Schloss Wilhelmshöhe
und seine Sammlungen
Die Gemäldegalerie
Alte Meister
Herausragende Meisterwerke von der Spätgotik bis zum beginnenden Klassizismus, die vor allem unter Landgraf Wilhelm VIII. (reg. 1751–1760) für Kassel erworben wurden, werden in den Schlossräumen präsentiert. Einen Schwerpunkt der Sammlung bildet die niederländische Malerei mit bedeutenden Werken von Rubens, Van Dyck, Jordaens, Frans Hals sowie Rembrandt, darunter dessen berühmtes Gemälde „Der Segen Jakobs“. Die Bereiche der altdeutschen, italienischen, französischen und spanischen Malerei werden unter anderem durch Werke von Dürer, Tizian, Poussin und Murillo angeführt.
Über Monarchien kann man denken, was man will. Sicher hat sich diese Regierungsform nicht nur aufgrund der Machtkonzentration in den blaublütigen Händen des Staatsoberhauptes überlebt. Ein Blick ins Geschichtsbuch verrät, dass es den Alleinherrschern meist recht gut, ihren Untergebenen oft weniger gut ging. Was das Volk begehrte, hatten die Herrschenden im Überfluss. Und diesen Überfluss stellten sie gerne zur Schau. Er zeigt sich in prachtvollen Bauten und in Kunstsammlungen, die heutzutage ihresgleichen suchen. Löst man den Blick von der Vergangenheit und richtet ihn in die Gegenwart, kann man den einstigen Herrschern eigentlich dankbar sein. Nicht unbedingt für ihre Staatskunst, vielmehr für ihren Nachlass, von dem wir heute profitieren. Vom landgräflichen Erbe profitiert auch die Stadt Kassel. Die einstigen Landesfürsten hinterließen imposante architektonische Spuren, die das Stadtbild bis heute prägen, ihre Kunstsammlungen gelten als Schätze von internationalem Rang.
Mal ehrlich, wer würde sich nicht, hielte er die Macht und die Schlüssel zur Staatskasse in Händen, ein nettes Schloss bauen? Das dachte sich auch Landgraf Wilhelm IX., der sich auf der Wilhelmshöhe über der Stadt einen Logenplatz errichten ließ. Im Schatten des Kasseler Wahrzeichens thront Schloss Wilhelmshöhe über Kassel und zieht – damals wie heute – die Blicke des Volkes auf sich. Mit dem klassizistischen Bau aus dem späten 18. Jahrhundert und dem umliegenden Bergpark hat sich nicht nur der Landgraf ein Denkmal gesetzt, sondern auch die Architekten Simon Louis du Ry (Weißensteinflügel und Kirchflügel) und Heinrich Christoph Jussow (Mittelbau und Parkanlage) verewigt. Und da sage noch einer, der landgräfliche Glanz strahle nicht auch auf andere Menschen.
Und dieser Glanz strahlt bis heute. Er manifestiert sich nicht nur in den steinernen Risaliten und Säulen oder den vasengekrönten Attiken des Schlosses, sondern auch in seinem Inneren. Seit 1974 ist hier auf drei Etagen die Kasseler Gemäldegalerie Alte Meister beheimatet. Die Sammlung, die auf landgräflichen Besitz zurückgeht, führt durch die europäische Kunstgeschichte von der Spätgotik bis zum beginnenden Klassizismus.
Die Ursprünge der Gemäldegalerie reichen zurück bis in das Jahr 1509, als Lucas Cranach der Ältere einen kleinen Flügelaltar zum Gedächtnis an Landgraf Wilhelm II. schuf.
