Arnold-Bode-Preis 2022
geht an
Wajukuu Art Project

An sei­ne dunk­le Raum­in­stal­la­ti­on aus ros­ti­gen Well­blech­plat­ten in der docu­men­ta-Hal­le wer­den sich vie­le Besu­che­rin­nen und Besu­cher der docu­men­ta fif­teen noch ein­drück­lich erin­nern: Nun erhält das Kol­lek­tiv Wajukuu Art Pro­ject den mit 10.000 Euro dotier­ten renom­mier­ten Arnold-Bode-Preis 2022. Das hat der Magis­trat der Stadt Kas­sel als Vor­stand der Arnold-Bode-Stif­tung auf Vor­schlag des Kura­to­ri­ums beschlossen.

Am Diens­tag, 2. Mai 2023 wur­de dem kenia­ni­schen Künst­ler­kol­lek­tiv Wajukuu Art Pro­ject in der Brü­der­kir­che Kas­sel der Arnold-Bode-Preis ver­lie­hen. (v.li.) Shabu Mwan­gi, Jose­phat Kimathi Kaa­ria, Grace Wam­bui Ngom­bo, Ngu­gi Wawe­ru Wan­ji­ku und Joseph Ndun­g’u Kima­ni vom Wajukuu Art Pro­ject mit Dr. Susan­ne Völ­ker, Hei­ner Georgs­dorf und Nele Rieh­le vom Kura­to­ri­um sowie Lau­da­to­rin Ann Mbu­ti.
© Foto: Stadt Kas­sel; Foto­gra­fin: Anja Köhne

Das teil­te Kul­tur­de­zer­nen­tin Dr. Susan­ne Völ­ker mit und führ­te aus: „Die 2004 von Künst­le­rin­nen und Künst­lern initi­ier­te gemein­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on Wajukuu Art Pro­ject bie­tet in Muku­ru — einem der Slums der kenia­ni­schen Haupt­stadt Nai­ro­bi — Kin­dern und Jugend­li­chen die Mög­lich­keit, sich in einer durch Armut und Kri­mi­na­li­tät bestimm­ten Umwelt durch künst­le­ri­sche Ange­bo­te ein­zu­brin­gen, zu ent­fal­ten und als Gemein­schaft zu ent­wi­ckeln. Ich freue mich, dass wir in die­sem Jahr den renom­mier­ten Preis an Wajukuu Art Pro­ject ver­lei­hen kön­nen. Damit folgt das Kura­to­ri­um dem Leit­ge­dan­ken der docu­men­ta fif­teen, Kol­lek­ti­ve mit gemein­wohl­wirk­sa­mer künst­le­ri­scher Arbeit als eine spe­zi­fi­sche Orga­ni­sa­ti­ons- und Pro­duk­ti­ons­form herauszustellen.“

Transform yourself”

Mit sei­nem Bei­trag zur Welt­kunst­aus­stel­lung hat­te das Wajukuu Art Pro­ject den Besu­che­rin­nen und Besu­chern das pre­kä­re Umfeld aus Well­blech­hüt­ten dras­tisch vor Augen gemalt und ihren aus­ge­stell­ten Wer­ken ein stim­mi­ges Ambi­en­te gebo­ten. Bereits das Betre­ten der docu­men­ta-Hal­le durch einen dunk­len Tun­nel mit einer Klang­ku­lis­se aus Moto­ren­ge­räu­schen und Sire­nen­ge­heul ver­setz­te die Besu­che­rin­nen und Besu­cher in die Lebens­wirk­lich­keit des Kol­lek­tivs. In den im Aus­stel­lungs­raum gezeig­ten Bil­dern und Skulp­tu­ren gin­gen für den Muku­ru-Slum typi­sche Mate­ria­li­en und zeit­ge­nös­si­sche Form­spra­che eine aktu­el­le Sym­bio­se ein; bei­spiels­wei­se in einer auf­fal­len­den Rea­dy­ma­de-Skulp­tur auf Basis abge­nutz­ter Mes­ser, die glei­cher­ma­ßen bedroh­lich wie beein­dru­ckend wirk­te.
 
