Arya Atti

Der Hand­stand ist sehr wichtig“

Ich treffe Arya Atti in ihrer Galerie Violett in der Wilhelmshöher Allee in Kassel. Bei starkem arabischen Kaffee und Datteln aus Ägypten erzählt mir die 32 Jahre alte Syrerin aus ihrer Heimat, von ihrer Intention Kunst zu machen und warum der Handstand als Synonym für das Selbstvertrauen der Frauen steht:

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Hal­lo Arya, du hast 2008, also mit 18, ange­fan­gen, an der Facul­ty of Fine & Appli­ed Arts Uni­ver­si­ty Alep­po zu stu­die­ren. Wie schwer war es, als jun­ge Frau in Syri­en an der Uni zu sein?

Arya Atti: Erst­mal ver­ste­hen mei­ne Fami­lie und die Gesell­schaft nicht, was Kunst ist. Nach­dem ich gesagt habe, ich will Kunst stu­die­ren, wur­de ich nicht mehr akzep­tiert, das hat sich bis heu­te nicht geän­dert. 90 % der syri­schen Gesell­schaft akzep­tie­ren mich nicht als Per­son. Als Frau, die stu­die­ren will und dann auch noch Kunst, wird man aus­ge­schlos­sen aus dem nor­ma­len Leben. Mei­ne Mut­ter hat mich letz­ten Monat hier in Kas­sel besucht, hat sich in mei­ner Gale­rie umge­se­hen und gefragt: War­um machst Du kein Fal­a­fel-Restau­rant auf? Das war für mich wie­der eine gro­ße Ent­täu­schung.
Ich den­ke jeden Tag an die­ses The­ma, ich möch­te ger­ne von mei­ner Fami­lie, aber auch von der Gesell­schaft mei­ner Hei­mat akzep­tiert wer­den für das, was ich mache, nur dann bin ich wirk­lich zufrieden.

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2011 war Kriegs­be­ginn in Syri­en und 2012 muss­test du an der Uni auf­hö­ren. Wie bist du nach Deutsch­land gekommen?

Atti: Ich war an der Uni in Alep­po, als rus­si­sche Bom­ber uns bom­bar­diert haben und vie­le mei­ner Freun­de getö­tet wur­den. Ich war einen Monat vor mei­nem Abschluss. Ich bin in den Liba­non gegan­gen, um dort mei­ne Kunst wei­ter zu machen. Geplant war, nach einem Monat wie­der zurück zu keh­ren. Nach Alep­po konn­te ich nicht mehr, also bin ich erst ein­mal in mein Hei­mat­dorf. Wenig spä­ter kam dort aber der IS mit 4000 Leu­ten. Nach einem kur­zen Kampf sind wir in die Tür­kei geflo­hen, von dort wei­ter mit dem Flug­zeug nach Alge­ri­en. Dann sind wir zu Fuß bis Marok­ko wei­ter, um dort in der spa­ni­schen Enkla­ve Mel­il­la Asyl zu bean­tra­gen. Mit die­sem Papier konn­ten wir dann 2015 nach Deutsch­land ein­rei­sen. Ange­kom­men sind wir in Bad Hers­feld. Dort hat sich vom ers­ten Tag an der Kunst­ver­ein rüh­rend um mich geküm­mert, hat mir Mate­ria­li­en zum Arbei­ten gege­ben. Ich hat­te mei­ne Bett­wä­sche, mei­ne Klei­dung, Gar­di­nen bemalt. Des­we­gen benut­ze ich heu­te noch Stof­fe, die ich bema­le und verarbeite.

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Nun ist seit vier Wochen auch Krieg in Euro­pa und vie­le Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne kom­men in Deutsch­land an und man hat das Gefühl, die Hilfs­breit­schaft über­schlägt sich bei­na­he und vie­le Men­schen neh­men die Schutz­su­chen­den in ihre Woh­nun­gen und Häu­sern auf. Wie hast du als Geflüch­te­te aus Syri­en, einem ara­bi­schen Land, mit den sel­ben Nöten und Ängs­ten behaf­tet wie jetzt die Men­schen aus der Ukrai­ne, die Hilfs­be­reit­schaft in Deutsch­land erlebt?

Atti: Ich war durch mei­ne Erleb­nis­se sehr ver­schlos­sen und habe vier Jah­re allei­ne gemalt und kaum jeman­den an mich her­an­ge­las­sen. Mein Herz war nicht offen. Aber ja, mir wur­de viel gehol­fen und ich habe heu­te noch „neue Eltern“ aus dem Kreis des Hers­fel­der Kunst­ver­eins, mit denen ich immer noch täg­lich in Kon­takt ste­he. In dem Fal­le war es wahr­schein­lich ein Vor­teil, eine Frau zu sein, die ara­bi­schen Män­ner, die allei­ne in Deutsch­land ankom­men, haben es viel­leicht schwe­rer.
Spä­tes­tens als mei­ne Toch­ter, die in Deutsch­land gebo­ren wur­de, in den Kin­der­gar­ten ging und ich seit­dem mit einer „Deut­schen“ zusam­men­le­be, habe ich viel gelernt. Sie war mei­ne Leh­re­rin in Deutsch, hat mir gezeigt, wie man mit der Gabel ist und vie­les mehr.

