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Interview mit Hans Eichel

Foto: Gabrie­le Wolf-Eichel

Die docu­men­ta ist die welt­weit wich­tigs­te Aus­stel­lung für Gegen­warts­kunst, die Aus­kunft über The­men, Dis­kur­se und Ästhe­tik der Kunst in ihrer Zeit gibt. Wie kei­ne ande­re Groß­aus­stel­lung ver­bin­det die docu­men­ta immer wie­der Ten­den­zen der glo­ba­len Welt mit ihrem Stand­ort Kas­sel. 
Welt.Kunst.Kassel. hat Hans Eichel ein­ge­la­den, um mit ihm über die ver­gan­ge­ne docu­men­ta fif­teen und die Kunst in Kas­sel zu spre­chen. 
Im Inter­view erzählt er von sei­nen docu­men­ta-Erfah­run­gen, spricht über Poli­tik, Kunst und sei­ne
Lei­den­schaft für die documenta.

Fotos: Kai Frommann

W.K.K.: Ihr Herz schlägt gewis­ser­ma­ßen für die docu­men­ta. Wie kein ande­rer haben Sie Par­tei für die docu­men­ta ergrif­fen. Sie haben auch sehr schwie­ri­ge Zei­ten in der docu­men­ta-Geschich­te erlebt. Ich den­ke da z.B. an das Defi­zit, das Har­ry Sze­e­manns docu­men­ta 5 ver­ur­sacht hat.

H.E.: Ja, das war zunächst eine für die Wei­ter­exis­tenz der docu­men­ta bedroh­li­che Kri­se. Der Auf­sichts­rat woll­te Har­ry Sze­e­mann, ein äußerst gewis­sen­haf­ter Mensch übri­gens auch beim Umgang mit Geld, per­sön­lich für das Defi­zit sei­ner docu­men­ta ver­ant­wort­lich machen. Das rief welt­weit hef­ti­ge Reak­tio­nen her­vor. Muse­ums­di­rek­to­ren droh­ten, kei­ner­lei Leih­ga­ben mehr nach Kas­sel zu schi­cken, Kura­to­ren woll­ten künf­ti­ge docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen boy­kot­tie­ren, Kunst­kri­ti­ker eben­so. Der Auf­sichts­rat gab schließ­lich nach, die Kri­se war abge­wen­det. Dabei hät­te man von vorn­her­ein wis­sen kön­nen, dass sol­che Kunst­er­eig­nis­se, die so stark auf Ein­tritts­gel­der und Spon­so­ren­mit­tel ange­wie­sen sind, immer ein finan­zi­el­les Risi­ko bedeu­ten. Über ihre künst­le­ri­sche Bedeu­tung sagt das nichts aus. Die d5 z.B. gilt längst als eine der wich­tigs­ten Aus­stel­lun­gen in der bald sieb­zig­jäh­ri­gen Geschich­te die­ser Weltausstellung.

Das Defi­zit der d5 war, gemes­sen am Aus­stel­lungs­etat, etwa so groß wie 2017 das Defi­zit der d14. Hät­te man 2017 die Erfah­run­gen beher­zigt, die der Auf­sichts­rat 1972 machen muss­te, hät­te man sich die Skan­da­li­sie­rung die­ses Defi­zits erspart und so die docu­men­ta vor einem Ruf­scha­den bewahrt.

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W.K.K.: Herr Eichel, Sie sind ein aus­ge­zeich­ne­ter Ken­ner der docu­men­ta und als Kas­se­ler Ober­bür­ger­meis­ter und Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­der der docu­men­ta GmbH 1975–1991 waren Sie selbst unmit­tel­bar in eine schwie­ri­ge Ent­wick­lungs­pha­se der Groß­aus­stel­lung invol­viert.
Sie haben vie­le docu­men­ta Aus­stel­lun­gen besucht und eini­ge aktiv beglei­tet, haben sel­ber als docu­men­ta-Gui­de gear­bei­tet. Wel­che war Ihre ers­te docu­men­ta, die Sie besucht haben?

