FOTOGRAF

Jens Kohlen

Man muss nicht gera­de ein Pro­phet sein, um vor­aus­zu­sa­gen, dass er vor sei­nem coming out steht. Für vie­le noch ein Geheim­tipp, könn­te Jens Koh­len ali­as BRAIN CHURCH schon bald zu einem der inter­na­tio­nal bes­ten Foto­gra­fen avan­cie­ren. Sei­ne Arbei­ten sind in Los Ange­les und New York bereits bekann­ter als in Kas­sel. Auf dem Kunst­por­tal von Saat­chi ver­kauft er sei­ne Arbei­ten an inter­na­tio­na­le Stars aus Hol­ly­wood und New York, wie Lana del Rey, Ali­cia Keys und Kris­tin Dattilo…

Jens Kohlen

Der Kas­se­ler Mode­ex­per­te Jens Koh­len, in Kas­sel 1966 gebo­ren, arbei­te­te vie­le Jah­re in der Mode­bran­che mit sei­ner eige­nen Agen­tur und sei­nem Online-Mode­ge­schäft, ver­kauf­te hip­pe Kla­mot­ten in sei­ner „chot­ton­church“, klei­de­te über Jah­re hin­weg mode­be­wuss­te Men­schen in Deutsch­land und orga­ni­sier­te Mode Events und Model-Sha­ring-Par­ties. Außer­dem ver­öf­fent­lich­te er das Buch „Air be and be“ mit Kurz­ge­schich­ten über pri­va­te Woh­nungs­ver­mie­tun­gen wäh­rend der docu­men­ta 14 in Kas­sel, wenn Men­schen aus ver­schie­de­nen Län­dern und Kul­tu­ren unse­re docu­men­ta-Stadt besu­chen, und spä­ter der bio­gra­fi­sche Roman „Hoch-Tief“ über einen Tief­punkt sei­nes Lebens, der sich spä­ter als Wen­de­punkt erwies. Ein immer noch sehr aktu­el­ler Roman in Krisenzeiten.

Nach der Geschäfts­auf­ga­be kon­zen­trier­te es sich ganz sei­ne Lei­den­schaf­ten: die Foto­gra­fie und die Malerei.Und dies mit gro­ßem Erfolg. Denn sei­ne Wer­ke sind auch bei Saats­chi Art ver­tre­ten, der welt­weit führenden Online-Kunst­ga­le­rie und zugleich Platt­form für Künstlern aus der gan­zen Welt. Sei­ne Arbei­ten ver­kauft er vor­wie­gend in den Staa­ten. Zu den Käu­fern und Samm­lern sei­ner Arbei­ten zäh­len Stars aus Hol­ly­wood und New York wie Lana del Rey, Ali­cia Keys und Kris­tin Dattilo.

Koh­lens Foto­kunst­wer­ke zeich­net ins­be­son­de­re die sub­ti­le und sen­si­ble Ero­tik aus. Sei­ne Foto­gra­fie bil­det neue ästhe­ti­sche Stan­dards abseits der klas­si­schen Nudes. Frau­en sind in sei­ner Art der Foto­gra­fie nicht nack­te Lust­ob­jek­te, son­dern wer­den mit enor­mer Wir­kung und Krea­ti­vi­tät pro­vo­ka­tiv gekonnt, wie Geschich­ten, in Sze­ne gesetzt. Er spielt ger­ne mit Licht und Schat­ten und lässt mit Empa­thie Ideen, Gefühle und Emo­tio­nen ent­ste­hen, die irgend­wie tief in unse­rer See­le aus Erfah­run­gen und Per­spek­ti­ven „wie­der­ge­bo­ren“ wer­den. Nackt­heit ist nicht nur Kör­per­lich­keit, son­dern der natürliche und unver­fälsch­te Teil der Frau­en in den Por­träts, die gleich­zei­tig stark, mutig, selbst­be­wusst, reiz­voll, sen­ti­men­tal, emp­find­lich und ver­letz­lich sind.

