Arnold-Bode-Preis 2022
geht an
Wajukuu Art Project
An seine dunkle Rauminstallation aus rostigen Wellblechplatten in der documenta-Halle werden sich viele Besucherinnen und Besucher der documenta fifteen noch eindrücklich erinnern: Nun erhält das Kollektiv Wajukuu Art Project den mit 10.000 Euro dotierten renommierten Arnold-Bode-Preis 2022. Das hat der Magistrat der Stadt Kassel als Vorstand der Arnold-Bode-Stiftung auf Vorschlag des Kuratoriums beschlossen.
Am Dienstag, 2. Mai 2023 wurde dem kenianischen Künstlerkollektiv Wajukuu Art Project in der Brüderkirche Kassel der Arnold-Bode-Preis verliehen. (v.li.) Shabu Mwangi, Josephat Kimathi Kaaria, Grace Wambui Ngombo, Ngugi Waweru Wanjiku und Joseph Ndung’u Kimani vom Wajukuu Art Project mit Dr. Susanne Völker, Heiner Georgsdorf und Nele Riehle vom Kuratorium sowie Laudatorin Ann Mbuti.
© Foto: Stadt Kassel; Fotografin: Anja Köhne
“Transform yourself”
Eine Filmdokumentation macht deutlich, dass Wajukuu Art Project künstlerische Praxis trotz des sozialen Engagements nicht als sozialpädagogisch versteht, sondern künstlerisch ambitionierte Maßstäbe setzt. Doch ist die Devise: transform yourself into what you want to be – not necessarily an artist. Ein übergeordnetes Ziel der Gesamtinstallation von Wajukuu Art Project war es, mit den Besucherinnen und Besuchern der documenta fifteen in Dialog zu treten und einen Rahmen für Austausch zu bieten.
Aus der Teilnahme an der documenta fifteen möchte Wajukuu Art Project das Nachhaltigkeitsprojekt „Killing Fear of the Unknown“ ableiten und in Mukuru einen dauerhaften und kollektivbasierten Projektraum schaffen, deren Mitglieder finanziell gefördert werden können und in dem jungen Teilnehmenden in Holzwerkstätten Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden. Das Preisgeld wird zu gleichen Teilen von der Kasseler Sparkasse und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen finanziert. Die Preisverleihung ist für Anfang 2023 geplant.
Benannt nach dem “Vater der documenta”
Der Preis wird seit 1980, zunächst jährlich, nach 1987 alle zwei Jahre, aber obligatorisch in einem documenta-Jahr an Künstlerinnen und Künstler in Anerkennung ihrer herausragenden Leistungen für die Kunst der Gegenwart verliehen. Eine documenta-Teilnahme ist nicht Voraussetzung, documenta-Niveau aber Maßstab der Entscheidung.
Das Kuratorium der Arnold-Bode-Stiftung
[ Quelle: Presseservice der Stadt Kassel]
Preis, Stiftung, Kuratorium
Die Arnold-Bode-Stiftung wurde 1978 von der Stadt Kassel ins Leben gerufen. Das Grundkapital der Arnold-Bode-Stiftung entstammt Kunstwerken, die Arnold Bode von documenta-Künstlern anlässlich seines 75. Geburtstages im Jahr 1975 geschenkt wurden. Der Zweck der Stiftung liegt in der Förderung von Kunst und Kultur, insbesondere durch Vergabe des Arnold-Bode-Preises.
Dem Kuratorium gehören entsprechend der Stiftungsverfassung ein Mitglied der Familie Bode, ein Finanzsachverständiger sowie drei Kunstsachverständige an. Die Mitglieder sind jeweils für fünf Jahre im Amt. Es sind dies derzeit Ingo Buchholz, Prof. Heiner Georgsdorf (Vorsitzender), E.R. Nele, ruangrupa, Prof. Dr. Julia Voss. Das Kuratorium tagt gemeinsam mit Kulturdezernentin Dr. Susanne Völker, die den Stiftungsvorstand vertritt.
