Im Dschungel der Kunst
erste hilfe – first aid
Ausstellungseröffnung im Hugenottenhaus am 17. Juni 2022
Neben der documenta gibt es in Kassel 2022 zahlreiche andere hochkarätige Kunstevents zu sehen. Einer der wichtigsten ist dabei sicherlich die im Hugenottenhaus von Sylvia und Lutz Freyer präsentierte Ausstellung „erste hilfe – first aid“. Unterstützt von der documenta fifteen gibt es in jedem der über 20 Zimmer des Hugenottenhauses unterschiedliche Positionen zum Thema Hilfe in Not zu sehen.
Sylvia Freyer, Maren Freyer, Lutz Freyer
Wenn man von der Friedrichsstraße durch den Eingangsbereich des Hauses in den Hinterhof gelangt, betritt man einen grünen Dschungel mitten in der Stadt. Auf mehreren Ebenen kann man auf unterschiedlichsten Sitzgelegenheiten, wie zum Beispiel ausrangierten Schlitten, sitzen und dabei vergessen, mitten in der Innenstadt zu sein. Überall wuchern Pflanzen und riesige Bäume ragen eindrucksvoll in den Kasseler Himmel.
Kunstzone
An diesem Abend ist viel los in der „Kunstzone“, wie der Innenhof genannt wird. Bei bestem Wetter eröffnet heute die neueste Ausstellung, die die beiden Freyers kuratiert haben. Über 40 Künstler:innen haben zugesagt, von denen sich heute zahlreiche unter den Gästen befinden. In kleinen und größeren Gruppen wird über Kunst gesprochen und diskutiert, ein Gefühl von Gemeinschaft weht durch den Garten des Hugenottenhaus.
Dabei wurde erstmals auch ein Kellerraum bespielt, der nur über die Kunstzone zugänglich ist. Gregor Schneider, einer der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler, hat in diesem Raum seine „Hannelore Reuen, AlteHausschlampe“ abgelegt. Mit abgewandten Gesicht, angeblich, weil sie so schüchtern ist, lässt sie den Betrachter zweifeln: Mensch oder Puppe? Tod oder lebendig? Das Verwirrspiel gehört zur Inszenierung. Erstmals zeigte Schneider die Installation 2000 in Warschau; 2001 im Katalog der Hamburger Kunsthalle wird Hannelore Reuen sogar als Künstlerin genannt, mit Lebenslauf und einem Kurzinterview. Gregor Schneider behauptet steif und fest, das sie existiert. Alles nur eine Illusion?
Vor dem Kellerraum sitzt Agus Nur Amal PMTOH: Der professionelle Geschichtenerzähler aus Indonesien ist nach seiner grandiosen Performance bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der documenta im Moment in aller Munde. Abseits des Rummels zieht er entspannt an seiner Zigarette. Er hat seinen Raum in der Grimmwelt gerade fertiggestellt und kann nun seine Zeit in Kassel genießen
Beim Betreten des Hugenottenhauses fängt einen sofort der Charme des 1825 im Barockstil erbauten Hauses ein. Dazu ist es den Freyers gelungen, jedem der Räume eine einzigartige Atmosphäre zu verleihen. Oft bespielen zwei verschiedene Künstler:innen einen Raum und treten in Dialog zueinander. Dabei verschmelzen unterschiedlichste Herangehensweisen zu etwas Neuem.
Wie zum Beispiel bei Ricky Weber und Jörn Budesheim:
Einen Denkanstoß geben, oft mit einer kurzen Frage oder auch nur einem einzigen Wort, will der Philosoph unter den Kasselern Künstlern, Jörn Budesheim. In gedeckten Farben, oft ein wenig trist anmutend, verpackt Budesheim seine Inhalte in völlig eigener Bildsprache.
Daneben knallen die Farben von Ricky Weber auf die Netzhaut. Fantastische Wesen, gezeichnet und gebastelt aus alten Plastikflaschen oder Tetrapacks, ziehen sich dreidimensional durch den Raum, hängend, stehend und als kleine Bilder an die Wand gepinnt. Nach dem Verlassen des Raumes hallt eine heitere Nachdenklichkeit nach. Diese Art des Dialogs findet man in vielen Räumen der Ausstellung.
Ricky Weber
Ricky Weber
Ricky Weber
In einem der Räume initiiert Lutz Freyer das Filmprojekt 100 Menschen – 100 Tage. Jeden Tag hat eine Person die Möglichkeit, in drei Minuten seine persönliche Erfahrung, sein prägendes Erlebnis zum Thema Erste Hilfe zu erzählen. Dabei geht es nicht zwingend um erlebte Unfälle: Ein schönes Beispiel ist die Geschichte eines Jugendlichen, der sich um die „Emdener Gans“ kümmert, von der es nur noch 300 Exemplare gibt, und dort muss erste Hilfe zum Erhalt dieser Geflügelart geleistet werden. Es wird viele verschiedene Geschichten geben und es soll zu Gesprächen animiert werden. Der Zusammenschnitt der 300 Minuten wird ein integrales Element des Ausstellungsprojektes sein.
Julia Kröpelin vor ihrem Werk
Pascal Heußner mit EVA und ADELE
In einem der interessantesten Ausstellungsorte der Stadt beeindruckt die Vielschichtigkeit der Werke und das einfühlsame Arrangement von Sylvia Freyer.
[ Gerrit Bräutigam | Redaktion ]
Einige der Gäste
© Fotos: Kai Frommann
Hugenottenhaus
Friedrichsstr. 25 | 34117 Kassel
Fon: 0561 88 20 98 5 | E‑Mail: freyer.kunst@web.de
www.hugenottenhaus.com
Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Sonntag von 12:00 bis 19:00 Uhr