Die Auf­nah­men gewin­nen durch unge­wöhn­li­chen Per­spek­ti­ven und Posen, star­ke Kon­tras­te und Rela­tio­nen eine zwei­te, sehr sen­si­ble Ebe­ne im Wahr­neh­mungs­pro­zess der Bild­kom­po­si­ti­on. Was Kör­per bedeu­ten und wie die­se Bedeu­tung im und durch den Kör­per in der sozia­len Welt kon­sti­tu­iert wird, ist eine kom­pli­zier­te Fra­ge. Gefühl, Ehr­lich­keit, Magie und auch ein wenig Pro­vo­ka­ti­on: Die­se Ambi­va­lenz, die­se beson­de­re Mischung aus Inti­mi­tät und Insze­nie­rung, an der wir als Betrach­ter der Bil­der Anteil haben, sug­ge­riert, dass wir nicht nur an einer ero­ti­schen Sze­ne teil­ha­ben, son­dern an einer rea­len Situa­ti­on, zumin­dest an einem Spiel mit der Rea­li­tät, das unse­ren Vor­stel­lun­gen und Phan­ta­sien frei­en Raum lässt..

INTERVIEW

M I T  J E N S  K O H L E N
- B R A I N C H U R C H -

Für alle, die dich nicht ken­nen, wie würdest du dich, dein Leben mit der Foto­gra­fie und dei­ne Kunst beschrei­ben? Woher kommt der Künstler-Name brainchurch?

Erst mal würde ich das, was ich tue, nicht zwin­gend als Kunst beschrei­ben. Das wäre ver­mes­sen. Viel­leicht habe ich das Glück, Din­ge zu sehen oder anders zu sehen. Mein Leben dreht sich ja nun nicht aus­schließ­lich um Foto­gra­fie, auch wenn ich das ger­ne so hät­te, weil sie mich sehr erfüllt und mir eine gewis­se Struk­tur im Tages­ab­lauf bringt. Da Foto­gra­fie aber auch ein recht kost­spie­li­ges Unter­fan­gen ist, feh­len mir recht oft die finan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten, Din­ge umzu­set­zen. Alles kos­tet erst mal Geld. Models, Loca­ti­ons, Bild­pro­duk­tio­nen und Fotoausrüstungen gibt es nicht gratis. 

Ich ver­brin­ge viel Zeit damit, Models zu überzeugen, Loca­ti­ons zu fin­den oder die sozia­len Medi­en zu füttern, um Auf­merk­sam­keit zu bekom­men. Der Name brain­church ist eine Abwand­lung mei­nes Fashion Online-Stores, den ich eini­ge Zeit betrieb. Die­ser nann­te sich cot­ton­church. Dar­aus wur­de dann brain­church. Mei­ne Psy­cho­lo­gen sag­ten, ich den­ke zu viel nach. Mit dem Nach­den­ken ist das so eine Sache. Es ist wie mit Alko­hol oder Dro­gen. Man darf es nicht übertreiben.

Wann hast du ent­schie­den, dich der Foto­gra­fie zu wid­men? Wie sah dein Start als Foto­graf aus? Wann hat­test du das ers­te Mal einen Foto­ap­pa­rat in der Hand? Was waren die Stol­per­stei­ne, die du aus dem Weg räu­men muss­test, als du ange­fan­gen hast?

Schö­ne Bil­der hat­ten schon immer eine gewis­se Wir­kung auf mich. Mein Bru­der hat­te eine Schall­plat­te von den Scor­pi­ons. Das Album Love­dri­ve aus dem Jahr 1979, da war ich 13 Jah­re alt. Das fand ich magisch. Mit 16 fuhr ich in den Som­mer­fe­ri­en mit einem Monats­ti­cket der Bahn durch ganz Deutsch­land und foto­gra­fier­te Städ­te. Dann kamen die 90er und die Ära der Top­mo­dels wie Clau­dia Schif­fer, Cin­dy Craw­ford oder Nao­mi Camp­bell und Musik Acts wie Sade Adu. Von Craw­ford und Adu hat­te ich wahn­sin­nig gro­ße Bil­der in mei­nem Zim­mer hän­gen. Viel­leicht hat mich das beeinflusst. 