Während Landgraf Karl seinen kunstinteressierten Blick über die Alpen gen Italien richtete, entwickelte sein Sohn Wilhelm VIII. ein Faible für die niederländischen Maler. Der Sprössling Karls war es auch, der die intensivste Sammeltätigkeit an den Tag legte, indem er zwischen 1748 und 1756 rund 800 Gemälde in ganz Europa ankaufte. Viele der Werke stammen aus den Niederlanden, weshalb auch die holländische und flämische Malerei des
17. Jahrhunderts einen Schwerpunkt der Sammlung darstellt.
Betritt man die erste Ebene der Gemäldegalerie, so steht man gleich vor dem ältesten Stück der Sammlung, dem Altarflügel von Lucas Cranach dem Älteren. Cranach befindet sich hier in bester Gesellschaft seiner Zeitgenossen wie Albrecht Dürer. Nicht nur Kunstkenner werden sein Bildnis der Elsbeth Tucher aus dem Jahr 1499 erkennen: Ihr Antlitz zierte einst den 20-Mark-Schein.
Für die Betrachtung eines prachtvollen Beispiels deutscher Barockmalerei empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzutreten. Denn die volle Wirkung entfaltet die „Menagerie des Landgrafen Carl“ von Johann Melchior Roos aus dem 18. Jahrhundert erst mit einigem Abstand. Zwar ist das Gemälde mit fast sieben Metern Breite das größte Bild der Sammlung, zugleich aber auch eines der beliebtesten, weshalb es passieren kann, dass Besuchertrauben den Blick verstellen. Denn auf dem Bild gibt es viel zu sehen und zu entdecken: Über 70 zum Teil exotische Tiere aus der Menagerie des Landgrafen Karl tummeln sich in unnatürlicher Eintracht auf der Leinwand. Von innenarchitektonischen Modeerscheinungen des 16. Jahrhunderts legt ein bemalter Tisch Zeugnis ab, das Prunkmöbelstück zeigt mittelalterliche Bildungsideale. Auch Beispiele der Rückbesinnung auf antike und mythologische Motive finden sich hier, etwa bei Hans Baldungs Werk „Herkules und Antäus“ aus dem Jahr 1531.
TIZIANO VECELLIO
Bildnis eines Feldherrn, um 1550/57 Öl auf Leinwand, 229 x 155,5 cm
Gemäldegalerie Alte Meister, MHK
Neben den altdeutschen Meistern sind hier auch französische, spanische und italienische beziehungsweise venezianische Maler des Barock und Rokoko zu bewundern. Stellvertretend für die italienischen Meister stehen Tizians Feldherrenbildnis in ganzer Figur sowie Werke von Veronese oder Tintoretto. Vor allem aber Antonio Belluccis Bild des kranken Königssohns („Antiochus und Stratonike“, 1708–1710) zieht die Besucher in seinen Bann. Schon Goethe soll vor diesem Gemälde andächtig staunend verharrt haben, das Bild war eines der Lieblingswerke des Dichterfürsten, der ein regelmäßiger Besucher der Kasseler Gemäldegalerie war.
Zu den herausragenden Werken der kleinen aber feinen Sammlung französischer und spanischer Maler zählen Nicolas Poussins „Bacchische Szene“ oder Murillos monumentales Historienbild „Joseph und die Frau des Potiphar“ sowie eine beeindruckende „Mater dolorosa“ von Jusepe de Ribera.
In der Mitte der ersten Etage öffnet sich die Ausstellung zu einem großen Raum: dem Florasaal, dessen Name von den blumigen Deckengemälden herrührt. Schreitet man die Wände ab, so lassen sich anhand von acht großformatigen Ansichten die ursprünglichen Visionen des Bergpark-Projektes festmachen. Über die Realisierung dieser Visionen gibt eine neunte Ansicht Aufschluss, wobei es sich vielmehr um eine Aussicht handelt, nämlich um die aus dem Fenster. Im Florasaal befindet man sich exakt auf der Sichtachse zwischen Herkules und Innenstadt, der Ausblick in beide Richtungen ist fürstlich.
