Aliaa Aboukhaddour

Geschichten ohne Worte

Zur Per­son: Ali­aa Abouk­had­dour ist eine syrisch-deut­sche Künst­le­rin und Kunst­his­to­ri­ke­rin, die 1978 in Damas­kus gebo­ren wur­de. Sie stu­dier­te an der Fakul­tät für Bil­den­de Küns­te in Damas­kus und war Dok­to­ran­din der Kunst­ge­schich­te an der Carl von Ossietz­ky Uni­ver­si­tät Olden­burg, Deutsch­land. Sie illus­triert Arti­kel in ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten, zum Bei­spiel der Süd­deut­schen, arbei­tet eng mit der Grimm­welt zusam­men und ist auch als Kunst­wis­sen­schaft­le­rin im Sobat-Sobat-Team der docu­men­ta fif­teen unter­wegs.

Ich tref­fe Ali­aa Abouk­had­dour in der Grimm­welt am Wein­berg. Die Aus­sicht über die Süd­stadt genie­ßend reden wir über ein ver­lo­re­nes Land, Geschich­ten ohne Wor­te und war­um Kunst die Welt ein Stück weit bes­ser macht:

Per­so­nal Pro­ject Bode, Digi­ta­le Zeich­nung, 2020

Hal­lo Aliaa,

Du kommst aus einem intel­lek­tu­el­len Haus­halt. In einem Inter­view mit KUNST und kavi­ar erwähn­test du, dass man bei euch zu Hau­se das Gefühl hat­te, in einer Biblio­thek zu leben. Du sel­ber hast Kunst mit dem Schwer­punkt Innen­ar­chi­tek­tur stu­diert und hast dann an der Uni­ver­si­tät unter­rich­tet. Wie schwer war es, als Frau in Syri­en die­sen Weg zu gehen?

 

Ali­aa: In der Zeit, in der ich auf­ge­wach­sen bin, war es über­haupt nicht schwer, im Gegen­teil: Es war gewünscht, dass Frau­en eine gute Aus­bil­dung bekom­men. Das Land hat sich geän­dert nach der Macht­über­nah­me durch Assad. Spä­tes­tens mit dem Beginn des Bür­ger­kriegs ist das Syri­en, wie ich es kann­te, erloschen.

____

Du bist 2005 nach Deutsch­land gekom­men. Damals warst du 26 Jah­re alt. Wie schwer war der Anfang für dich?

Ali­aa: Ich habe durch sehr gute Noten, nach­dem ich 2001 mein Stu­di­um abge­schlos­sen habe, ein Sti­pen­di­um bekom­men, um im Aus­land zu stu­die­ren. Nach vie­len Emails mit mei­nem spä­te­ren Dok­tor­va­ter bin ich dann in Olden­burg gelan­det. Da ich im Rah­men des Sti­pen­di­ums bereits einen inten­si­ven deut­schen Sprach­kurs in Syri­en gemacht habe und ich auch finan­ziert war, hat­te ich einen guten Start. Ich woll­te den aka­de­mi­scher Weg gehen und mich mit Theo­rie und Geschich­te beschäf­ti­gen. Dann starb mein Dok­tor­va­ter, ich hat­te mitt­ler­wei­le eine eige­ne Fami­lie. Mit der bin ich dann gemein­sam nach Kas­sel gegangen.

____

Edi­to­ri­al illus­tra­ti­on, Biber Maga­zin, Wien 2021

Edi­to­ri­al illus­tra­ti­on, Qamar Maga­zin, Wien 2021

Hältst du es für mög­lich, irgend­wann wie­der nach Syri­en zurück zu keh­ren und dort ein Leben als Künst­le­rin zu leben.

Ali­aa: In die­ses Syri­en? Syri­en, wie ich es im Kopf habe, exis­tiert nicht mehr. Es ist geo­gra­phisch natür­lich an dem sel­ben Punkt, aber alles ande­re hat nichts mehr mit mei­nem Hei­mat­land zu tun. Alle Freun­de sind in der gan­zen Welt verstreut.

____

Kom­men wir mal zu dei­ner Inten­ti­on, Kunst zu machen. Ein­fa­cher gesagt, kannst du den roten Faden beschrei­ben, der dich und dein Schaf­fen antreibt? War­um ist der Schwer­punkt bei der Illustration?