Erst viel spä­ter bekam ich einen ent­schei­den­den Impuls, mich der Foto­gra­fie zu wid­men. Es muss in etwa 2015 gewe­sen sein und ich arbei­te­te seit 20 Jah­ren in der Fashion Indus­trie. Mei­ne Ver­triebs­fir­ma stand damals kurz vor der Insol­venz. In mei­nem klei­nen Foto­stu­dio, wenn man das so nen­nen konn­te, foto­gra­fier­te ich eigent­lich die Tei­le für mei­nen Online-Store. Oft kam es dabei vor, dass die Models frag­ten, ob ich denn auch Akt­bil­der von ihnen machen könn­te. Nun, es gibt schlim­me­re Din­ge im Leben. Die ers­ten Bil­der waren eher so semi gut. In einem Foto­stu­dio kann man kei­ne Bil­der­ge­schich­ten erzäh­len. Irgend­wann fing ich an, Frau­en in mei­ner Woh­nung zu foto­gra­fie­ren. Die Ergeb­nis­se waren schon etwas besser. 

Dann fing ich an, mir geeig­ne­te Loca­ti­ons zu suchen. Damals konn­te man noch in der Salz­mann­fa­brik foto­gra­fie­ren. Das war eine mega Loca­ti­on. Irgend­wann mel­de­te ich mich auf einer Platt­form an, auf der man Models buchen konn­te, und buch­te damals zwei Models aus Kiev, die gra­de in Deutsch­land waren. Die Bil­der waren dann so, dass ich dach­te, sie sei­en gut. Heu­te würde ich sie als Kata­stro­phe bezeich­nen. Etwa zu die­ser Zeit besuch­te ich eine Hel­mut-New­ton-Aus­stel­lung in Ber­lin. Da bin ich dann raus und wuss­te das genau, das ist das, was ich machen möch­te. Die Insol­venz mei­ner Ver­triebs­fir­ma war im Prin­zip der Start­schuss für die Foto­gra­fie. Ich foto­gra­fie­re übrigens noch heu­te mit der schlich­ten, alten Kame­ra und drei Objektiven. 

Der größ­te Stol­per­stein, den ich aus dem Weg räu­men muss­te, war eigent­lich mei­ne Bezie­hung. Rich­tig frei in der Foto­gra­fie wur­de ich eigent­lich erst Ende des ver­gan­ge­nen Jah­res, als ich mich von mei­ner dama­li­gen Part­ne­rin trenn­te. Ich glau­be, es ist nicht ein­fach, mit jeman­den eine Bezie­hung zu führen, der recht häu­fig unbe­klei­de­te Frau­en in sei­nem Umfeld hat.

Bezahl­te Foto­jobs habe ich eigent­lich nicht. Die Frau­en, die ich foto­gra­fie­re, suche ich mir lie­ber selbst aus und bezah­le die­se auch meist für die Tätig­keit. Ich bin auch kein Foto­graf für Hoch­zei­ten oder Baby­bäu­che. Das ist auch die Art Foto­gra­fie, die ich schlicht nicht kann. Das kön­nen ande­re sehr viel bes­ser. Kürzlich mach­te ich zwar ein Pro­dukt­shoo­ting, doch das war eine gro­ße Aus­nah­me. Das würde ich auch so nicht mehr anneh­men. Dazu fehlt mir schlicht die Tech­nik und selbst wenn ich sie hät­te, könn­te ich es nicht umset­zen. Mich inter­es­siert Tech­nik schlicht nicht. Sie lenkt nur ab.

Bist du ein auto­di­dak­ti­scher Foto­graf?
Wie hast du gelernt, so groß­ar­ti­ge Auf­nah­men zu machen?

Ich habe abso­lut kei­ne Ahnung von Foto­gra­fie. Ich habe wohl ein ganz gutes Auge und das gro­ße Glück, dass das eini­ge Models ähn­lich sehen und mit mir arbei­ten wollen.