Eine Film­do­ku­men­ta­ti­on macht deut­lich, dass Wajukuu Art Pro­ject künst­le­ri­sche Pra­xis trotz des sozia­len Enga­ge­ments nicht als sozi­al­päd­ago­gisch ver­steht, son­dern künst­le­risch ambi­tio­nier­te Maß­stä­be setzt. Doch ist die Devi­se: trans­form yours­elf into what you want to be – not neces­s­a­ri­ly an artist. Ein über­ge­ord­ne­tes Ziel der Gesamt­in­stal­la­ti­on von Wajukuu Art Pro­ject war es, mit den Besu­che­rin­nen und Besu­chern der docu­men­ta fif­teen in Dia­log zu tre­ten und einen Rah­men für Aus­tausch zu bie­ten. 
 
Aus der Teil­nah­me an der docu­men­ta fif­teen möch­te Wajukuu Art Pro­ject das Nach­hal­tig­keits­pro­jekt „Kil­ling Fear of the Unknown“ ablei­ten und in Muku­ru einen dau­er­haf­ten und kol­lek­tiv­ba­sier­ten Pro­jekt­raum schaf­fen, deren Mit­glie­der finan­zi­ell geför­dert wer­den kön­nen und in dem jun­gen Teil­neh­men­den in Holz­werk­stät­ten Fer­tig­kei­ten und Kennt­nis­se ver­mit­telt wer­den. Das Preis­geld wird zu glei­chen Tei­len von der Kas­se­ler Spar­kas­se und der Spar­kas­sen-Kul­tur­stif­tung Hes­sen-Thü­rin­gen finan­ziert. Die Preis­ver­lei­hung ist für Anfang 2023 geplant.

Benannt nach dem “Vater der documenta”

Der mit 10.000 Euro dotier­te Preis wird für Leis­tun­gen im Bereich Kunst der Gegen­wart ver­ge­ben. Benannt ist die Aus­zeich­nung nach Arnold Bode, dem Grün­der der Welt­kunst­aus­stel­lung docu­men­ta. Eine Samm­lung von Kunst­wer­ken, die docu­men­ta-Künst­ler dem “Vater der docu­men­ta” 1975 zum 75. Geburts­tag schenk­ten, bil­det das Grund­ka­pi­tal der Arnold-Bode-Stif­tung. Sie wur­de 1978, ein Jahr nach Bodes Tod, von der Stadt Kas­sel ins Leben geru­fen. Der Zweck der Stif­tung liegt in der För­de­rung von Kunst und Kul­tur, ins­be­son­de­re durch Ver­ga­be des Arnold-Bode-Prei­ses.
 
Der Preis wird seit 1980, zunächst jähr­lich, nach 1987 alle zwei Jah­re, aber obli­ga­to­risch in einem docu­men­ta-Jahr an Künst­le­rin­nen und Künst­ler in Aner­ken­nung ihrer her­aus­ra­gen­den Leis­tun­gen für die Kunst der Gegen­wart ver­lie­hen. Eine docu­men­ta-Teil­nah­me ist nicht Vor­aus­set­zung, docu­men­ta-Niveau aber Maß­stab der Entscheidung.

Das Kuratorium der Arnold-Bode-Stiftung

Dem Kura­to­ri­um gehö­ren ent­spre­chend der Stif­tungs­ver­fas­sung ein Mit­glied der Fami­lie Bode, ein Finanz­sach­ver­stän­di­ger sowie drei Kunst­sach­ver­stän­di­ge an. Die Mit­glie­der sind jeweils für fünf Jah­re im Amt. Es sind dies der­zeit Ingo Buch­holz, Prof. Hei­ner Georgs­dorf (Vor­sit­zen­der), E.R. Nele, ruan­grupa, Prof. Dr. Julia Voss. Das Kura­to­ri­um tagt gemein­sam mit Kul­tur­de­zer­nen­tin Dr. Susan­ne Völ­ker, die den Stif­tungs­vor­stand vertritt.

