Kontinuität im Leben und Sterben
Interview mit Dr. Dirk Pörschmann
Direktor des Museums für Sepulkralkultur
W.K.K.: Sie arbeiteten als wissenschaftlicher Mitarbeiter von 2005–2009 an der Kunsthochschule, danach beschäftigten Sie sich intensiv mit der 1958 in Düsseldorf entstandenen „ZERO-Bewegung“. Sie erweiterten Ihr Tätigkeitsfeld hin zu kulturhistorischen Aspekten zum Thema Sterben und Bestattungsrituale. Wie kam der Kontakt zum Museum für Sepulkralkultur und was fasziniert sie an dem Tod?
Pörschmann: Das faszinierende am Thema Tod ist, dass es ums Leben geht, und zwar ums ganze Leben, nicht um irgendeine Facette.
In der Kunsthochschule Kassel habe ich zeitgenössische Kunst als Kunsthistoriker betrachtet, bei der ZERO Foundation beschäftigte ich mich mit europäischer Kunst zwischen 1958–66. Als ich meinen ehemaligen Kollegen erzählte, dass ich hier die Stelle als Direktor annehme, fragten die mich: „Dirk, ist das nicht langweilig? Du kümmerst Dich dann nur noch um das Thema Tod?“ Meine Antwort: „Bitte an der Stelle einmal nachdenken: Ich habe hier gut sechs Jahre gearbeitet und mich um 8–9 Jahre Kunstgeschichte gekümmert. Die Zeiten sind vorbei. Das Tor öffnet sich jetzt.“ Und das haben viele einfach nicht auf dem Schirm. Es gibt fast keinen Bereich der Kunst und Kultur, des Lebens, auch wenn man den ganzen Prozess des Sterbens mit hinein nimmt als letzte Lebensphase, der keine Rolle spielt. Das macht es vielfältig und besonders. Gleichzeitig nimmt man natürlich auch ganz viel mit nach Hause, was ich aber positiv sehe und nicht als belastend, eher als bereichernd.
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W.K.K.: Das Verblüffende beim ersten Besuch im Museum für Sepulkralkultur ist, dass man in keinem Moment das Gefühl hat, an einem düsteren oder sakralen Ort zu sein. Auch für Kinder bieten Sie unterhaltende Formate an. Die Gesellschaft dagegen tabuisiert immer noch in weiten Kreisen das Sterben und den Umgang damit. Wie sollten Menschen dem Tod begegnen?
Pörschmann: Hört sich an wie eine Floskel: Bei uns geht es ums Leben und nicht um den Tod. 2019 hatten wir hier drei sehr lebendige Veranstaltungen bei uns: Zur Eröffnung der Balkenhol-Ausstellung spielte Fanfara Kalashnikov, eine neunköpfige Balkan-Brass-Band aus Berlin. Da haben wir beim Abtanzen geschwitzt zwischen den Grabsteinen. Dann hatten wir im Sommer die Särge aus Ghana gezeigt, mit der Botschafterin Ghanas aus Berlin und mit einer ghanaischen Combo. Und als die Botschafterin anfing zu tanzen, tanzten wieder alle. Und das dritte war der Día de los Muertos mit Mariachi-Band, alles in einem Jahr.
Ich habe den Eindruck, wenn Menschen das Museum besuchen, weckt die Omnipräsenz des Todes ihre Lebensgeister. Hier bei uns wird ja nicht gestorben.
Die Gesellschaft tabuisiert immer noch den Sterbeprozess. Die Sterbenden sind nicht zu sehen, liegen im Hospiz, Krankenhaus oder Altersheim. Mit ihnen haben wir eigentlich nicht mehr viel zu tun. In anderen Ländern liegen sie auf der Straße und sterben. Das ist natürlich extrem. Das sehen wir hier nicht, auch nicht während Corona. Ich war einmal bei einem Interviewtermin auf der Intensivstation und habe das Leid gesehen, aber auch das ist ja eigentlich separiert und nicht sichtbar.
Das Sterben zu Hause findet auch kaum noch statt. Der Umgang mit der Leiche ist tabuisiert, da will man auch nichts mehr mit zu tun haben; nochmal waschen, anziehen, drei Tage aufbahren, sich verabschieden, berühren, all das, was früher dazu gehört hat.
Der Tod selbst dagegen ist präsent in den Medien. Man spricht viel über das Thema, aber es ist immer medial vermittelt, es geht mehr um den Tod im Allgemeinen, er wird selten individuell betrachtet.