____

Wann hast du mit Akt- und Nude-Foto­gra­fie begonnen?

Im Jahr 2014.

____

Dei­ne Foto­gra­fien sind sehr intim – gewis­ser­ma­ßen ein Blick durch das „Schlüsselloch“. Zielst Du auf die­sen Aspekt. Wünschst Du Dir Erre­gung beim Betrachter?

Ich wäh­le mei­ne Models sehr bedacht aus und ver­su­che Frau­en zu fin­den, die wirk­li­che Lust haben und wo die Che­mie zwi­schen uns stimmt. Mit den meis­ten Models habe ich inzwi­schen freund­schaft­li­che Bezie­hun­gen. Die Inti­mi­tät der Auf­nah­men ent­steht eigent­lich beim Shoo­ting. Ich ver­su­che zu ver­mei­den, dass die Frau­en sich aus­ge­zo­gen fühlen, obwohl sie nackt sind. Das mer­ken die meis­ten recht schnell und mögen es. Mir geht es nicht dar­um, nack­te Frau­en zu zei­gen. Im bes­ten Fall löst ein Bild Kopf­ki­no beim Betrach­ter aus.

____

Sind es Fotos für Män­ner oder für Frauen?

Inter­es­san­ter­wei­se kau­fen mei­ne Bil­der zu 80 % weib­li­che Kun­den. Und in ers­ter Linie foto­gra­fie­re ich für mich und das Model.

____

Wie würdest du selbst dei­nen foto­gra­fi­schen Stil schil­dern?
Wie würdest Du dei­ne Bild­spra­che beschreiben?

Raw ist eine Beschrei­bung, die ich immer wie­der im Zusam­men­hang mit mei­nen Bil­dern höre. Saat­chi Art nennt es con­tem­po­ra­ry nude.

____

Wie fängst du die Essenz eines Ortes ein? Wie fin­dest du sol­che Orte?

Dafür gibt es ein aktu­el­les Bei­spiel. Ich besuch­te neu­lich die Aus­stel­lung „beweg­te Zim­mer“ im Huge­not­ten­haus in Kas­sel. Ein magi­scher Ort und eine per­fek­te Loca­ti­on für ein Akt­shoo­ting. Unfass­ba­re Licht­ver­hält­nis­se, fast lee­re Räu­me, Holz­bö­den, Leer­stand, der eigent­lich nur dar­auf war­tet, mit Leben gefüllt zu werden.

____

Woher nimmst du dei­ne Themen?

Ich würde lügen, wenn ich jetzt behaup­ten würde, dass das alles mei­ne eige­nen Kom­po­si­tio­nen sind. In der Tat ver­brin­ge ich sehr viel Zeit auf Insta­gram oder Pin­te­rest um nach Inspi­ra­ti­on zu suchen. Aber ich den­ke, das ist legi­tim. Die Mode­bran­che lebt seit Jahr­zehn­ten so. Vie­les ent­steht aller­dings auch beim Shoo­ten. Eine Grund­idee habe ich immer. Ich würde auch nie ein Free­style Shoo­ting machen. Ich habe immer ein Moodboard.

____

Du arbei­test mit spar­sa­men Attri­bu­ten, wie z. B. Blu­men, Federn, Bana­nen, Ziga­ret­ten … Gibt es dafür einen inhalt­li­chen Hin­ter­grund oder gefällt es Dir einfach?

Ohne zu übertreiben, den­ke ich, dass auf 80 % mei­ner Bil­der Ziga­ret­ten sind. Das liegt viel­leicht dar­an, dass ich selbst lei­der recht viel rau­che. Ich mag ein­fach den Anblick von rau­chen­den und trin­ken­den Frau­en. Wenn ich Federn oder Blu­men ein­set­ze, tue ich das oft, um Kör­per­be­rei­che zu ver­de­cken. Das ist ein kom­mer­zi­el­ler Hin­ter­grund. Außer­dem kön­nen Acces­soires aus einem Akt­bild Kunst machen.