[ Quel­le: Pres­se­ser­vice der Stadt Kassel]

Preis, Stiftung, Kuratorium

Der Arnold-Bode-Preis der documenta-Stadt Kas­sel wird seit 1980 an Künst­le­rin­nen und Künst­ler in Aner­ken­nung ihrer her­aus­ra­gen­den Leis­tun­gen für die Kunst der Gegen­wart ver­lie­hen. Der mit 10.000 Euro dotier­te Preis ist nach dem documenta-Gründer Arnold Bode benannt und wur­de von 1980 bis 1988 jähr­lich, seit­dem meist zwei­jäh­rig, aber obli­ga­to­risch in einem documenta-Jahr, ver­lie­hen. Eine documenta-Teilnahme ist dafür nicht die Vor­aus­set­zung, documenta-Niveau aber Maß­stab der Ent­schei­dung. Die Ver­lei­hung fin­det in der Regel in den Räum­lich­kei­ten des Kas­se­ler Kunst­ver­eins in Zusam­men­hang mit einer Aus­stel­lung der jewei­li­gen Preis­trä­ger statt.
Die Arnold-Bode-Stiftung wur­de 1978 von der Stadt Kas­sel ins Leben geru­fen. Das Grund­ka­pi­tal der Arnold-Bode-Stiftung ent­stammt Kunst­wer­ken, die Arnold Bode von documenta-Künstlern anläss­lich sei­nes 75. Geburts­ta­ges im Jahr 1975 geschenkt wur­den. Der Zweck der Stif­tung liegt in der För­de­rung von Kunst und Kul­tur, ins­be­son­de­re durch Ver­ga­be des Arnold-Bode-Preises. 
Dem Kura­to­ri­um gehö­ren ent­spre­chend der Stif­tungs­ver­fas­sung ein Mit­glied der Fami­lie Bode, ein Finanz­sach­ver­stän­di­ger sowie drei Kunst­sach­ver­stän­di­ge an. Die Mit­glie­der sind jeweils für fünf Jah­re im Amt. Es sind dies der­zeit Ingo Buch­holz, Prof. Hei­ner Georgs­dorf (Vor­sit­zen­der), E.R. Nele, ruan­grupa, Prof. Dr. Julia Voss. Das Kura­to­ri­um tagt gemein­sam mit Kul­tur­de­zer­nen­tin Dr. Susan­ne Völ­ker, die den Stif­tungs­vor­stand vertritt.

Poet­ry Art und Civic in Kuba. Das Foto ent­stand wäh­rend eines Work­shops mit dem Schrift­stel­ler Rafa­el Alm­an­za im April 2018
Foto: Cour­te­sy Wajukuu Art Pro­ject
Wajukuu Art Pro­ject, von links: Laza­rus Tum­bu­ti, Ngu­gi Wawe­ru, Kimathi Kaa­ria, Shabu Mwan­gi, Sam­mi Mut­in­da, Stan­ley Githin­ji, Vic­tor Che­ge, Fres­hia Nje­ri, Ndun­gu Kimani

BODEPREIS 2022 – WAJUKUU-PROJECT
Rede Heiner Georgsdorf oF

Auch ich begrü­ße herz­lich unse­re Gäs­te aus Kenia, die dort in einem Slum der Haupt­stadt Nai­ro­bi mit ihrem Wajukuu-Pro­ject auf über­aus beein­dru­cken­de Wei­se Kunst und Gemein­sinn zu einer pro­duk­ti­ven Ein­heit ver­schmol­zen haben, ohne dass weder das eine noch das ande­re zurück­ste­hen muss. Eine Erfolgs­ge­schich­te, die sich auf der docu­men­ta fif­teen im spek­ta­ku­lä­ren Umbau der docu­men­ta-Hal­le aus­drucks­stark und nach­hal­tig ver­mit­tel­te.