Ali­aa: Es war kei­ne bewuss­te Ent­schei­dung. Nach dem Auf­ge­ben des aka­de­mi­schen Plans habe ich ange­fan­gen zu zeich­nen. Das war ein Weg für mich, die­ses Schei­tern zu ver­ar­bei­ten und zu the­ra­pie­ren. Es war wie eine Heil­me­tho­de, denn ich hat­te den Plan, eine erfolg­rei­che Kar­rie­re zu haben und nun ein Gefühl des Schei­terns.
Mei­ne Lieb­lings­tech­nik ist das Zeich­nen mit dem Blei­stift. Die­se Her­an­ge­hens­wei­se ist mir seit der Kind­heit ver­traut. Mein Vater, der Schrift­stel­ler, besaß vie­le Bücher. Bil­der zusam­men mit Tex­ten haben mich von klein auf fas­zi­niert. Es gab Kunst­aus­stel­lun­gen und Muse­en in Syri­en, die ich als Kind kann­te und seit mei­nem Stu­di­um inten­siv besuch­te. Es gab aber kei­nen Raum für Kri­tik am syri­schen Sys­tem. Das kann­te ich eher aus den Büchern: Ein Bild oder eine Illus­tra­ti­on, die pro­vo­kan­ter waren, stand für mich mehr im Zusam­men­hang mit einem Text. Kunst hat­te immer auch was mit einer Geschich­te zu tun, das Nar­ra­ti­ve hat in Syri­en einen hohen Stel­len­wert. In vie­len gesell­schaft­li­chen Situa­tio­nen in Syri­en wer­den mit einer sehr bild­haf­ten Spra­che die Din­ge beschrie­ben. Vie­le dort kön­nen ein­fach wun­der­bar erzählen.

____

Bird peo­p­le“, Blei­stift und Farb­stift auf Papier, 2020

Mir­rored“, Blei­stift auf Papier, 2019

Labe­led soul“, Blei­stift auf Papier, 2020

Bei dir gibt es aber vie­le Bil­der, die nur für sich stehen.

Ali­aa: In mei­nen Bil­dern und Illus­tra­tio­nen gibt es oft unge­schrie­be­nen Text. Fast immer erzäh­le ich Geschich­ten ohne Worte.

____

Vie­le Moti­ve in dei­nen Bil­dern und Illus­tra­tio­nen beschäf­ti­gen sich mit Mär­chen und ihren Moti­ven. Die Koope­ra­ti­on mit der Grimm­welt erscheint da logisch. Hast du die Geschich­ten bereits in Syri­en ken­nen­ge­lernt? Kam die Affi­ni­tät zu Mär­chen durch Kas­sel und dei­nem Enga­ge­ment in der Grimmwelt?

Ali­aa: Die Mär­chen habe ich bereits als Kind, auch über die Dis­ney-Ver­fil­mun­gen, ken­nen­ge­lernt. Außer­dem gibt es eine im Ara­bi­schen sehr bekann­te Buch­rei­he, die „Grü­ne Biblio­thek“ aus dem Liba­non; dort wur­den bereits in den 50er Jah­ren die Mär­chen ori­gi­nal­ge­treu über­setzt.
Als ich anfing zu zeich­nen, zeich­ne­te ich eher nach­denk­li­che, teils sogar düs­te­re Bil­der. Der lei­der bereits ver­stor­be­ne Foto­graf Gerd Haus­mann hat­te mit ver­schie­de­nen Künst­le­rin­nen und Künst­lern, auch mit mir, Inter­views gemacht und das Gan­ze mit Bil­dern auf Face­book gepos­tet. Dort wur­de Julia Ron­ge von der Grimm­welt auf mich auf­merk­sam und nahm mit mir Kon­takt auf. Unser ers­tes Pro­jekt star­te­te dann 2017. Seit­dem habe ich das The­ma Mär­chen inten­si­viert. Dazu kam, dass ich eine gro­ße Frei­heit hat­te und mir nie­mand auf die Fin­ger schau­te. Ein paar Anmer­kun­gen hier und da, ansons­ten konn­te ich mich aus­le­ben. Kein Micro­ma­nage­ment in so einer Insti­tu­ti­on war für mich eine gro­ße Über­ra­schung. 20 Bil­der von mir hat das Muse­um bereits für ihre Samm­lung gekauft; das macht mich sehr stolz.