____

In dei­ner foto­gra­fi­schen Arbeit kommst du dem Men­schen oft sehr nah. Wie gelingt dir das? Wie schaffst du die Atmosphäre?

Die Models wis­sen genau, was ich shoo­ten möch­te, Im Vor­feld bekom­men sie das kom­plet­te Mood­board und wis­sen, was sie erwar­tet. Meist tele­fo­niert man ein paar Mal und schaut, ob die Che­mie stimmt. Das bekommt man recht schnell her­aus. Glücklicherweise irre ich mich da recht selten.

____

Arbei­test du lie­ber mit Pro­fi-Models oder Amateur-Models?

Das ist ja auch eine finan­zi­el­le Fra­ge. Ich ent­schei­de das Boo­king, wenn ich weiß, was ich foto­gra­fie­ren möch­te. Inzwi­schen arbei­te ich ver­mehrt mit pro­fes­sio­nel­len Models, da es schlicht schnel­ler geht. Lie­ber arbei­te ich aller­dings mit Frau­en von der Stra­ße. Am inter­es­san­tes­ten sind Shoo­tings mit Frau­en, die noch nie vor der Kame­ra gestan­den haben. Die sind dann meist selbst über das Ergeb­nis ver­wun­dert und es bleibt nicht bei einem Shooting.

____

Was ist ein typi­scher Feh­ler, den Foto­gra­fen immer wie­der machen, wenn sie Frau­en ablichten?

Vie­le Foto­gra­fen haben schlicht kein Auge und kei­nen Respekt, kümmern sich mehr um ihre Kame­ra und die Tech­nik und überlassen dem Model das Feld. Bei mir steht das Model zu 100 % im Mittelpunkt.

____

Wie planst Du Dei­ne Foto­shoo­tings?
Wie vie­le Bil­der machst Du dann in etwa?

Meist habe ich eine Sze­ne oder eine Loca­ti­on im Kopf, danach wäh­le ich das Model aus. Ich erstel­le dann ein Mood­board mit Bei­spiel­bil­dern und sen­de die Bil­der an das Model. Das Model wählt dann die Bil­der aus oder fügt eige­ne Ideen hin­zu. Im Schnitt ent­ste­hen bei einem Shoo­ting zwi­schen 250 und 1000 Bil­dern. Davon schaf­fen es 10 bis 50 in eine enge­re Auswahl.

____

Wie auf­wen­dig sind Dei­ne Shoo­tings? Wie gehst Du vom Work­flow an neue Pro­jek­te her­an und wie sieht Dein Work­flow aus?

Ich ver­su­che den Auf­wand so gering wie mög­lich zu hal­ten. Obwohl ich in letz­ter Zeit immer mal wie­der etwas auf­wen­di­ge­re Pro­duk­tio­nen hat­te. Sei es mit Far­be, Federn oder Loca­ti­ons. In der Regel ist es aber schlicht ein Model, ein Raum, Licht, Schat­ten, eine Kame­ra und ich.

____

Wie geht es danach weiter?

Unspek­ta­ku­lär würde ich sagen. Ich ste­cke die SD Kar­te in den Rech­ner, mache mir pas­sen­de Musik an, öff­ne eine Fla­sche Wein und sich­te die Bil­der. Ich erstel­le einen Ord­ner und zie­he gelun­ge­ne Bil­der in den Bear­bei­ten-Ord­ner. Neh­men wir mal an, wir haben 500 Bil­der geschos­sen und hat­ten 10 Sze­nen, dann wäh­le ich pro Sze­ne 5 bis 10 Bil­der aus und bear­bei­te die­se mit Ligh­t­room. Da wird dann meist recht schnell klar, dass nur ein oder zwei Bil­der übrigbleiben. Die­se wer­den dann ent­we­der für sozia­le Medi­en wie Insta­gram bear­bei­tet oder für Face­book ent­schärft. Sehr weni­ge Bil­der schaf­fen es dann auf die Sei­te von Saat­chi Art, wo ich mei­ne Bil­der verkaufe.