 

H.E.: Ich habe alle docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen erlebt, auch die ers­te schon, 1955. Mein Vater war Archi­tekt und Maler, sehr an der docu­men­ta inter­es­siert, nahm mich mit. Aber kla­re Erin­ne­run­gen besit­ze ich erst an die zwei­te docu­men­ta (1959).

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W.K.K.: Wie konn­te die docu­men­ta die bedeu­tends­te Aus­stel­lung der Gegen­warts­kunst, das Forum der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de wer­den? Wel­ches waren die Bedin­gun­gen dafür und wie kann das so bleiben?

H.E.: Arnold Bode hat­te von Anfang an die docu­men­ta als peri­odisch wie­der­keh­ren­de inter­na­tio­na­le Kunst­aus­stel­lung gedacht. In den 1970er Jah­ren skiz­zier­te er dann schon ihre Glo­ba­li­sie­rung. Er hat eben immer groß gedacht. Und so haben sich die docu­men­ta-Ver­ant­wort­li­chen, bei allen Feh­lern, die sie auch begin­gen, schließ­lich immer verhalten.

1972 lei­te­te zum ers­ten Mal ein Exter­ner, der Schwei­zer Harald Sze­e­mann, die Aus­stel­lung. 1992 ver­sam­mel­te dann Jan Hoet, bel­gi­scher docu­men­ta-Lei­ter, erst­mals Künst­ler von allen Kon­ti­nen­ten in Kas­sel. 1997 erklär­te schließ­lich Cathe­ri­ne David, die ers­te Frau an der Spit­ze der docu­men­ta, die Kunst­aus­stel­lung zur Welt­aus­stel­lung. Seit 2002 gab es dann auch Aus­stel­lungs­or­te außer­halb Deutsch­lands, auch auf ande­ren Kontinenten.

Die Bedin­gun­gen dafür, dass die docu­men­ta das Forum der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de, das bedeu­tends­te Ereig­nis der Gegen­warts­kunst, bleibt, sind klar: Die künst­le­ri­sche Lei­tung muss im Rah­men des Grund­ge­set­zes voll­kom­men frei sein, nie­mand darf ihr rein­re­den. Alle künst­le­ri­schen Ent­schei­dun­gen müs­sen aus­schließ­lich in der glo­ba­len Kunst­ge­mein­de getrof­fen wer­den. Das bedeu­tet: Eine hoch­ka­rä­ti­ge inter­na­tio­na­le Fin­dungs­kom­mis­si­on schlägt die künst­le­ri­sche Lei­tung vor, die docu­men­ta-Lei­ter machen den Vor­schlag für die Beset­zung der inter­na­tio­na­len Fin­dungs­kom­mis­si­on. Der Auf­sichts­rat über­nimmt die­se Vor­schlä­ge. Es fin­det also kei­ner­lei poli­ti­sche, staat­li­che Ein­fluss­nah­me statt. Das ist ein­ma­lig welt­weit bei inter­na­tio­na­len Kunst­er­eig­nis­sen. Das ist die Vor­aus­set­zung für die her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung der documenta.

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W.K.K.: Wenn Sie die bis­he­ri­gen docu­men­ta-Aus­stel­lun­gen Revue pas­sie­ren las­sen: Wie ord­nen Sie die docu­men­ta fif­teen ein?
Was hat Ihnen gefal­len? Was hat Ihnen weni­ger gefal­len? Haben Sie per­sön­lich ein Lieb­lings­kunst­werk bei der docu­men­ta fif­teen gehabt?

H.E.: Die docu­men­ta fif­teen ist einen gro­ßen Schritt wei­ter zur Glo­ba­li­sie­rung gegan­gen. Erst­mals ver­ant­wor­te­te ein Kura­to­ren-Kol­lek­tiv aus dem „glo­ba­len Süden“ das Welt­kunst­er­eig­nis. Das bestimmt ihre blei­ben­de Bedeutung.