____

In Deutsch­land wird ja gera­de im krea­ti­ven Bereich ger­ne in Schub­la­den gedacht, es gibt etwa ernst oder unter­hal­tend. Kannst du mit die­sen Kate­go­rien etwas anfan­gen und wo siehst du dei­ne Arbei­ten, die auf den ers­ten Blick ver­spielt sind und schön daher kommen?

Ali­aa: Für mich ist das ästhe­tisch Schö­ne schon sehr wich­tig. In Syri­en habe ich das klas­si­sche Malen mit vie­len Details gelernt und ich möch­te auch Hand­werk zei­gen!
Trotz­dem gibt es auch tie­fe­re Schich­ten in vie­len Bil­dern zu ent­de­cken: Träu­me­ri­sche und bis­wei­len auch sur­rea­lis­ti­sche Wel­ten öff­nen sich dem Betrach­ter. Man muss auch unter­schei­den zwi­schen per­sön­li­chen Pro­jek­ten oder Auf­trags­ar­bei­ten. Natür­lich steckt mehr Tie­fe und auch mehr von mir in den Bil­dern, die ich zum Bei­spiel im Kunst­bal­kon zeige.

____

Per­so­nal Pro­ject Beuys“, digi­ta­le Zeich­nung, 2020

Schön, dass du es bereits ansprichst: Du bist in der Pro­du­zen­ten­ga­le­rie „Kunst­bal­kon“ unter­ge­kom­men. Im Moment arbei­ten elf Künst­le­rin­nen und Künst­ler aktiv mit. Wie bist du an den Kunst­bal­kon gera­ten und wie sieht kon­kret die Koope­ra­ti­on unter­ein­an­der oder auch mit ande­ren Künst­le­rin­nen und Künst­lern aus?

Ali­aa: Ich kann­te schon eini­ge der Men­schen dort pri­vat, unse­re Kin­der spie­len zusam­men. Irgend­wann wur­de ich ein­fach ein­ge­la­den. Außer­dem ist Chris­tia­ne Hama­cher schon län­ger mei­ne Kunst­part­ne­rin, wir stel­len oft zusam­men aus, unter ande­rem auf der letz­ten Kunst­mes­se in der docu­men­ta-Hal­le. Aller­dings konn­te ich wegen mei­ner ande­ren Pro­jek­te bis­lang noch nicht viel Akti­ves bei­tra­gen, wes­halb ich auch ein sehr schlech­tes Gewis­sen habe. Alle Betei­lig­ten akzep­tie­ren das aber und sind sehr groß­zü­gig zu mir!

____

Wir sind im docu­men­ta-Jahr und man erwar­tet eine diver­se und par­ti­zi­pa­ti­ve Welt­aus­stel­lung mit dem Schwer­punkt Nach­hal­tig­keit und Mit­ein­an­der. Was erwar­test du für dich per­sön­lich als Künst­le­rin von der docu­men­ta und wird es beson­de­re Aktio­nen von dir geben?

Ali­aa: Ich bin ja auch im Sobat Sobat eine der Kunst­ver­mitt­le­rin­nen der docu­men­ta. Ich erwar­te immer von der Welt­aus­stel­lung, dass sie Inter­na­tio­na­li­tät und Diver­si­tät nach Kas­sel bringt. Als Künst­le­rin las­se ich mich über­ra­schen, sehe vie­le Din­ge aber gera­de auch in mei­nen Füh­run­gen aus der Sicht der Kunst­his­to­ri­ke­rin oder ‑päd­ago­gin. Ich mache vor­her rich­tig, rich­tig Recher­che, um mich mit der Theo­rie inten­siv aus­ein­an­der zu set­zen, als Kunst­wis­sen­schaft­le­rin und weni­ger als Künst­le­rin. Ich habe kei­ne Erwar­tung, irgend­wann docu­men­ta-Künst­le­rin zu sein. Wenn es pas­siert, pas­siert es, wer weiß?

____

Es war ein­mal“, GRIMMWELT, Bunt­stift und Mar­ker auf Papier, 2019

Bit­te ver­voll­stän­di­ge noch fol­gen­den Satz: „Ich lebe für die Kunst, weil…

Ali­aa: …sie die Welt bes­ser macht.
Ich bin der Über­zeu­gung, Künstler:innen kön­nen die Welt ändern, auch wenn das etwas roman­tisch klingt.

____

[ Das Inter­view führ­te Ger­rit Bräu­ti­gamm | Redaktion ]