Poetry Art und Civic in Kuba. Das Foto entstand während eines Workshops mit dem Schriftsteller Rafael Almanza im April 2018
Foto: Courtesy Wajukuu Art Project
Wajukuu Art Project, von links: Lazarus Tumbuti, Ngugi Waweru, Kimathi Kaaria, Shabu Mwangi, Sammi Mutinda, Stanley Githinji, Victor Chege, Freshia Njeri, Ndungu Kimani
BODEPREIS 2022 – WAJUKUU-PROJECT –
Rede Heiner Georgsdorf oF
Die erste documenta nannte sich internationale Ausstellung. Sie zeigte Arbeiten von Künstlern aus 6 Ländern. Kenia war nicht dabei. Schon deshalb nicht, weil es Kenia als unabhängigen Staat noch gar nicht gab.
Die documenta ist keine Olympiade und der Arnold-Preis-Preis keine Medaille.
Mir geht es hier nicht um Wettbewerb und Ranking, nicht um Nationenwertung. Aber weil der Arnold-Bode-Preis nach Romouald Hazoumè nun bereits zum zweiten Mal nach Afrika geht, diesmal an ein Kollektiv von Kunstschaffenden aus Kenia, schien es mir naheliegend, der Frage nachzugehen, was der Namensgeber des Preises, Arnold Bode, mit Kunst aus Afrika zu tun hat?
Obwohl und eben gerade deshalb, weil die Tatsache, dass afrikanische Kunstschaffende auf der documenta ausstellen, wohl kaum noch fragwürdig ist. Vielleicht ist es aber, nicht zuletzt für Jüngere, doch interessant aufzuzeigen, welch ein langer Weg es war – eine Zeitreise, die sich auch auf meine Redezeit auswirkt –, dass Kunst aus Afrika auf der documenta präsent ist, nein, ich muss es präzisieren, dass zeitgenössische Kunstschaffende aus Afrika auf einer documenta vertreten sind. Wie lange es brauchte, erst für die traditionelle und erst recht für die zeitgenössische Kunst aus Afrika in einer von westlicher Dominanz, von weißer Vorherrschaft bestimmten internationalen Kunstwelt wahrgenommen und anerkannt zu werden.
Gleich nach Kriegsende, 1946, träumte Arnold Bode von einer „großen internationalen Kunstausstellung“. 1955 ging sein Traum in Erfüllung: mit der ersten documenta. Er nannte sie zwar nicht mehr groß, aber immer noch stolz „Internationale Ausstellung“. Man sah Kunstwerke von 148 Künstlern – ach ja, Künstlerinnen waren auch dabei – ganze 6 waren es, wenn ich richtig gezählt habe.
Diese 6 Künstlerinnen und 142 Künstler waren aus 6 Ländern – ich sagte es schon – und auch, dass Kenia nicht dabei war. Aber auch kein anderes Land aus Afrika. Auch kein Land aus Asien, Australien, Nord- oder Süd-Amerika – nur New York war vertreten durch Alexander Calder. Lyonel Feininger, auch er ein New Yorker, wurde im Katalog unter Deutschland verbucht.