Nach Epikur haben wir mit dem Tod eh nichts zu tun, weil das Leiden und das Schöne auf dieser Welt mit unserer Wahrnehmung zusammenhängt, und wenn wir Tod sind, können wir nichts mehr wahrnehmen. Wir können den Tod nicht spüren, wenn wir Leben, und wenn wir einmal Tod sind, ist es uns wurscht. Die Lebenden müssen sich damit auseinandersetzen.
Ich glaube, es tut uns allen gut, so offen wie möglich mit dem Tod umzugehen. Das zu akzeptieren, ist nicht einfach. Wir haben Angst vor dem großen Nichts und vielleicht auch vor dem Sterbeprozess, weil wir denken, es könnte mit Schmerzen verbunden sein. Da gibt es innere Bilder, die uns Angst machen. Der Tod ist einfach eine komplette Auflösung und das damit verbundene Nichts macht uns große Angst. Die Welt dreht sich ohne uns weiter, das ist auch eine komische Vorstellung, ohne jetzt besonders narzisstisch zu sein. Wie geht es weiter? Es bleibt uns nicht viel übrig, als sich diesen Fragen zu stellen, sie zu reflektieren und zu beantworten, soweit es eben geht.
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W.K.K.: Das Museum für Sepulkralkultur hat dieses Jahr 30jähriges Jubiläum. Gerade in den letzten Jahren hat das Haus an Aufmerksamkeit gewonnen. Sie sind seit 2018 Leiter des Museums. Womit erklären Sie sich das gestiegene Interesse? Wie hat sich das Museum in dieser Zeit inhaltlich verändert?
Pörschmann: Das 30 jährige Jubiläum hat nochmal deutlich gemacht: Hier gab es 120 Sonderausstellung und das Museum musste sich auch erst einmal finden. Wie stellt man das Thema aus? Das ist über die Jahre so gewachsen, und nun sind wir in einer Phase der Ernte. Es gibt mittlerweile viel Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen, wie man mit dem Thema umgeht, um die Öffentlichkeit zu erreichen. Das war früher nicht so, da ging es viel um Grabsteine, da hatte man sich noch nicht den zeitgenössischen Themen zugewandt, es dominierte der historische Blick.
Das haben wir nun versucht, zu ändern. Mir was es außerdem wichtig, in den Ausstellungen keine Grenzen zu stecken zwischen Kunst, zwischen kulturellen, alltäglichen Objekten, zwischen sozial- und mediengeschichtlichen Aspekten. Das macht mir dann auch durchaus Probleme, wenn es zum Beispiel bei „Suizid. Let´s talk about it!“ darum ging, einen zweiten Ausstellungsort zu finden. Die einen wollen nur Kunst zeigen, woanders gibt es nur Kulturgeschichte zu sehen. So ein Thema wie Suizid sollte frei von Schubladendenken gezeigt werden und alle Facetten abbilden.
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W.K.K.: Sie haben von Anfang an auf das Kuratieren von Wechselausstellungen gesetzt und damit große Erfolge gehabt. Was können solche Ausstellungen nach Außen transportieren? Welche Inhalte sind Ihnen dafür wichtig und gibt es einen roten Faden?
Pörschmann: Ich würde keine Ausstellung zum Thema „Etruskische Begräbniskultur machen“, es sei denn, die Etrusker könnten uns etwas erzählen, was uns in unserer kulturellen Situation was Neues oder eine Inspiration bringt. Es ist nie der Blick von der Geschichte auf das Heute, sondern wir schauen immer zurück aus dem Jetzt. Wie hat es sich entwickelt, wieso sind wir an diesem Punkt. Da hat man natürlich Rückgriffe auf die Geschichte, aber wir leben jetzt, und zwar nur im Jetzt. Die Vergangenheit ist eine historische Konstruktion, die Zukunft noch viel mehr. Wir haben eine viel größere Kontinuität im Leben und Sterben, als oft angenommen wird. Natürlich gibt es Innovationen, aber vieles hat auch mit dem Menschsein an sich zu tun. Egal, ob wir das Internet haben und es eben vor 200 Jahren nicht hatten. Zum Beispiel bei einer großen Verlusterfahrung haben Menschen schon immer das Gleiche gefühlt.
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W.K.K.: Bei der Ausstellung „Suizid. Let´s talk about it!“ gab es Leihgaben der Caricatura, im Mai kooperierten Sie mit dem Galeriefest. Gibt es ansonsten regelmäßige Kooperationen mit Kasseler Institutionen?