Gefal­len hat mir der hei­te­re, auf gemein­sa­mes Tun ori­en­tier­te Geist. Es ging nicht nur um Pro­ble­me, son­dern um gemein­schaft­lich erdach­te und erar­bei­te­te Lösungen.

Nicht gefal­len hat mir die Unfä­hig­keit der docu­men­ta fif­teen zur zugleich nach­denk­li­chen wie offen­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit ihren Kri­ti­kern beim The­ma Antisemitismus.

Mein Lieb­lings­werk die­ser docu­men­ta war das ruru­haus. Es ver­kör­per­te mit sei­ner Offen­heit, dem herr­schen­den krea­ti­ven Geist, der Bereit­schaft zum hier­ar­chie-frei­en Dis­kurs und der fröh­li­chen Gesel­lig­keit den Geist die­ser docu­men­ta wie kein ande­rer Ort, kein ande­res Kunst­werk. Das ruru­haus hät­te erhal­ten und wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den müssen.

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W.K.K.: Herr Eichel, Sie haben in den ver­gan­ge­nen Mona­ten die Kon­zen­tra­ti­on auf die Anti­se­mi­tis­mus-Debat­te beklagt und mit schar­fen Mit­tei­lun­gen das bun­des­wei­te Medi­en­in­ter­es­se wie­der auf sich gezo­gen. Die Bewer­tung der docu­men­ta fif­teen in den meis­ten deut­schen Feuil­le­tons war anfangs durch­weg posi­tiv bis eupho­risch. Das änder­te sich schlag­ar­tig nach der Ent­de­ckung der anti­se­mi­ti­schen Dar­stel­lun­gen in „People’s Jus­ti­ce“. Von da an berich­te­ten die meis­ten Medi­en lan­ge nicht mehr über Inhal­te und Kon­zep­te der docu­men­ta fif­teen, son­dern fast nur noch über den „Anti­se­mi­tis­mus-Skan­dal“.

Es war in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung eine tur­bu­len­te docu­men­ta, aus­ge­löst durch die­se Vor­wür­fe, die sich ja bis zum Ende der docu­men­ta fif­teen und dar­über hin­aus zogen. Wie hät­te Ihre Kri­sen­in­ter­ven­ti­on aus­ge­se­hen? Was wäre Ihr Rat gewe­sen, um die Eska­la­ti­on zu vermeiden?

 

H.E.: Ich glau­be nicht, dass die­se Eska­la­ti­on zu ver­mei­den war. Die Wei­chen dazu waren seit Anfang Janu­ar 2022, also lan­ge vor Beginn der docu­men­ta gestellt. Wir haben die Aus­stel­lung nicht nach ihren Inhal­ten befragt, son­dern ihr unse­re Fra­ge: Wie hältst Du es mit dem Anti­se­mi­tis­mus, wie hältst Du es mit Isra­el im Kon­flikt mit den Paläs­ti­nen­sern, gestellt und uns dann auf ihre Kon­zep­te, ihre Anlie­gen nicht wirk­lich ein­ge­las­sen. Tania Bru­guera, die welt­be­kann­te kuba­ni­sche Künst­le­rin hat das zu Recht kritisiert.

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W.K.K.: War es unter den gege­be­nen Umstän­den ein Feh­ler, ein Kura­to­ren-Team zu wählen?

H.E.: Nein. Die Ent­wick­lung in der glo­ba­len Kunst­sze­ne leg­te es nahe, erst­mals ein Kol­lek­tiv mit der Lei­tung der Aus­stel­lung zu betrau­en. Die Fin­dungs­kom­mis­si­on hat das über­zeu­gend begrün­det. Das Kol­lek­tiv hat sich aber zu wenig auf die Beson­der­hei­ten der deut­schen Situa­ti­on ein­ge­las­sen. Und vie­le Feuil­le­tons in Deutsch­land und vor allem die Poli­tik in Deutsch­land waren über­haupt nicht wil­lens und wohl zum Teil auch gar nicht in der Lage, sich auf die ganz neu­en Her­aus­for­de­run­gen durch die­se docu­men­ta einzustellen.