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Du hast dann zwei Semes­ter an der Kunst­hoch­schu­le Kas­sel stu­diert. Gibt es eine inter­es­san­te Bege­ben­heit, die dich in dei­ner wei­te­ren Arbeit geprägt hat?

Atti: Durch die beglau­big­ten Doku­men­ten der Uni in Alep­po wur­de ich dort sofort auf­ge­nom­men, aber der Zugang war schwie­rig für mich: Kon­zept­kunst, abs­trak­te Kunst, Instal­la­ti­on. Ich kann­te das schon, aber nicht die Begriff­lich­kei­ten. Ich habe mich gefühlt, als ob ich die ein­zi­ge bin, die so malt, wie ich male. Ich konn­te mich nicht in die deut­sche Kunst inte­grie­ren. In Syri­en habe ich klassisch/realistisch gelernt, das war eine sehr gute Grund­la­ge, um jetzt frei­er zu arbei­ten und Mate­ria­li­en zu variieren.

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Ich habe gele­sen, dass du schon an vie­len Orten der Welt aus­ge­stellt hast: Liba­non, Ägyp­ten, Tür­kei, Ver­ei­nig­te Ara­bi­sche Emi­ra­te, Frank­reich, Deutsch­land. Hast du in Kas­sel ein Zuhau­se gefun­den oder willst du über kurz oder lang wie­der in dei­ne Hei­mat zurück?

Atti: Ich wün­sche mir, dass eines Tages die Gesell­schaft mei­ner Hei­mat mich und mei­ne Kunst akzep­tiert. Ich wür­de, wenn Frie­den ist, ger­ne wie­der zurück und dar­an mit­ar­bei­ten, eine neue Gesell­schaft auf­zu­bau­en. Die Erfah­run­gen von Frei­heit, die wir Geflüch­te­ten hier gemacht haben, kön­nen wir in die syri­sche Gesell­schaft ein­flie­ßen las­sen und damit das Leben lebens­wer­ter machen.
Aber im Moment lie­be ich Kas­sel, füh­le eine Sicher­heit und Gebor­gen­heit. Das ist mir zum ers­ten Mal rich­tig bewusst gewor­den, als ich vor einem Monat ein paar Tage allei­ne in Paris war. Ich hat­te Sehn­sucht nach Kas­sel und als ich wie­der hier war, habe ich die Stra­ßen gese­hen, den Geruch von Kas­sel auf­ge­saugt und mich zu Hau­se gefühlt.

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Die Kas­se­ler Kunst­sze­ne ist in den letz­ten Jah­ren deut­lich viel­fäl­ti­ger gewor­den, die Gale­rie­sze­ne boomt und auch du hast mit der Vio­lett-Gale­rie eine Platt­form nicht nur für dich, son­dern auch für ande­re Künst­le­rin­nen und Künst­ler geschaf­fen. Wel­che Schwer­punk­te setzt die Gale­rie Violett?

Atti: Ich ver­su­che, offen zu sein, Kunst aus vie­len ver­schie­de­nen Län­dern zu zei­gen. Natür­lich ist allein wegen mei­ner Her­kunft ein Schwer­punkt die ara­bi­sche Welt. Vor allen Din­gen sol­len die Künst­le­rin­nen und Künst­ler, die ich zei­ge, posi­ti­ve Aus­sa­gen oder posi­ti­ve Gefüh­le trans­por­tie­ren und den Betrach­ter ein Stück mehr glück­li­cher machen.

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Wie wür­dest du dei­ne Inten­ti­on, Kunst zu machen, oder ein­fa­cher gesagt, den roten Faden beschrei­ben, der dich und dein Schaf­fen antreibt?