Pörschmann: Natürlich. Zum Beispiel habe ich mich mit Jan Sauerwald, dem Leiter der Grimmwelt, auf ein baldiges Zusammenarbeiten verständigt. Die Museumslandschaft Hessen Kassel war auch bei der Suizid-Ausstellung vertreten. Als ich in Kassel angefangen habe, 2005, noch mehr 2018, habe ich realisiert, dass es besonders ist, dass die meisten Kulturinstitutionen in Kassel miteinander kooperieren. In Düsseldorf ist es das komplette Gegenteil: Da ist ein enormer Konkurrenzkampf, dass es teilweise unmenschlich wird. Vielleicht hat sich durch die ehemalige Lage am Zonenrandgebiet solch ein Zusammenhalt entwickelt.
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W.K.K: Auch ist das Museum offizieller Ausstellungsort der documenta fifteen. Wie wichtig ist die documenta für die Stadt und wie läuft die Zusammenarbeit mit der documenta und dem Museum für Sepulkralkultur?
Pörschmann: Dieser fünfjährige Impuls „documenta“ ist für die Stadt ganz elementar wichtig. Aus der ganzen Welt kommen Menschen in diese nicht besonders große nordhessische Stadt, die nicht als Nabel der Welt bekannt ist und sie geben so viele Ideen und Energie rein. Das kann man, glaube ich, nicht hoch genug hängen. Deswegen finde ich auch, dass man das Thema documenta-Institut oder documenta-Zentrum nicht groß genug denken kann. Lasst uns die documenta-Halle abreissen und am Fuß des Friedrichsplatzes etwas wirklich Präsentes und Besonderes bauen!
Ansonsten läuft die Zusammenarbeit mit der documenta sehr gut und entspannt. Für uns erleichtert die documenta tatsächlich auch, interessante Leute für Veranstaltungen zu gewinnen. Da sie sich gerne die documenta anschauen, kommen sie auch gerne in unser Haus, wie zum Beispiel Harald Welzer oder Bettina Flitner.
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W.K.K: Sie kennen Kassel seit 2005. Wie erleben Sie die Stadt und ihre Kultur mit all ihren Brüchen und unterschiedlichen Facetten vom industriellen Osten bis zum mondänen Westen? Was hat sich in den letzten Jahren geändert und wie viel Potential steckt in ihr?
Pörschmann: Kassel ist eigentlich eine typische deutsche Stadt. Vielleicht ist deshalb die documenta auch so gut hier aufgehoben, weil sie eine typische, durchschnittliche Stadt ist mit ihrer zerstörten Innenstadt, mit den Problemen der Nachkriegsarchitektur, mit den Vorstellungen, den Autos ganz viel Platz einzuräumen. Heute noch gibt es eine große Diskussion, dass eher Parkplätze in der Innenstadt gebraucht werden als ein documenta-Institut.
Also eher eine durchschnittliche Stadt bis man dann auf die Kultur schaut und sieht: Das ist eben nicht normal und der große Unterschied. Ich habe ja nun länger im Ruhrgebiet gelebt, dort haben die vergleichbar großen Städte vielleicht ein kleines städtisches Museum, einen kleinen Kunstverein, ein Theater aber sonst so gut wie nichts. Diese Regiopole, diese Lage, dass in jeder Himmelsrichtung die nächste größere Stadt sehr weit entfernt ist, trägt zu dieser Entwicklung bei. Der Sitz des Landgrafen war dann natürlich auch entscheidend für die heutige Vielfalt an kulturellen und künstlerischen Aktivitäten.
Da kommen wahrscheinlich auch die Spannungen bei den „normalen“ deutschen Bürger:innen her: Bei diesem Angebot in Kassel wird sich oft gedacht: „Was ist denn nun schon wieder los?“. Gerade zu Zeiten der documenta gibt es ja genug Beispiele an Reibereien. Oft wird die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Stadt leider immer noch nicht erkannt.
Die Kulturschaffenden selber schätzen natürlich diese Kuturaffinität der Stadt. Es gibt viel Potential. Mir fehlen manchmal auch noch 200.000 Einwohner mehr, um nicht immer dieselben Gesichter auf den Ausstellungseröffnungen zu treffen. Man hat vielleicht 1–2 %, die sich auf den kulturellen Veranstaltungen sehen lassen. Das ist natürlich auch das Schöne, aber man wünscht sich schon mehr auswärtige Besucher. Im Marketing nach Außen ist durchaus noch Luft nach oben, denn wir haben viel und Gutes zu bieten.
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W.K.K: Wir bedanken uns herzlichst für Ihre Zeit und wünschen alles Gute für die Zukunft!
[ Das Interview führten Helmut Plate und Gerrit Bräutigam | Redaktion ]