Gleichwohl konnte ich wie jeder andere Besucher doch schon auf dieser ersten documenta Kunst aus Afrika sehen – und aus der ganzen Welt. Auf Fotos im Eingangsbereich. Dort, im feierlichen schwarzen Vestibül, hatte Bode deckenhohe Schautafeln aufgestellt, mit locker neben- und übereinander aufgereihten Schwarzweißfotografien, unterbrochen von Farbtafeln. Fotos von Kunstwerken waren das, sie zeigten meist Menschenbilder – Menschenbilder aus allen Zeiten und Zonen. Darunter allein zehn Fotos mit Kunst aus Afrika. Ein globales Panorama war das – ein visuelles Manifest, das eine Fraternité der Kunst beschwor; ein universales Kunstverständnis, ein Kunst-ein-verständnis, das keinen qualitativen Unterschied machte zwischen der sogenannten Hochkunst und Kunst der „Primitiven“, ein Begriff, der in den fünfziger Jahren noch gang und gäbe und auch so gemein gemeint war. Diese Fotoauswahl haben nachgeborene documenta-Kritiker später mit Häme übergossen, wie auch den Anspruch auf Internationalität – die organisatorisch und politisch äußerst schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit außer Acht lassend. Man sprach von kolonialistischer Übergriffigkeit, von uneinvernehmlicher Einvernahme et cetera. Sei‘s drum. Mich zumindest, den damals Sechzehnjährigen, hat diese humanistische Geste sehr beeindruckt – zutiefstbeeindruckt (um ein Lieblingswort Arnold Bodes zu gebrauchen), und sie hat mein offenes Kunstverständnis nachhaltig geprägt. Ich habe diese schwarz-weiß-bunte Ikonostase als eine kollegiale Geste des Künstlers Arnold Bode verstanden, als Zeichen des großen Respekts vor der Égalité der Künste, vor der weltumspannenden Community der Kunstschaffenden – und als Desiderat: als Auftrag an die documenta, den selbstgesetzten Anspruch auf Internationalität zu erfüllen.
Acht Jahre später, 1963, konnte sich Bode, in dessen Wohnung afrikanische Skulpturen nicht als Trophäen ausgefallenen Geschmacks, sondern als visuelle Gebrauchsgegenstände herumstanden, in besonderem Maße seiner Begeisterung für Kunst aus Afrika hingeben und in Berlin eine Ausstellung mit Afrikanischer Plastik inszenieren, die allerdings terminlich und inhaltlich mit einer Ausstellung im Völkerkundemuseum kollidierte. Bodes Ausstellung hatte den Titel „Afrika – 100 Stämme – 100 Meisterwerke“. Das Thema der Ethnologen aber war „Der Einfluss der primitiven Kunst auf die Kunst des 20. Jahrhunderts“.
Bode war empört, „dass [so] Kunstwerke von höchstem Rang, […] die wir durchaus auf einer Stufe mit der frühen griechischen Plastik und mit ägyptischen Skulpturen sehen, zu »primitiven« Exotika abgewertet [werden], auf die anscheinend auch die Ethnologen mit dem Hochmut des Europäers herabsehen zu können glauben.“
Bode hingegen kam es in seiner Ausstellung darauf an, mit „Spitzenwerken“ „[Afrika] als selbstständigen großen Kulturraum gleichberechtigt neben die Manifestationen europäischer Kunst zu stellen und die alte Vorstellung auszuräumen, es handle sich hier um ‚primitive Kunst‘.“
Ein bisschen von Bodes Inszenierungskunst hätte ich mir übrigens bei meinem Besuch neulich im Berliner Kulturforum im wieder aufgebauten Schloss gewünscht. Dort werden „Spitzenwerke“ afrikanischer Kunst in Vitrinen etwas sehr dröge hingestellt oder hingelegt – wie in einer Asservatenkammer die Beweismittel krimineller Vergehen. Aber in gewisser Weise trifft das ja auch zu.
Lassen Sie mich noch zum Schluss ein drittes Datum erwähnen:
1976 sollte die documenta nach dem Ende der Ausstellung in Kassel ein weiteres Mal in Philadelphia gezeigt werden, und zwar in vollem Umfang. Aus Anlass der Zweihundertjahrfeier der Amerikanischen Revolution. In einem Konzeptpapier, das Bode in diesem Zusammenhang verfasste, denkt er aber schon weit über diese atlantische Distanz hinaus. In die Zukunft schauend, schwelgt er in globalen Dimensionen:
„Weiter planen
dass nicht die Achse
Kassel, Deutschland, Europa > Amerika
bleibt für immer
nächste Achse 1980
Kassel – Tokio – Peking
nächste Achse 1984
Kassel – Südamerika Afrika Indonesien usw.
um aus der politischen Verankerung herauszukommen“
Wer Bode kennt, weiß, dass hier kein hegemonistisches Wunschdenken, kein usurpatorischer Übermut sich Ausdruck verschafft, sondern Wissbegierde und Lust auf das „Große Gespräch“.