Die ers­te docu­men­ta nann­te sich inter­na­tio­na­le Aus­stel­lung. Sie zeig­te Arbei­ten von Künst­lern aus 6 Län­dern. Kenia war nicht dabei. Schon des­halb nicht, weil es Kenia als unab­hän­gi­gen Staat noch gar nicht gab.
Die docu­men­ta ist kei­ne Olym­pia­de und der Arnold-Preis-Preis kei­ne Medail­le.
Mir geht es hier nicht um Wett­be­werb und Ran­king, nicht um Natio­nen­wer­tung. Aber weil der Arnold-Bode-Preis nach Romou­ald Hazo­umè nun bereits zum zwei­ten Mal nach Afri­ka geht, dies­mal an ein Kol­lek­tiv von Kunst­schaf­fen­den aus Kenia, schien es mir nahe­lie­gend, der Fra­ge nach­zu­ge­hen, was der Namens­ge­ber des Prei­ses, Arnold Bode, mit Kunst aus Afri­ka zu tun hat?

Obwohl und eben gera­de des­halb, weil die Tat­sa­che, dass afri­ka­ni­sche Kunst­schaf­fen­de auf der docu­men­ta aus­stel­len, wohl kaum noch frag­wür­dig ist. Viel­leicht ist es aber, nicht zuletzt für Jün­ge­re, doch inter­es­sant auf­zu­zei­gen, welch ein lan­ger Weg es war ­– eine Zeit­rei­se, die sich auch auf mei­ne Rede­zeit aus­wirkt –, dass Kunst aus Afri­ka auf der docu­men­ta prä­sent ist, nein, ich muss es prä­zi­sie­ren, dass zeit­ge­nös­si­sche Kunst­schaf­fen­de aus Afri­ka auf einer docu­men­ta ver­tre­ten sind. Wie lan­ge es brauch­te, erst für die tra­di­tio­nel­le und erst recht für die zeit­ge­nös­si­sche Kunst aus Afri­ka in einer von west­li­cher Domi­nanz, von wei­ßer Vor­herr­schaft bestimm­ten inter­na­tio­na­len Kunst­welt wahr­ge­nom­men und aner­kannt zu wer­den.

Gleich nach Kriegs­en­de, 1946, träum­te Arnold Bode von einer „gro­ßen inter­na­tio­na­len Kunst­aus­stel­lung“. 1955 ging sein Traum in Erfül­lung: mit der ers­ten docu­men­ta. Er nann­te sie zwar nicht mehr groß, aber immer noch stolz „Inter­na­tio­na­le Aus­stel­lung“. Man sah Kunst­wer­ke von 148 Künst­lern – ach ja, Künst­le­rin­nen waren auch dabei – gan­ze 6 waren es, wenn ich rich­tig gezählt habe.

Die­se 6 Künst­le­rin­nen und 142 Künst­ler waren aus 6 Län­dern – ich sag­te es schon – und auch, dass Kenia nicht dabei war. Aber auch kein ande­res Land aus Afri­ka. Auch kein Land aus Asi­en, Aus­tra­li­en, Nord- oder Süd-Ame­ri­ka – nur New York war ver­tre­ten durch Alex­an­der Cal­der. Lyo­nel Fei­nin­ger, auch er ein New Yor­ker, wur­de im Kata­log unter Deutsch­land verbucht.

