Die Kunst der Wiederaufbereitung

Aus­stel­lungs­er­öff­nung im Kunst­tem­pel am 23. Juni 2022
Alle Augen sind die­ses Jahr auf die docu­men­ta fif­teen gerich­tet. Dabei gibt es auch abseits der offi­zi­el­len Aus­stel­lungs­or­te der Welt­kunst­schau vie­le Din­ge in den zahl­rei­chen enga­gier­ten Kunst­ga­le­rien Kas­sels zu ent­de­cken.
Eine davon ist der Kunst­tem­pel gegen­über der Stadt­hal­le in der Fried­rich-Ebert-Stra­ße. Deren Ansatz ist die künst­le­ri­sche Erkun­dung von Spra­che und ihren viel­fäl­ti­gen Erschei­nungs­wei­sen sowie den damit ver­bun­den Medi­en und Zeichensystemen.

Lisi Reh­born

Den Anstoß für die­se Aus­stel­lung gab die Idee von Lisi Reh­born: Sie fer­tig­te aus alten Ban­nern und Pla­ka­ten des Kunst­tem­pels Taschen in ver­schie­de­nen Grö­ßen an. Dar­aus ent­wi­ckel­te sich eine Dis­kus­si­on über Nach­hal­tig­keit im Kon­text künst­le­ri­scher Arbeit. Wor­an wird das „Up“ des Cycling-Pro­zes­ses sicht­bar? Ein Wei­ter­ver­wen­den von Mate­ria­li­en und Metho­den fin­det sich schon lan­ge in der Kunst, zum Bei­spiel in Col­la­gen und Assem­bla­gen. Das Neue an die­ser Aus­stel­lung ist sicher­lich, woher das viel­fäl­ti­ge Mate­ri­al gewon­nen wird. In der heu­ti­gen Zeit spielt der öko­lo­gi­sche Aspekt von Wie­der­ver­wer­tung eine ent­schei­den­de Rolle.

Anne-Kath­rin Auel, Kunstwissenschaftlerin

An die­sem son­ni­gen Abend ver­sam­melt sich das Publi­kum auf der Trep­pe neben dem Kunst­tem­pel. Die Kunst­wis­sen­schaft­le­rin Anne-Kath­rin Auel gibt eine Ein­füh­rung in die Welt des Upcy­clings und stellt in ver­schie­dens­ten Ana­lo­gien die Künst­le­rin­nen und Künst­ler vor, wie zum Bei­spiel den in Kas­sel leben­den Ricky Weber und sei­ne „Plas­ti­ker“:

Für Ricky sind Tetra­paks (…) und lee­re Plas­tik­scha­len, in denen im Super­markt Nek­ta­ri­nen oder Toma­ten ange­bo­ten wer­den, und die er gegen sei­ne eigent­li­che
Hal­tung dann doch wohl manch­mal kau­fen muss, wenn der Nach­schub von Freun­den und Plas­ti­ker-Fans nicht schnell genug nach­kommt, so etwas wie der Mar­mor­block für Michel­an­ge­lo“.
Ricky Weber ver­wan­delt Ver­pa­ckungs­ma­te­ria­li­en aller Art in „Lebe­we­sen“ aus einer frem­den Welt. Die­se fan­tas­ti­schen Objek­te fin­den sich in fast allen Räu­men der Aus­stel­lung und schau­en einen manch­mal ver­träumt, oft ver­schmitzt an. Auf klei­nen Bild­schir­men wird gezeigt, wie sie an ver­schie­dens­ten Orten Kas­sels zum Leben erweckt werden.

Ricky Weber

Ange­reist aus Wien ist der öster­rei­chi­sche Schrift­stel­ler und Akti­ons­künst­ler Jörg Pirin­ger. In sei­nem Aus­stel­lungs­bei­trag ver­schmilzt die ana­lo­ge und digi­ta­le Welt: Ein kon­kre­ter Text von Rein­hard Döhl,1965 für die Bild­sei­te einer Post­kar­te ent­wor­fen, bringt Form und Bezeich­nung zusam­men. Das Wort „Apfel“ wird so lan­ge wie­der­holt, bis es auch optisch die Form eines Apfels erreicht; mit­tig fin­det sich ein „Wurm“. Pirin­ger benutzt für sei­ne Arbeit ein altes Nokia-Dis­play und ver­wan­delt das bekann­te Spiel „Sna­ke in kon­kre­te Poe­sie. Das Wort „Wurm“ läuft wie­der­keh­rend über das Dis­play und kol­li­diert immer wie­der mit einer Birne.

Jörg Pirin­ger

Beein­dru­ckend sind die Instal­la­tio­nen im Unter­ge­schoss des Kunst­tem­pels. Auf der einen Sei­te zeigt Joey Arand einen Film im Split­screen: An unter­schied­li­chen Orten in und um Kas­sel hat sie 24 Stun­den lang Tesa­strei­fen hän­gen las­sen und sie spä­ter auf unbe­schich­te­te 16mm-Film­strei­fen geklebt. So wird Luft sicht­bar gemacht. Dane­ben wird ein Real­film über eben die­se Orte gezeigt.

Joey Arand links mit Begleitung

Auf der ande­ren Sei­te fin­det sich die Instal­la­ti­on von Sophia Sola­ris. Aus rie­si­gen Indus­trie­tü­ten, die sie zu schma­len Rol­len auf­wi­ckelt, hat sie gro­ße Krei­se zusam­men geklebt. Auf dem schwar­zen Podest wir­ken sie wie Son­nen oder leuch­ten­de Halbmonde.

Son­ja Solaris

Jür­gen O. Olbrich und Han­na Bay­ers fer­ti­gen aus alten Zei­tun­gen Bade­schlap­pen, „News Shoez“. Dabei wer­den für jedes Paar 30 Lagen Zei­tungs­pa­pier zusam­men­ge­näht. Olbrich hat­te übri­gens auf der docu­men­ta 8 einen Bei­trag und wur­de damals inter­na­tio­nal bekannt.

Han­na Bay­ers, Jür­gen O. Olbrich

Caro­la Ruf beweist mit die­ser Aus­stel­lung ihr Gespür, The­men nuan­ciert auf­zu­be­rei­ten. Eine ech­te Berei­che­rung in die­sem opu­len­ten Kas­se­ler Kunstsommer.

Caro­la Ruf

[ Ger­rit Bräu­ti­gam | Redaktion ]

Bruhin Kunsttempel Hiceforweiss

Kunst­tem­pel
Fried­rich-Ebert-Stra­ße 177 | 34119 Kas­sel
Fon: 0561–24304 | E‑Mail: info@kunsttempel.net
www.kunsttempel.net

Fr – So 15 – 18 Uhr
(wäh­rend der Ausstellungszeiten)

Teil­wei­se nur nach Anmel­dung