Für die damalige Zeit war das ein so kühnes wie optimistisches Wunschdenken! Eine visionäre Horizontüberschreitung – wofür die documenta selbst dann doch etwas länger brauchen sollte.
Denn noch ein Jan Hoet konnte Anfang der 90er Jahre von Recherche-Reisen zurückkommen und behaupten, er habe in Afrika und anderswo keine documenta-adäquate Kunst entdecken können. Es war die Zeit, wo ein Kasseler Kunstprofessor noch allen Ernstes behaupten konnte, Frauen seien nicht zu großer Kunst befähigt. Erst mit Okwui Enwezor, einem in New York lebenden Nigerianer, durch seine Biennale in Dakar auch als Kenner der afrikanischen Kunstszene ausgewiesen, wurde die documenta zur Weltausstellung. Sein Nachfolger Roger Bürgel lenkte mit dem Leitbegriff „Migration der Formen“ unseren Blick auf einen schon seit Vorzeiten praktizierten interkontinentalen Kunstaustausch, und Carolyn Christov-Bakargiev machte sogar Tiere zu documenta-Teilnehmern. Mit Athen wies dann Adam Szymczyk der documenta den Weg in Richtung Süden, den Ruangrupa zum „globalen Süden“ ausdehnten. Mit Ruangrupa ist die documenta nun auch organisatorisch global geworden. Sie öffneten wie selbstverständlich, wenn auch nicht problemlos und konfliktfrei, einen barrierefreien und inklusiven Zugang nicht nur für Kunstschaffende aus aller Welt, sondern auch für das Publikum durch einen weit gefassten Kunstbegriff, getreu der Devise: „Make friends, not art“. Eine Alternative übrigens, der Bode nie zugestimmt hätte. Er konnte beides wunderbar in Einklang bringen.
Sie, meine Damen und Herren, die wohl alle die documenta fifteen besucht haben, können sich vorstellen, wie schwer es war, aus der Überfülle zu bestimmen, wem der Preis zukommen soll. Zumal das Kuratorium sich nicht anmaßt, all die ausgestellten Werke in ihrer Komplexität erfassen zu können, einfach schon deshalb, weil sich der jeweilige Background oft als eine nur schwer zu erschließende terra incognita erwies. Ich freue mich daher sehr, dass mit Ann Mbuti, Kunstjournalistin und Autorin eines vielgelobten Buches über „Black Artists now“, eine Laudatorin gewonnen wurde, die sich dezidiert mit der Wahrnehmung Schwarzer Kunstschaffenden im aktuellen Kunstbetrieb beschäftigt. Neben afroamerikanischen Positionen stellt sie in ihrem Buch auch Künstlerinnen und Künstler aus afrikanischen Ländern vor. Sie schreibt: „Schwarz wird im Buch durchgängig großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine reine Farbbezeichnung handelt.“
Doch bevor Ann Mbuti das Wort ergreift, möchte ich mich noch beim Kulturdezernat und dem Kulturamt und seinen überaus engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken – für die kompetente und erfolgreiche Zu- und Zusammenarbeit. Was auch meinen Dank für die Kooperationsbereitschaft des documenta-teams einschließt. Und das muss ich auch noch loswerden, dass ich sehr, sehr traurig bin, dass ich von Susanne Völker als Kulturdezernentin Abschied nehmen muss. Sie hat Kassels Kultur überaus gutgetan.
Ich darf mich aber auch freuen, darf mich freuen, dass die Mitglieder vom Wajukuu Art Project den weiten Weg von Nairobi hierhergeschafft haben, und ich darf mich freuen auf das, was uns nun Ann Mbuti berichten wird.