Gleich­wohl konn­te ich wie jeder ande­re Besu­cher doch schon auf die­ser ers­ten docu­men­ta Kunst aus Afri­ka sehen – und aus der gan­zen Welt. Auf Fotos im Ein­gangs­be­reich. Dort, im fei­er­li­chen schwar­zen Ves­ti­bül, hat­te Bode decken­ho­he Schau­ta­feln auf­ge­stellt, mit locker neben- und über­ein­an­der auf­ge­reih­ten Schwarz­weiß­fo­to­gra­fien, unter­bro­chen von Farb­ta­feln. Fotos von Kunst­wer­ken waren das, sie zeig­ten meist Men­schen­bil­der – Men­schen­bil­der aus allen Zei­ten und Zonen. Dar­un­ter allein zehn Fotos mit Kunst aus Afri­ka. Ein glo­ba­les Pan­ora­ma war das – ein visu­el­les Mani­fest, das eine Fra­ter­ni­té der Kunst beschwor; ein uni­ver­sa­les Kunst­ver­ständ­nis, ein Kunst-ein-ver­ständ­nis, das kei­nen qua­li­ta­ti­ven Unter­schied mach­te zwi­schen der soge­nann­ten Hoch­kunst und Kunst der „Pri­mi­ti­ven“, ein Begriff, der in den fünf­zi­ger Jah­ren noch gang und gäbe und auch so gemein gemeint war. Die­se Foto­aus­wahl haben nach­ge­bo­re­ne docu­men­ta-Kri­ti­ker spä­ter mit Häme über­gos­sen, wie auch den Anspruch auf Inter­na­tio­na­li­tät ­– die orga­ni­sa­to­risch und poli­tisch äußerst schwie­ri­gen Bedin­gun­gen der Nach­kriegs­zeit außer Acht las­send. Man sprach von kolo­nia­lis­ti­scher Über­grif­fig­keit, von unein­ver­nehm­li­cher Ein­ver­nah­me et cete­ra. Sei‘s drum. Mich zumin­dest, den damals Sech­zehn­jäh­ri­gen, hat die­se huma­nis­ti­sche Ges­te sehr beein­druckt – zutiefst­be­ein­druckt (um ein Lieb­lings­wort Arnold Bodes zu gebrau­chen), und sie hat mein offe­nes Kunst­ver­ständ­nis nach­hal­tig geprägt. Ich habe die­se schwarz-weiß-bun­te Iko­no­sta­se als eine kol­le­gia­le Ges­te des Künst­lers Arnold Bode ver­stan­den, als Zei­chen des gro­ßen Respekts vor der Éga­li­té der Küns­te, vor der welt­um­span­nen­den Com­mu­ni­ty der Kunst­schaf­fen­den – und als Desi­de­rat: als Auf­trag an die docu­men­ta, den selbst­ge­setz­ten Anspruch auf Inter­na­tio­na­li­tät zu erfüllen.

Acht Jah­re spä­ter, 1963, konn­te sich Bode, in des­sen Woh­nung afri­ka­ni­sche Skulp­tu­ren nicht als Tro­phä­en aus­ge­fal­le­nen Geschmacks, son­dern als visu­el­le Gebrauchs­ge­gen­stän­de her­um­stan­den, in beson­de­rem Maße sei­ner Begeis­te­rung für Kunst aus Afri­ka hin­ge­ben und in Ber­lin eine Aus­stel­lung mit Afri­ka­ni­scher Plas­tik insze­nie­ren, die aller­dings ter­min­lich und inhalt­lich mit einer Aus­stel­lung im Völ­ker­kun­de­mu­se­um kol­li­dier­te. Bodes Aus­stel­lung hat­te den Titel „Afri­ka – 100 Stäm­me – 100 Meis­ter­wer­ke“. Das The­ma der Eth­no­lo­gen aber war „Der Ein­fluss der pri­mi­ti­ven Kunst auf die Kunst des 20. Jahr­hun­derts“.

