Aliaa Aboukhaddour
Geschichten ohne Worte
Zur Person: Aliaa Aboukhaddour ist eine syrisch-deutsche Künstlerin und Kunsthistorikerin, die 1978 in Damaskus geboren wurde. Sie studierte an der Fakultät für Bildende Künste in Damaskus und war Doktorandin der Kunstgeschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland. Sie illustriert Artikel in verschiedenen Zeitschriften, zum Beispiel der Süddeutschen, arbeitet eng mit der Grimmwelt zusammen und ist auch als Kunstwissenschaftlerin im Sobat-Sobat-Team der documenta fifteen unterwegs.
Ich treffe Aliaa Aboukhaddour in der Grimmwelt am Weinberg. Die Aussicht über die Südstadt genießend reden wir über ein verlorenes Land, Geschichten ohne Worte und warum Kunst die Welt ein Stück weit besser macht:
Hallo Aliaa,
Du kommst aus einem intellektuellen Haushalt. In einem Interview mit KUNST und kaviar erwähntest du, dass man bei euch zu Hause das Gefühl hatte, in einer Bibliothek zu leben. Du selber hast Kunst mit dem Schwerpunkt Innenarchitektur studiert und hast dann an der Universität unterrichtet. Wie schwer war es, als Frau in Syrien diesen Weg zu gehen?
Aliaa: In der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, war es überhaupt nicht schwer, im Gegenteil: Es war gewünscht, dass Frauen eine gute Ausbildung bekommen. Das Land hat sich geändert nach der Machtübernahme durch Assad. Spätestens mit dem Beginn des Bürgerkriegs ist das Syrien, wie ich es kannte, erloschen.
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Du bist 2005 nach Deutschland gekommen. Damals warst du 26 Jahre alt. Wie schwer war der Anfang für dich?
Aliaa: Ich habe durch sehr gute Noten, nachdem ich 2001 mein Studium abgeschlossen habe, ein Stipendium bekommen, um im Ausland zu studieren. Nach vielen Emails mit meinem späteren Doktorvater bin ich dann in Oldenburg gelandet. Da ich im Rahmen des Stipendiums bereits einen intensiven deutschen Sprachkurs in Syrien gemacht habe und ich auch finanziert war, hatte ich einen guten Start. Ich wollte den akademischer Weg gehen und mich mit Theorie und Geschichte beschäftigen. Dann starb mein Doktorvater, ich hatte mittlerweile eine eigene Familie. Mit der bin ich dann gemeinsam nach Kassel gegangen.
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Hältst du es für möglich, irgendwann wieder nach Syrien zurück zu kehren und dort ein Leben als Künstlerin zu leben.
Aliaa: In dieses Syrien? Syrien, wie ich es im Kopf habe, existiert nicht mehr. Es ist geographisch natürlich an dem selben Punkt, aber alles andere hat nichts mehr mit meinem Heimatland zu tun. Alle Freunde sind in der ganzen Welt verstreut.
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Kommen wir mal zu deiner Intention, Kunst zu machen. Einfacher gesagt, kannst du den roten Faden beschreiben, der dich und dein Schaffen antreibt? Warum ist der Schwerpunkt bei der Illustration?
Aliaa: Es war keine bewusste Entscheidung. Nach dem Aufgeben des akademischen Plans habe ich angefangen zu zeichnen. Das war ein Weg für mich, dieses Scheitern zu verarbeiten und zu therapieren. Es war wie eine Heilmethode, denn ich hatte den Plan, eine erfolgreiche Karriere zu haben und nun ein Gefühl des Scheiterns.
Meine Lieblingstechnik ist das Zeichnen mit dem Bleistift. Diese Herangehensweise ist mir seit der Kindheit vertraut. Mein Vater, der Schriftsteller, besaß viele Bücher. Bilder zusammen mit Texten haben mich von klein auf fasziniert. Es gab Kunstausstellungen und Museen in Syrien, die ich als Kind kannte und seit meinem Studium intensiv besuchte. Es gab aber keinen Raum für Kritik am syrischen System. Das kannte ich eher aus den Büchern: Ein Bild oder eine Illustration, die provokanter waren, stand für mich mehr im Zusammenhang mit einem Text. Kunst hatte immer auch was mit einer Geschichte zu tun, das Narrative hat in Syrien einen hohen Stellenwert. In vielen gesellschaftlichen Situationen in Syrien werden mit einer sehr bildhaften Sprache die Dinge beschrieben. Viele dort können einfach wunderbar erzählen.
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Bei dir gibt es aber viele Bilder, die nur für sich stehen.
Aliaa: In meinen Bildern und Illustrationen gibt es oft ungeschriebenen Text. Fast immer erzähle ich Geschichten ohne Worte.