Wie ist das Ver­hält­nis von der Post-Pro­ces­sing-Nach­be­ar­bei­tung zur eigent­li­chen Auf­nah­me? Wel­chen­Stel­len­wert hat die digi­ta­le Nach­be­ar­bei­tung für Dich?

Die Nach­be­ar­bei­tung ist ja die eigent­li­che Arbeit und benö­tigt Tage. Allei­ne das selek­tie­ren der Bil­der dau­ert eine Ewig­keit. Ich lie­be die­sen Arbeits­pro­zess. Man kann aus einem Bild 10 ver­schie­den Bil­der bau­en. Das ist wahn­sin­nig spannend.

____

Wel­che Foto­gra­fen inspi­rie­ren dich?

Also New­ton und Lind­bergh sind schon Iko­nen für mich. Es gibt aller­dings eine Viel­zahl an Foto­gra­fen, die ich sehr schät­ze. Javie­ra Estra­da aus Los Ange­les fin­de ich aktu­ell überragend.

____

Gibt es eini­ge Fotografen-Kollegen*Innen aus Deutsch­land, deren Arbei­ten Du beson­ders schätzt?

Ste­fa­nie Schnei­der aus Essen, die nun in Kali­for­ni­en lebt, hat einen sehr eige­nen Stil, den ich sehr mag. Paul Green aus Ber­lin ist ganz wun­der­bar und natürlich Rodis­lav Dri­ben aus Köln.

____

Was ist dei­ner Mei­nung nach aus­schlag­ge­bend, um in der Foto­gra­fie-Bran­che heut­zu­ta­ge erfolg­reich zu sein?

Dann müsste man defi­nie­ren, was ein guter Foto­graf ist? Der, der ver­kauft oder 50 Hoch­zei­ten im Jahr foto­gra­fiert und davon sehr gut leben kann, oder der, der Foto­gra­fie stu­diert hat und die Tech­nik beherrscht. Es gibt eben Foto­gra­fen. Wenn mir ein Bild gut gefällt oder es etwas in mir aus­löst, dann ist das Foto gut. Egal ob mit dem Han­dy oder einer 10.000-Euro-Kamera gemacht.

____

Siehst Du Dei­ne Bil­der heu­te anders als damals, als Du sie auf­ge­nom­men hast?

Ich sehe auf jeden Fall eine Ent­wick­lung. Das beru­higt mich schon mal. Inter­es­sant fin­de ich, dass ich heu­te ab und an Bil­der von vor fünf Jah­ren bei Face­book pos­te, für die ich damals belä­chelt wur­de. Plötz­lich soll es Kunst sein für eini­ge. Das amüsiert mich.

____

Was hast Du durch die Foto­gra­fie gelernt?

Dass man nie auf­hö­ren darf, an sich zu glau­ben, und dass Talent wich­ti­ger ist als Technik.

____

Hast du heu­te ein ande­res Bild von Schönheit?

Ganz und gar nicht. Ich den­ke, mei­ne Foto­gra­fie hat eine eige­ne Hand­schrift. Ich wer­de mor­gen nicht anfan­gen, Frau­en auf Motor­hau­ben von teu­ren Autos zu foto­gra­fie­ren. Ich mag nach wie vor kein Make­up, andro­gy­ne Kör­per und klei­ne Feh­ler und Laster.

____

Was macht für Dich ein gutes Foto aus? Was macht es zur Ikone?

Gute Bil­der müssen beim Betrach­ter etwas aus­lö­sen und Geschich­ten erzählen.

____

Hat sich der Markt der Mode­fo­to­gra­fie stark ver­än­dert? Wie siehst Du die Zukunft der Foto­gra­fie? Was muss man heu­te als Foto­graf machen, um zwi­schen den Mil­li­ar­den ande­ren Bil­der wahr­ge­nom­men zu werden?