Ich muss mich ein­fach aus­drü­cken. Man könn­te es mit Lite­ra­tur, Schnei­de­rei, oder auch mit gut kochen tun. Ich mache es mit Male­rei. Jeden Tag und dazu ist es noch kos­ten­los!
Als kur­di­sche Künst­le­rin gibt es immer vie­le poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Pro­ble­me. Durch Kunst kann ich mein Leben ein­fa­cher machen, eine Balan­ce fin­den. Ich kann so mei­ne Schmer­zen zei­gen oder auch, was mich posi­tiv bewegt hat. Ich tei­le ger­ne und über die Bil­der tei­le ich mei­ne Geschich­ten. Mei­ne Bil­der haben immer etwas Schö­nes, die Schön­heit ist ein zen­tra­ler Punkt in mei­ner Arbeit., mit Licht, mit Far­ben oder dem Hin­ter­grund. Wenn ich mich sel­ber male, mache ich mich immer ein wenig schö­ner, denn Schön­heit bringt Freu­de. Trotz­dem ver­su­che ich auch, mei­ne Schmer­zen und mei­ne Lei­den­schaft zu zei­gen. Wenn der Betrach­ter vor mei­nen Bil­dern steht und lacht, ich ihn also posi­tiv beein­flusst habe, bin ich glück­lich. Das ist für mich eine Art Lebens­eli­xier: Das Lachen der Men­schen, die mei­ne Kunst betrachten.

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Ich habe eine Men­ge Selbst­bild­nis­se von dir gese­hen. Was willst Du mit der Spie­ge­lung dei­nes Selbst zu den Betrach­tern transportieren?

Atti: Ich kann vie­les mit Wor­ten nicht aus­drü­cken. Ich möch­te mei­ne Gefüh­le erzäh­len, mei­ne per­sön­li­che Geschich­te, aber vie­les funk­tio­niert nicht über Wor­te. In den Bil­dern erzäh­le ich die Sei­ten mei­ner Emo­tio­nen, mei­ner momen­ta­nen Befind­lich­kei­ten, die ich nicht in Wor­te fas­sen kann. Im Tanz funk­tio­niert das auch. Ein Blick auf das Bild zeigt das Inne­re von mir. Wer mich rich­tig ken­nen­ler­nen will, muss in die Gale­rie kom­men und mei­ne Bil­der ansehen.

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Wir sind im docu­men­ta-Jahr und ich per­sön­lich erwar­te eine diver­se und par­ti­zi­pa­ti­ve Welt­aus­stel­lung mit dem Schwer­punkt Nach­hal­tig­keit und Mit­ein­an­der. Was erwar­test du für dich per­sön­lich als Künst­le­rin, aber auch als Gale­ris­tin von der docu­men­ta? Kön­nen wir uns auf beson­de­re Aktio­nen freuen?

Atti: Ich habe sowie­so viel zu tun in mei­ner Gale­rie, habe auch wäh­rend der docu­men­ta-Zeit eine Ein­la­dung nach Kai­ro und Jor­da­ni­en bekom­men, was alles vor­be­rei­tet wer­den muss. Außer­dem will ich mit dem Auge der Gale­ris­tin auf die docu­men­ta schau­en, viel­leicht kann ich den einen oder die ande­re für mei­ne Gale­rie gewin­nen. Als Gale­ris­tin muss man dau­ernd schau­en, ob man was Neu­es ent­deckt. Für die Wei­ter­ent­wick­lung mei­ner Kunst ist die Erfah­rung, ande­re moder­ne Arbei­ten zu sehen, sehr bedeutsam.

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Kannst du mir schon ver­ra­ten, wie dei­ne Plä­ne für 2023 aussehen?

Atti: Ich kämp­fe, um auf eige­nen Bei­nen ste­hen zu kön­nen. Außer­dem hof­fe ich auf einen deut­schen Pass, da ich nächs­tes Jahr eine Ein­la­dung nach Miami und nach Hong­kong habe, die Ein­rei­se mit dem syri­schen Pass aber qua­si unmög­lich ist. Aber das ers­te Mal in mei­nem Leben als Frau weiß ich hier in Kas­sel mit mei­ner eige­nen Gale­rie und mei­ner klei­nen Toch­ter, was Frei­heit bedeu­tet.
In mei­ner Hei­mat wird ver­sucht, den Frau­en Selbst­ver­trau­en abzu­ge­wöh­nen. Dabei ist der Hand­stand sehr wich­tig: Es gibt eine Sekun­de, in der man ent­schei­den muss, die Füße nach oben zu zie­hen. Wenn du dir sel­ber und dei­nem Kör­per ver­traust, machst du das ein­fach. Und ich mache jetzt eine Galerie.

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Bit­te ergän­ze fol­gen­den Satz: „Ich lebe für die Kunst, weil…“

Atti: …Kunst mich ins Gleich­ge­wicht bringt. Ich erken­ne mich selbst in der Kunst und fin­de Lösun­gen für mei­ne per­sön­li­chen Pro­ble­me in der Male­rei. Ich tei­le mei­ne Erfah­run­gen, mei­ne Geschich­ten und Gefüh­le mit den Men­schen über mei­ne Bilder.

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[ Das Inter­view führ­te Ger­rit Bräu­ti­gamm | Redaktion ]

Arya Atti
Vio­lett Kunst­ga­le­rie

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