Bode war empört, „dass [so] Kunst­wer­ke von höchs­tem Rang, […] die wir durch­aus auf einer Stu­fe mit der frü­hen grie­chi­schen Plas­tik und mit ägyp­ti­schen Skulp­tu­ren sehen, zu »pri­mi­ti­ven« Exo­ti­ka abge­wer­tet [wer­den], auf die anschei­nend auch die Eth­no­lo­gen mit dem Hoch­mut des Euro­pä­ers her­ab­se­hen zu kön­nen glau­ben.“

Bode hin­ge­gen kam es in sei­ner Aus­stel­lung dar­auf an, mit „Spit­zen­wer­ken“ „[Afri­ka] als selbst­stän­di­gen gro­ßen Kul­tur­raum gleich­be­rech­tigt neben die Mani­fes­ta­tio­nen euro­päi­scher Kunst zu stel­len und die alte Vor­stel­lung aus­zu­räu­men, es hand­le sich hier um ‚pri­mi­ti­ve Kunst‘.“

Ein biss­chen von Bodes Insze­nie­rungs­kunst hät­te ich mir übri­gens bei mei­nem Besuch neu­lich im Ber­li­ner Kul­tur­fo­rum im wie­der auf­ge­bau­ten Schloss gewünscht. Dort wer­den „Spit­zen­wer­ke“ afri­ka­ni­scher Kunst in Vitri­nen etwas sehr drö­ge hin­ge­stellt oder hin­ge­legt – wie in einer Asser­va­ten­kam­mer die Beweis­mit­tel kri­mi­nel­ler Ver­ge­hen. Aber in gewis­ser Wei­se trifft das ja auch zu.

Las­sen Sie mich noch zum Schluss ein drit­tes Datum erwäh­nen:

1976 soll­te die docu­men­ta nach dem Ende der Aus­stel­lung in Kas­sel ein wei­te­res Mal in Phil­adel­phia gezeigt wer­den, und zwar in vol­lem Umfang. Aus Anlass der Zwei­hun­dert­jahr­fei­er der Ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on. In einem Kon­zept­pa­pier, das Bode in die­sem Zusam­men­hang ver­fass­te, denkt er aber schon weit über die­se atlan­ti­sche Distanz hin­aus. In die Zukunft schau­end, schwelgt er in glo­ba­len Dimen­sio­nen:

„Wei­ter pla­nen
dass nicht die Ach­se
Kas­sel, Deutsch­land, Euro­pa > Ame­ri­ka
bleibt für immer

nächs­te Ach­se 1980
Kas­sel – Tokio – Peking

nächs­te Ach­se 1984
Kas­sel – Süd­ame­ri­ka Afri­ka Indo­ne­si­en usw.

um aus der poli­ti­schen Ver­an­ke­rung her­aus­zu­kom­men“

Wer Bode kennt, weiß, dass hier kein hege­mo­nis­ti­sches Wunsch­den­ken, kein usur­pa­to­ri­scher Über­mut sich Aus­druck ver­schafft, son­dern Wiss­be­gier­de und Lust auf das „Gro­ße Gespräch“.

Für die dama­li­ge Zeit war das ein so küh­nes wie opti­mis­ti­sches Wunsch­den­ken! Eine visio­nä­re Hori­zon­tüber­schrei­tung – wofür die docu­men­ta selbst dann doch etwas län­ger brau­chen soll­te.