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Viele Motive in deinen Bildern und Illustrationen beschäftigen sich mit Märchen und ihren Motiven. Die Kooperation mit der Grimmwelt erscheint da logisch. Hast du die Geschichten bereits in Syrien kennengelernt? Kam die Affinität zu Märchen durch Kassel und deinem Engagement in der Grimmwelt?
Aliaa: Die Märchen habe ich bereits als Kind, auch über die Disney-Verfilmungen, kennengelernt. Außerdem gibt es eine im Arabischen sehr bekannte Buchreihe, die „Grüne Bibliothek“ aus dem Libanon; dort wurden bereits in den 50er Jahren die Märchen originalgetreu übersetzt.
Als ich anfing zu zeichnen, zeichnete ich eher nachdenkliche, teils sogar düstere Bilder. Der leider bereits verstorbene Fotograf Gerd Hausmann hatte mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, auch mit mir, Interviews gemacht und das Ganze mit Bildern auf Facebook gepostet. Dort wurde Julia Ronge von der Grimmwelt auf mich aufmerksam und nahm mit mir Kontakt auf. Unser erstes Projekt startete dann 2017. Seitdem habe ich das Thema Märchen intensiviert. Dazu kam, dass ich eine große Freiheit hatte und mir niemand auf die Finger schaute. Ein paar Anmerkungen hier und da, ansonsten konnte ich mich ausleben. Kein Micromanagement in so einer Institution war für mich eine große Überraschung. 20 Bilder von mir hat das Museum bereits für ihre Sammlung gekauft; das macht mich sehr stolz.
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In Deutschland wird ja gerade im kreativen Bereich gerne in Schubladen gedacht, es gibt etwa ernst oder unterhaltend. Kannst du mit diesen Kategorien etwas anfangen und wo siehst du deine Arbeiten, die auf den ersten Blick verspielt sind und schön daher kommen?
Aliaa: Für mich ist das ästhetisch Schöne schon sehr wichtig. In Syrien habe ich das klassische Malen mit vielen Details gelernt und ich möchte auch Handwerk zeigen!
Trotzdem gibt es auch tiefere Schichten in vielen Bildern zu entdecken: Träumerische und bisweilen auch surrealistische Welten öffnen sich dem Betrachter. Man muss auch unterscheiden zwischen persönlichen Projekten oder Auftragsarbeiten. Natürlich steckt mehr Tiefe und auch mehr von mir in den Bildern, die ich zum Beispiel im Kunstbalkon zeige.
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„Personal Project Beuys“, digitale Zeichnung, 2020
Schön, dass du es bereits ansprichst: Du bist in der Produzentengalerie „Kunstbalkon“ untergekommen. Im Moment arbeiten elf Künstlerinnen und Künstler aktiv mit. Wie bist du an den Kunstbalkon geraten und wie sieht konkret die Kooperation untereinander oder auch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern aus?
Aliaa: Ich kannte schon einige der Menschen dort privat, unsere Kinder spielen zusammen. Irgendwann wurde ich einfach eingeladen. Außerdem ist Christiane Hamacher schon länger meine Kunstpartnerin, wir stellen oft zusammen aus, unter anderem auf der letzten Kunstmesse in der documenta-Halle. Allerdings konnte ich wegen meiner anderen Projekte bislang noch nicht viel Aktives beitragen, weshalb ich auch ein sehr schlechtes Gewissen habe. Alle Beteiligten akzeptieren das aber und sind sehr großzügig zu mir!
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Wir sind im documenta-Jahr und man erwartet eine diverse und partizipative Weltausstellung mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Miteinander. Was erwartest du für dich persönlich als Künstlerin von der documenta und wird es besondere Aktionen von dir geben?
Aliaa: Ich bin ja auch im Sobat Sobat eine der Kunstvermittlerinnen der documenta. Ich erwarte immer von der Weltausstellung, dass sie Internationalität und Diversität nach Kassel bringt. Als Künstlerin lasse ich mich überraschen, sehe viele Dinge aber gerade auch in meinen Führungen aus der Sicht der Kunsthistorikerin oder ‑pädagogin. Ich mache vorher richtig, richtig Recherche, um mich mit der Theorie intensiv auseinander zu setzen, als Kunstwissenschaftlerin und weniger als Künstlerin. Ich habe keine Erwartung, irgendwann documenta-Künstlerin zu sein. Wenn es passiert, passiert es, wer weiß?
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„Es war einmal“, GRIMMWELT, Buntstift und Marker auf Papier, 2019
Bitte vervollständige noch folgenden Satz: „Ich lebe für die Kunst, weil…
Aliaa: …sie die Welt besser macht.
Ich bin der Überzeugung, Künstler:innen können die Welt ändern, auch wenn das etwas romantisch klingt.
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[ Das Interview führte Gerrit Bräutigamm | Redaktion ]