, weil sie schon damals für den Landgrafen viel zu teuer waren.
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W.K.K.: Sie erzählten einmal, dass Sie mit der Malerei begannen als Sie ein Buch von Giorgio de Chirico entdeckten, der Sie beeindruckte. Ihre früheren Bilder orientieren sich an abstrakten und surrealistischen Tendenzen und sind teilweise genauso metaphysisch.
S.B.: Eins meiner ersten Bilder war eine Kopie von De Chirico, obwohl ich dann eine Statue oder Figur hinzugefügt habe und es damit „personalisiert“ hatte. Und „Hectore und Andromache“ habe ich auch kopiert. De Chirico war für mich wirklich die Initialzündung, für das erste Bild, das ich überhaupt gemalt habe. Ich war so vielleicht 17 Jahre alt und habe bei meiner Mutter Porzellanfarben geklaut und damit auf einem Bettlacken De Chirico kopiert. Aber die Farbe sank auf dem Betttuch ein, weil ich damals noch nicht wusste, dass man vorher grundieren musste.
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W.K.K.: Kraftvolle Farbkontraste und erste figürliche Bezüge entwickelten sich später in Ihrer Malerei, meistens mit symbolischen Deutungen. Man könnte Ihre Malerei fast „klassisch“ oder „realistisch“ definieren. Sie pflegen fast zwei unterschiedliche Haltungen und Stile: Die meisten dieser Gemälde sind fast altmeisterlich gemalt. Man kennt Sie als den realistischen Künstler, der durch die Schule des Surrealisten Rudolf Haussner in Hamburg gegangen ist und gleichzeitig prägen realistisch-magische Landschaften und Stillleben Ihren Stil. Zahlreiche andere Werkpräsentationen liegen dazwischen, in denen Sie sich als ein Maler profilierten, der sich dem radikalen Realismus (mit Abschweifungen ins Surreale) verpflichtet fühlt. Passen solche „Definitionen“ zu Ihrer Kunst oder eher nicht? Haben Sie Vorbilder? Wie kamen Sie zu Ihrem eigenen Stil?
Stillleben aus der Perspektive, 2021, 100 x 75 cm | Foto: Kai-Frommann
S.B.: Doch diese Definitionen passen schon. Der magische Realismus ist nach wie vor in meinen Bildern zu finden. Haussner oder Franz Radziwill haben mein Stil beeinflusst aber meine wirklichen Vorbilder sind eher Alexander Kanoldt, Andreas Schimpf oder die neue Sachlichkeit. Ich habe auch eine gute Freundschaft mit Radziwill gepflegt und habe ihm ein Paar Mal besucht aber der größte Einfluss auf mich hatte dann der niederländischer Kunstmaler Albert Carel Willink, mit wem ich auch befreundet war. Wir haben oft geschrieben, ich habe ihn in Holland besucht und auch nach seinem Tod wurde ich von seiner Ehefrau zu einem Rotwein eingeladen.
Willink hat auch zur Wiederentdeckung eines der geheimnisvollsten Schätze Europas beigetragen, der „Park der Ungeheuer“ in Bomarzo, nördlich von Rom, auch als „Heiliger Wald“ bekannt, voller riesiger und sehr seltsamer, surrealer Statuen, die über einen Hügel verstreut sind, eine bizarre Inszenierung grotesker Gestalten und phantastischer Bauwerke.
“Park der Ungeheuer” in Bomarzo
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W.K.K.: Sie beherrschen eine Fülle an Maltechniken: Neben den in klassischer Manier gemalten Gemälden sieht man auch locker skizzierte Aquarelle und Gouachen. Sie sind aber auch Grafiker und haben wunderbare zarte Farbradierungen geschaffen. Sie beherrschen also auch mehrere Techniken…Welche Materialen und Techniken benutzen Sie vorwiegend? Und wie hat sich Ihre Technik in Laufe der Jahre verändert?