Denn noch ein Jan Hoet konn­te Anfang der 90er Jah­re von Recher­che-Rei­sen zurück­kom­men und behaup­ten, er habe in Afri­ka und anders­wo kei­ne docu­men­ta-adäqua­te Kunst ent­de­cken kön­nen. Es war die Zeit, wo ein Kas­se­ler Kunst­pro­fes­sor noch allen Erns­tes behaup­ten konn­te, Frau­en sei­en nicht zu gro­ßer Kunst befä­higt. Erst mit Okwui Enwe­zor, einem in New York leben­den Nige­ria­ner, durch sei­ne Bien­na­le in Dakar auch als Ken­ner der afri­ka­ni­schen Kunst­sze­ne aus­ge­wie­sen, wur­de die docu­men­ta zur Welt­aus­stel­lung. Sein Nach­fol­ger Roger Bür­gel lenk­te mit dem Leit­be­griff „Migra­ti­on der For­men“ unse­ren Blick auf einen schon seit Vor­zei­ten prak­ti­zier­ten inter­kon­ti­nen­ta­len Kunst­aus­tausch, und Caro­lyn Chris­tov-Bak­ar­giev mach­te sogar Tie­re zu docu­men­ta-Teil­neh­mern. Mit Athen wies dann Adam Szymc­zyk der docu­men­ta den Weg in Rich­tung Süden, den Ruan­grupa zum „glo­ba­len Süden“ aus­dehn­ten. Mit Ruan­grupa ist die docu­men­ta nun auch orga­ni­sa­to­risch glo­bal gewor­den. Sie öff­ne­ten wie selbst­ver­ständ­lich, wenn auch nicht pro­blem­los und kon­flikt­frei, einen bar­rie­re­frei­en und inklu­si­ven Zugang nicht nur für Kunst­schaf­fen­de aus aller Welt, son­dern auch für das Publi­kum durch einen weit gefass­ten Kunst­be­griff, getreu der Devi­se: „Make fri­ends, not art“. Eine Alter­na­ti­ve übri­gens, der Bode nie zuge­stimmt hät­te. Er konn­te bei­des wun­der­bar in Ein­klang brin­gen.

Sie, mei­ne Damen und Her­ren, die wohl alle die docu­men­ta fif­teen besucht haben, kön­nen sich vor­stel­len, wie schwer es war, aus der Über­fül­le zu bestim­men, wem der Preis zukom­men soll. Zumal das Kura­to­ri­um sich nicht anmaßt, all die aus­ge­stell­ten Wer­ke in ihrer Kom­ple­xi­tät erfas­sen zu kön­nen, ein­fach schon des­halb, weil sich der jewei­li­ge Back­ground oft als eine nur schwer zu erschlie­ßen­de ter­ra inco­gni­ta erwies. Ich freue mich daher sehr, dass mit Ann Mbu­ti, Kunst­jour­na­lis­tin und Autorin eines viel­ge­lob­ten Buches über „Black Artists now“, eine Lau­da­to­rin gewon­nen wur­de, die sich dezi­diert mit der Wahr­neh­mung Schwar­zer Kunst­schaf­fen­den im aktu­el­len Kunst­be­trieb beschäf­tigt. Neben afro­ame­ri­ka­ni­schen Posi­tio­nen stellt sie in ihrem Buch auch Künst­le­rin­nen und Künst­ler aus afri­ka­ni­schen Län­dern vor. Sie schreibt: „Schwarz wird im Buch durch­gän­gig groß­ge­schrie­ben, um zu ver­deut­li­chen, dass es sich nicht um eine rei­ne Farb­be­zeich­nung han­delt.“

Doch bevor Ann Mbu­ti das Wort ergreift, möch­te ich mich noch beim Kul­tur­de­zer­nat und dem Kul­tur­amt und sei­nen über­aus enga­gier­ten Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern bedan­ken – für die kom­pe­ten­te und erfolg­rei­che Zu- und Zusam­men­ar­beit. Was auch mei­nen Dank für die Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft des docu­men­ta-teams ein­schließt. Und das muss ich auch noch los­wer­den, dass ich sehr, sehr trau­rig bin, dass ich von Susan­ne Völ­ker als Kul­tur­de­zer­nen­tin Abschied neh­men muss. Sie hat Kas­sels Kul­tur über­aus gut­ge­tan.

Ich darf mich aber auch freu­en, darf mich freu­en, dass die Mit­glie­der vom Wajukuu Art Pro­ject den wei­ten Weg von Nai­ro­bi hier­her­ge­schafft haben, und ich darf mich freu­en auf das, was uns nun Ann Mbu­ti berich­ten wird.

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