In der zweiten Ebene kommt man dem Kernstück der Sammlung, den altniederländischen Malern, näher. Die Szenerie bestimmen Familienbildnisse und Stillleben ebenso wie maritime Motive und Landschaftsmalerei. Eigentlich unspektakuläre Motive, doch ist es erstaunlich, wie es den alten niederländischen Meistern gelingt, einer flachen und vergleichsweise langweiligen Landschaft durch zahlreiche kleine Details nicht nur Leben einzuhauchen, sondern diese als wahren Blickfang zu gestalten. Zu den bedeutendsten Werken hier zählen die Landschaften von Salomon van Ruysdael oder das „Bohnenfest“ von Jan Steen. Zudem stellt das Familienbildnis von Maarten van Heemskerck,eine der frühesten profanen Gruppendarstellungen, einen kunsthistorischen Schatz dar.
Auch die dritte Ebene ist den niederländischen Meistern gewidmet – und zwar den bedeutendsten ihrer Zeit. Hier, in der Beletage der Gemäldegalerie, sind fünf Säle den fünf holländischen Schwergewichten Rubens, Frans Hals, van Dyck, Jordaens und Rembrandt vorbehalten, sowie einige Nischen der Seitenkabinette den etwas weniger gewichtigen.
Frans Hals, einer der bedeutendsten Porträtmaler des holländischen Barock, bekennt sich offen zu seinem Fach. Seine Bilder sind bewusst nicht naturalistisch gehalten, er macht die Malerei als solche sichtbar, dennoch erweckt er die porträtierte Person zum Leben. Dem „lustigen Zecher“ möchte man gleich zuprosten, der mit spontanen Pinselstrichen gemalte „Mann mit dem Schlapphut“ begeisterte schon Max Liebermann und Lovis Corinth. Diese Werke stehen exemplarisch für die größte Frans-Hals-Sammlung außerhalb der Niederlande.
An der nächsten Wand beeindruckt Peter Paul Rubens mit seinem naturalistischen Farbenspiel. Rubens malte keine Skulpturen ab, er hat lebendige Bilder und ausdrucksstarke Motive geschaffen. Seine Werke sind geprägt von Licht und Farbigkeit, seine offensichtliche Freude an der sinnlichen Erscheinung bildet einen scharfen Gegensatz zur weltentrückten Frömmigkeit der Andachtsbilder der älteren Schule. Seine Technik zeigen unter anderem die Werke „Jupiter und Kallisto“ oder der „Krönung des Tugendhelden“, die Rubens auf Eichenholz malte, als sich die Leinwand als Bildträger längst durchgesetzt hatte. Rubens erfreut sich der Gesellschaft seines bekanntesten Schülers, Anthonis van Dyck. Obwohl die Einflüsse des Mentors unverkennbar sind, entwickelte van Dyck schnell seinen eigenen Stil. Durch viele Details wie Reflexionen und Schattenspiel gelingt es ihm, dem an sich nicht sonderlich spektakulären Porträtfach Leben einzuhauchen.