S.B.: Ich arbeite am meisten mit Eiweißtempera, die ganz alte meisterliche, mittelalterliche Malweise. Durch meine Kinder habe ich dann aber auch angefangen, anders mit Farben umzugehen und daraus ist letztendlich meine abstrakte Malerei parallel dazu entstanden. Nils ist mittlerweile schon 35 geworden und Thore ist 39. Beide tragen übrigens norwegische Namen.
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W.K.K.: Sie haben auch Artikel zur Kunst und Musik veröffentlicht…
S.B.: Auch wenn es nicht in meiner Biografie steht, habe ich mich in Göttingen während meinem Studium, auch mit Musikwissenschaft beschäftigt, habe mich mit klassischer Musik auseinandergesetzt, Klavier gespielt und Kontrapunkt gelernt, eine schwierigere Musiklehre, um mehrstimmige Musik zu organisieren, die ab dem 14. Jahrhundert von Frankreich und Italien überliefert und weiterentwickelt worden ist. Früher konnte ich sehr gut spielen, heute leider nicht mehr. Auch in der Musik habe ich mich immer an den Klassikern orientiert.
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W.K.K.: Ihre Bilder zeigen oft Landschaften und Stillleben. Die Spannung zwischen dem Menschen und der Landschaft war schon immer Thema in Ihrer Kunst. Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Beziehung zwischen Menschen und Natur in der Kunst verändert?
Landschaft mit toten Hasen, 1974–76, 60 x 30 cm | Foto: Kai Frommann
S.B.: Meine Einstellung hierzu sieht man am besten in dem Bild mit dem toten Hasen, von 1974–75. Im Hintergrund sieht man ein Atomkraftwerk als eines der neuen Errungenschaften des Kaputtmachens und gleichzeitig sieht man auch Vulkane. Das hat dazu geführt, dass Hasen und Natur untergegangen sind. Die Zerstörung der Natur war mir immer ein kritisches Anliegen.
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W.K.K.: Sie haben damals sozusagen „gegen das System gekämpft“, gegen den Kapitalismus und Ausbeutung der Natur. Wieviel Politik steckt in Ihren Werken? Was kann Kunst, aus Ihrer Sicht, in der Gesellschaft bewirken?
S.B.: Ich glaube, dass man als Künstler kritisch sein und Stellung beziehen muss. Ich bin zwar kein Grünwähler aber habe bereits in den 70er Jahren auf die Gefahren für die gesamte Ökologie aufmerksam gemacht. Das Thema war mir schon immer wichtig.
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Landschaft | Foto: Kai Frommann
W.K.K.: In einigen Stillleben herrscht auch der Gedanke des „Memento Mori“, der Vergänglichkeit des Lebens…
S.B.: Das Memento Mori ist ein Thema des Mittelalters. Ich habe auch einen echten Totenkopf, der mir ein Totengräber besorgt hatte. Früher war der Totenkopf ein Element meiner Malerei, jetzt werde ich selber älter…
Landschaft | Foto: Kai Frommann
Ohne Titel | Foto: Kai Frommann
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W.K.K.: Ihre neuesten Werke werden immer abstrakter. Sie lieben nach wie vor das Experiment. Bleiben Sie weiterhin ein Suchender?
Ohne Titel, 80 x 100cm | Foto: Kai Frommann
S.B.: Ich male zurzeit mehr und mehr abstrakter, einfach weil es schneller geht. Es ist beruhigend und macht glücklich, man kann einfach los malen, während man bei realistischen Bildern sehr viel Geduld aufwenden muss.
Das abstrakte Malen gibt mir ein befreiendes Gefühl, hilft loszulassen und gibt mir den Raum, mich völlig frei auszuprobieren. Malen ist einfach befreiend.
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Ohne Titel, 2021 | Foto: Kai Frommann
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Herr Beyer, vielen Dank für Ihre Zeit und alles was wir von Ihnen heute Neu lernen konnten.
[ Das Interview führten: Sonja Rosettini + Helmut Plate ]