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W.K.K.: Unter ande­rem ist durch Wort­mel­dun­gen zahl­rei­cher außen­ste­hen­der Kri­ti­ker vor allem auch von Poli­ti­kern, die sogar den Abbruch der docu­men­ta fif­teen for­der­ten oder die Ver­le­gung in eine ande­re Stadt und nicht zuletzt durch die in gro­ßen Tei­len nega­ti­ve Pres­se der docu­men­ta ein nicht uner­heb­li­cher Image­scha­den ent­stan­den.
Sehen Sie Mög­lich­kei­ten der Reparatur?

H.E.: Nur all­mäh­lich und durch beharr­li­che Wie­der­ho­lung der Tat­sa­chen. Boris Rhein, der Hes­si­sche Minis­ter­prä­si­dent hat Recht: Die docu­men­ta fif­teen war zu 99,9 % nicht anti­se­mi­tisch. Wenn wir in Deutsch­land so wenig Anti­se­mi­tis­mus hät­ten, wür­de der Zen­tral­rat der Juden unser Land als eine Insel der Vor­ur­teils­lo­sen loben.

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W.K.K.: Mit der Auf­ar­bei­tung des Anti­se­mi­tis­mus-The­mas beschäf­ti­gen sich gleich zwei Gre­mi­en. Noch wäh­rend der docu­men­ta hat das sie­ben­köp­fi­ge Exper­ten-Gre­mi­um mit der Vor­sit­zen­den Nico­le Dei­tel­hoff sei­ne Arbeit auf­ge­nom­men. Die Ergeb­nis­se ste­hen noch aus. Und das docu­men­ta Insti­tut hat mit sei­nem Grün­dungs­di­rek­tor Prof. Dr. Heinz Bude und Prof. Dr. Meron Men­del, Direk­tor der Bil­dungs­stät­te Anne Frank, ein zwei­jäh­ri­ges For­schungs­pro­jekt zur Ana­ly­se der Anti­se­mi­tis­mus-Kon­tro­ver­se begon­nen. Begrü­ßen Sie die­se Initiativen?

H.E.: Die Ein­set­zung des Exper­ten­gre­mi­ums unter Lei­tung von Frau Prof. Dei­tel­hoff hal­te ich für grund­sätz­lich ver­fehlt: Die Gesell­schaf­ter Stadt Kas­sel und Land Hes­sen müs­sen auch nur jeden Anschein von Zen­sur ver­mei­den. Auch ist „betreu­tes Kura­tie­ren“ der Tod der docu­men­ta, dafür fin­den sich kei­ne hoch­ran­gi­gen Kura­to­ren. Das Wesen der docu­men­ta ist die Frei­heit. Und auch die Besu­cher brau­chen nie­man­den, der ihnen qua staat­li­cher Auto­ri­tät sagt, was gefähr­lich ist an der Kunst, die gezeigt wird.

Im übri­gen war­te ich noch auf die Ant­wort des Exper­ten­gre­mi­ums an der Fun­da­men­tal-kri­tik, die in ZEIT ONLINE an der „Wis­sen­schaft­lich­keit“ sei­ner Arbeit geübt wor­den ist.

Prof. Bude und Prof. Men­del haben eine Chan­ce, zur Ver­sach­li­chung der Debat­te bei­zu­tra­gen, nachträglich.

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W.K.K.: Glau­ben Sie, dass es not­wen­dig ist, Ver­än­de­run­gen in der Geschäfts­struk­tur der docu­men­ta gGmbh, bei­spiels­wei­se bei den Ver­ant­wort­lich­kei­ten des Auf­sichts­ra­tes, der Fin­dungs­kom­mis­si­on, im Ver­hält­nis der Geschäfts­füh­rung zur künst­le­ri­schen Lei­tung zu initiieren?