Wie der Zeitgeist auch die Fantasie der Künstler prägt, zeigen die Werke von Jacob Jordaens. In seinen großformatigen, teils mythologischen Motiven überträgt er derbe, volkstümliche Typen auf die Antike. So erinnert die Darstellung des „Satyr beim Bauern“ eher an ein zünftiges Familienfest als an das Abbild einer mythologischen Szene des klassischen Altertums. Wenn man wie die Landgrafen ein Faible für die holländische Malerei hat, kommt man auch nicht an Rijn van Rembrandt vorbei. Die Kassler Rembrandtsammlung, eine der größten weltweit, fußt auf einem historischen Bestand, der in über 200-jähriger Sammeltätigkeit zusammengetragen wurde. Gesichts- und Ausdrucksstudien belegen die Vielseitigkeit Rembrandts. Unter seinen vielfältigen Werken stechen der „Jakobssegen“, eines der wenigen großen Historienbilder aus Rembrandts Spätzeit, oder das „Bildnis der Saskia van Uylenburgh“, eine der schönsten Darstellungen seiner Frau, hervor.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN
Saskia van Uylenburgh im Profil, 1642 Eichenholz, 99,5 x 78,8 cm
Gemäldegalerie Alte Meister, MHK
Hat man auch die großen Meister ihrer Zeit in Augenschein genommen, hat man eigentlich alles gesehen. So möchte man meinen. Denn beim Gang durch die Ausstellung über drei Ebenen hat man die Impressionen von rund 500 Werken zu filtern und damit trotzdem nur einen kleinen Eindruck landgräflicher Kunstbegeisterung und Sammelleidenschaft erhascht. Die in der Gemäldegalerie ausgestellten Bilder zeigen höchstens ein Drittel der Sammlung. Der Rest der Sammlung ist „in Bewegung“ und wird auf diversen Sonderausstellungen gezeigt. Beinahe erschlagen von den vielen Eindrücken ist es beim Verlassen des Museums an der Zeit, sich auf den Stufen des Schlosses niederzulassen, den Blick über die herrliche Parkanlage schweifen zu lassen und einmal durchzuatmen. In diesem Ambiente lassen sich die künstlerischen Impressionen besser einordnen und verdichten sich zu einem Gesamteindruck landgräflicher Herrlichkeit. Man möchte ‚Danke‘ sagen. Danke, liebe Landesfürsten, für einen solchen Nachlass.
REMBRANDT HARMENSZ. VAN RIJN
Jakob segnet Ephraim und Manasse, 1656, Leinwand, 173 x 209 cm,
Gemäldegalerie Alte Meister, MHK
Antikensammlung
Anhand von über 800 Exponaten bietet dieAntikensammlung einen faszinierenden Überblick über die vergangenen Kulturen im Mittelmeerraum und beleuchtet die Themen Archäologie, Skulptur, Mythos, Griechen, Römer und Herkules. Zu den besonderen Objekten gehören die lebensgroße Marmorstatue des „Kasseler Apoll“, die grazile Bronzestatuette der „Victoria von Fossombrone“ sowie die weltweit zweitgrößte Sammlung von Antonio Chichis Korkmodellen antiker Bauwerke Roms.
Graphische Sammlung
Über 60.000 Handzeichnungen, druckgraphische Arbeiten, Plakate und illustrierte Bücher aus ganz Europa werden in der Graphischen Sammlung verwahrt. Zeitlich reicht ihr Spektrum vom Spätmittelalter bis zur zeitgenössischen Kunst. Zeichnungen und Druckgraphiken von Ernst Ludwig Kirchner beispielsweise oder prominenten Vertretern der informellen Kunst wie WOLS können heute vor Ort studiert werden. Besucher haben die Möglichkeit, sich die Werke nach telefonischer Voranmeldung
(Fon 0561 316 80–0) im Studiensaal vorlegen zu lassen.
Weißensteinflügel
Der ab 1786 errichtete Weißensteinflügel und der südliche Verbinderbau von Schloss Wilhelmshöhe gewähren interessante Einblicke in die höfische Wohnkultur um 1800. Noch heute sind die Spuren der fürstlichen Familie und hochrangiger Gäste in den repräsentativen Räumlichkeiten und privaten Appartements zu entdecken. Die Schlossräume haben den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden und zeigen einen Teil der wichtigsten, durch Auslagerung geretteten Möbelstücke, Gemälde und andere Kunstgegenstände. Besonders sehenswert sind der edle Speisesaal, die Bildnisgalerie, die kurfürstlichen Wohngemächer mit ihrer kostbaren Einrichtung aus der Zeit des Empire und das repräsentative Badezimmer aus Marmor. Die Besichtigung ist nur mit einer Führung jeweils zur vollen Stunde möglich.
Schloss Wilhelmshöhe
Schlosspark 1 | 34131 Kassel
Fon: 0561 316800 | E‑Mail: info@museum-kassel.de
www.museum-kassel.de
Di – So & an Feiertagen 10 – 17 Uhr
Mi 10 – 20 Uhr
Mo geschlossen