H.E.: Nein. Die Ver­ant­wort­lich­kei­ten sind klar. Die künst­le­ri­sche Ver­ant­wor­tung liegt aus­schließ­lich bei den Kura­to­ren, Orga­ni­sa­ti­on und Finan­zen bei der Geschäfts­füh­rung, dem Auf­sichts­rat und den Gesell­schaf­tern. Jeder muss sei­ne Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men, kei­ner darf sich in den Bereich des ande­ren einmischen.

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W.K.K.: Soll der Bund Gesell­schaf­ter wer­den? etc …

H.E.: Das muss zuerst der Bund für sich selbst ent­schei­den. Kas­sel aber darf nichts von sei­nen 50 % Gesell­schaf­ter­an­tei­le abge­ben. Das ist die ein­zi­ge Garan­tie dafür, dass die docu­men­ta in Kas­sel bleibt.

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W.K.K.: Ins­be­son­de­re DIE GRÜNEN for­dern ja sol­che Ver­än­de­run­gen, u. a. im 5‑Punk­te-Plan von Frau Roth. Oder die Alt-Grü­nen stel­len sich eine ande­re docu­men­ta-Zukunft vor, for­dern neue Struk­tu­ren, mehr Öffent­lich­keit und einen Bei­rat für die Kura­to­ren. Rein­hold Weist hat ein Papier ver­fasst zur Be- und Auf­ar­bei­tung nach der d 15. Fest­zu­stel­len ist, dass die Poli­tik und eini­ge Inter­es­sen­ver­bän­de mehr und mehr Ein­fluss­nah­me auf die Insti­tu­ti­on docu­men­ta wünschen.

H.E.: Der Vor­schlag von Frau Roth, der docu­men­ta eine ähn­li­che Struk­tur wie dem öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk zu ver­pas­sen mit Auf­sichts­gre­mi­en, in denen alle mög­li­chen gesell­schaft­li­chen Grup­pen ver­tre­ten sind, wäre der Tod der docu­men­ta. docu­men­ta ist frei und radi­kal sub­jek­tiv. Dar­in lie­gen ihre enor­men Chan­cen, aber auch ihre gro­ßen Risi­ken. Wer kei­ne Risi­ken will, kann kei­ne docu­men­ta machen.

Die Vor­schlä­ge man­cher, kei­nes­wegs aller Grü­nen, zeu­gen von der Unkennt­nis der docu­men­ta. Sie wür­den die docu­men­ta rui­nie­ren. Und staat­li­cher und poli­ti­scher Ein­fluss hat in dem Welt­kunst­er­eig­nis nichts zu suchen.

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W.K.K.: Sie haben gekämpft für die docu­men­ta wie kein ande­rer. Ich erin­ne­re an Ihre Stel­lung­nah­me gemein­sam mit Wolf­ram Brem­ei­er, Bert­ram Hil­gen und Chris­ti­an Gesel­le.
Sie haben auch zahl­rei­che Inter­views in der über­re­gio­na­len Pres­se gege­ben. Sie sind aus der Deutsch-Israe­li­schen Gesell­schaft ausgetreten…

Sie haben eine Beken­ner-Peti­ti­on mit dem Titel: DOCUMENTA FIFTEEN: DANKE! mit Dr. Wen­de­lin Göbel initi­iert, mit dem Ziel einer Wür­di­gung der docu­men­ta fif­teen. Die Peti­ti­on hat 1.753 Unter­stüt­zer. 1.309 aus dem Regie­rungs­be­zirk Kas­sel plus 426 Auswärtige.

Sie haben eine Web­Site in Form eines Bür­ger­fo­rums gemein­sam mit Prof. Sie­ben­haar ein­ge­rich­tet. „Bür­ger-Bünd­nis – d15.de“. Die HNA mit Frau Frasch­ke, Herrn Lohr und Herrn von Bus­se, haben sau­be­re und gut recher­chier­te Bei­tra­ge gebracht. In der Debat­te waren aus Kas­sel Chris­ti­an Kopetz­ki und Miki Lazar popu­lär vertreten.

H.E.: Die docu­men­ta braucht vie­le enga­gier­te Ver­fech­ter, sonst wird sie nicht überleben.

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W.K.K.: Kunst und Poli­tik sind seit jeher untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den, und doch stel­len sie ihr Ver­hält­nis wech­sel­sei­tig immer wie­der neu in Fra­ge. „Die Kunst ist eine Toch­ter der Frei­heit“, ver­merk­te Fried­rich Schil­ler. Ohne Frei­heit kei­ne Kunst. Wie poli­tisch ist Kunst in Deutsch­land? Und wo sind der Kunst Gren­zen gesetzt?

H.E.: Ich will Schil­ler wider­spre­chen. Auch in Dik­ta­tu­ren gibt es Kunst. Das hat uns die docu­men­ta fif­teen, z.B. mit der Prä­sen­ta­ti­on von Kunst aus Kuba gezeigt. Die­se Kunst ist meist direkt poli­tisch, agi­tiert gegen die bestehen­den Ver­hält­nis­se, die Künst­ler ver­ste­hen sich zugleich als Aktivisten.

Und doch hat Schil­ler auch Recht. Kunst, die in Frei­heit gedeiht, ist nie­mals ein­deu­tig, nie­mals ein­fach agi­ta­to­risch, sie ist kom­plex, lässt ver­schie­de­ne Deu­tun­gen zu. Um die­se Kunst zu ret­ten, müs­sen wir auch in Deutsch­land, auch für die docu­men­ta um die Kunst­frei­heit kämp­fen, wie sie Art. 5, 3 des Grund­ge­set­zes garan­tiert. Nur dort, nur am Schluss im Straf­recht lie­gen die Gren­zen der Kunst, nicht z.B. bei den Erwar­tun­gen gesell­schaft­li­cher Interessengruppen.

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W.K.K.: Wie bewer­ten Sie das Span­nungs­ver­hält­nis von Kunst und Politik?

H.E.: Kunst ist nie­mals affir­ma­tiv, sie beju­belt nie ein­fach bestehen­de Ver­hält­nis­se. Sie befragt sie auf ihre nega­ti­ven und posi­ti­ven Mög­lich­kei­ten. Inso­fern ist sie gegen­über Poli­tik, die meist auf irgend­ei­ne Form von Bewah­rung des Bestehen­den gerich­tet ist, sub­ver­siv. Das spü­ren die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen, des­we­gen ver­su­chen sie, die Kunst­frei­heit ein­zu­schrän­ken, in Dik­ta­tu­ren sowie­so. Aber auch in Demo­kra­tien gibt es die­se Versuchung.

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W.K.K.: Hat Kunst heu­te einen Ein­fluss auf die Gesell­schaft? Haben Künst­ler Ein­fluss auf die poli­ti­sche Debat­te in Deutsch­land? Den­ken Sie, dass die aktu­el­le poli­ti­sche Situa­ti­on einen gro­ßen Ein­fluss auf die Kunst hat?

H.E.: Ich sehe nicht, dass Künst­ler gegen­wär­tig stär­ker Ein­fluss auf die poli­ti­sche Ent­wick­lung zu neh­men ver­su­chen. Zu Wil­ly Brandts Zei­ten z.B. war ihr poli­ti­sches Enga­ge­ment sehr viel grö­ßer und sicht­ba­rer. Brandts Frie­dens­po­li­tik und sein Ein­satz für den „glo­ba­len Süden“ reg­ten die Fan­ta­sien aller an, die über die bestehen­den Ver­hält­nis­se hin­aus den­ken wollten.

Umge­kehrt gibt es heu­te eine Ten­denz der Poli­tik und ein­zel­ner gesell­schaft­li­cher Grup­pen, die Kunst- und die Mei­nungs­äu­ße­rungs­frei­heit ein­zu­schrän­ken. Die Dis­kus­si­on um die docu­men­ta fif­teen war — und ist z.T. immer noch — ein beson­ders erschre­cken­des Bei­spiel dafür.

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W.K.K.: Was sagen Sie als Poli­ti­ker zur der­zei­ti­gen poli­ti­schen Lage? Leben wir in einer gespal­te­nen Gesell­schaft? Die Situa­ti­on wirkt ver­fah­ren, die Lager zer­strit­ten, der gesell­schaft­li­che Dis­kurs gespannt. Haben Sie eine Idee, wie wir dort wie­der herauskommen?

H.E.: Wir leben in einer Gesell­schaft, die zuneh­mend dis­kurs­un­fä­hig wird. Man denkt immer mehr nur noch in Schwarz-Weiß, Grau­tö­ne, ver­mit­teln­de Posi­tio­nen schei­nen immer weni­ger Chan­cen zu haben. Gegen­sät­ze, Unver­ein­bar­kei­ten kön­nen offen­bar immer noch fried­lich aus­ge­hal­ten wer­den. Das aber ist erst Demo­kra­tie in Best­form. Wie wir aus die­ser Ver­här­tung wie­der her­aus­kom­men? Sprach­lich abrüs­ten, gedul­di­ges Zuhö­ren, Nach­den­ken und unauf­ge­reg­tes Argu­men­tie­ren — mehr fällt mir dazu nicht ein. Hof­fent­lich reicht das auf Dauer.

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W.K.K.: Grund­sätz­lich stellt sich die Fra­ge: Träu­men Sie von einer homo­ge­ne­ren Gesell­schaft? Soll­te es über­haupt ein Ziel sein, zu einer eini­gen­den Gesell­schaft zu kom­men? Oder soll­ten wir im Sin­ne einer Viel­falt viel­mehr ler­nen, mit Unter­schie­den kon­struk­tiv umzugehen?

H.E.: Die Sche­re zwi­schen arm und reich hat sich viel zu sehr geöff­net bei uns, aber auch welt­weit. Das müs­sen wir drin­gend ändern, um den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt zu bewah­ren und wie­der zu stär­ken.
Kul­tu­rel­le, eth­ni­sche, welt­an­schau­li­che Viel­falt dage­gen ist Reich­tum, wir müs­sen sie ent­fal­ten, krea­tiv nut­zen, kei­nes­falls zwangs­wei­se ein­schrän­ken. So machen wir das Zusam­men­le­ben im glo­ba­len Dorf lebens­wert. Davon han­del­te übri­gens auch die docu­men­ta fifteen.

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W.K.K.: Kann Kul­tur dabei hel­fen, die­se Wider­sprü­che und Spal­tun­gen zu über­win­den? Ist es über­haupt Auf­ga­be von Kunst, gesell­schaft­li­che Wun­den zu hei­len oder wäre die­se Erwar­tung nicht viel­mehr eine heil­lo­se Über­for­de­rung?
Oder soll­te Kul­tur­po­li­tik unter Umstän­den sogar mehr Gewicht in der poli­ti­schen Land­schaft haben?

H.E.: Bei Kunst und Kul­tur geht es um den krea­ti­ven Umgang mit Wider­sprü­chen. Eine von die­sem Ver­ständ­nis gepräg­te Kul­tur­po­li­tik soll­te eine viel grö­ße­re Rol­le in unse­rem Zusam­men­le­ben spie­len. Aber über­stra­pa­zie­ren darf man sei­ne Erwar­tun­gen an ihre glück- und frie­dens­stif­ten­de Wir­kun­gen nicht.

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W.K.K.: Wir bedan­ken uns bei Ihnen für das Gespräch. 

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[ Das Inter­view führ­ten: Son­ja Roset­ti­ni + Hel­mut Plate ]

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