Ich glau­be man muss eine gewis­se Kon­stanz in der Bild­spra­che haben. Ich wage zu behaup­ten, dass man ein Bild von mir inzwi­schen erkennt. Wenn man es auf das Level geschafft hat, dann ist man schon mal einen Schritt wei­ter. Mode­fo­to­gra­fie hat sich inso­fern ver­än­dert, dass dank Insta­gram ja nun jedes Mäd­chen Foto­graf ist und dank der her­vor­ra­gen­den Kame­ras in den Han­dys in der Lage ist, eige­ne Mode­stre­cken zu pro­du­zie­ren, die sehr oft sehr viel bes­ser als die Pro­duk­tio­nen der Auf­trag­ge­ber in der Mode­bran­che sind. Inzwi­schen arbei­ten ja die meis­ten Mode­fir­men fast aus­schließ­lich mit Influen­cern, um eben Geschich­ten zu transportieren.

Du ver­kaufst Dei­ne Arbei­ten stär­ker in den USA als in Deutsch­land (Euro­pa). Wor­auf führst Du das zurück?

Grund­sätz­lich mag es dar­an lie­gen, dass Saat­chi Art eben ein ame­ri­ka­ni­sches Unter­neh­men ist und in den USA eben sehr eta­bliert ist. Es mag aller­dings auch dar­an lie­gen, dass ich einen spe­zi­el­len Typ Frau foto­gra­fie­re. Wenn man auf mei­ner Sei­te die ca. 40 Models ver­gleicht, wird man zu gro­ßen Tei­len einen ähn­li­chen Typ Frau fin­den, der so gar nicht dem ame­ri­ka­ni­schen Frau­en­typ entspricht.

____

Und der Umgang mit der Kame­ra? Wie hat die digi­ta­le Foto­gra­fie in Dei­nen Augen das Hand­werk verändert?

Digi­ta­le Foto­gra­fie ist Fluch und Segen zugleich. Man stel­le sich vor, man müsste nach jedem Shoo­ting Hun­der­te Bil­der ent­wi­ckeln und davon 80 % in den Müll tun. Auf der ande­ren Sei­te ist natürlich ana­lo­ge Foto­gra­fie noch immer die Königs­dis­zi­plin. Sicher­lich auch für mich eine Her­aus­for­de­rung für die Zukunft.

Wel­che Rol­le spie­len für Dich Inter­net und Social Media in der Selbst­ver­mark­tung und hilft es Dir, Kun­den zu gewinnen?

Also ohne Platt­for­men wie Face­book und Insta­gram hät­te ich natürlich nicht die­se welt­wei­te Streu­ung. Wenn man dort eine gewis­se Beharr­lich­keit an den Tag legt und die­se Tools pflegt, bleibt es nicht aus, gese­hen zu wer­den. Natürlich ist vie­les von mir dort auch Mar­ke­ting. Nicht jede Fla­sche Wein, die nachts auf Insta­gram Sto­rys bei mir auf­taucht, wur­de auch zu dem Zeit­punkt getrun­ken, und nicht jedes Model bleibt über Nacht. Aber schön, wenn es den Ein­druck vermittelt.

____

Durch Dei­ne Kar­rie­re in der Mode­welt hast Du vie­le Metro­po­len bereist und eini­ges von der Welt gese­hen. Wo würdest du mor­gen früh am liebs­ten aufwachen?

Ich wache eigent­lich ganz ger­ne in Kas­sel auf und habe das gro­ße Glück orts­un­ab­hän­gig arbei­ten zu kön­nen. Mit Kas­sel habe ich mei­nen Frie­den gemacht. Außer­dem reicht es ja, wenn mei­ne Bil­der inzwi­schen welt­weit in ca. hun­dert Woh­nun­gen hängen.

Wenn Zeit, Geld und ande­re Fak­to­ren kei­ner­lei Rol­le spie­len würden: Wie würde dein abso­lu­tes Traum­pro­jekt aussehen?

Also ein gro­ßes Loft als Arbeits­platz und Lebens­mit­tel­punkt mit Tages­licht und Stu­dio wäre schon ein sehr gro­ßer Traum.

[ Das Inter­view führ­te Son­ja Rossetini ]

BUCHEMPFEHLUNGEN

AIR BE AND BE
Erzäh­lun­gen | Jens Koh­len
ISBN: 9783746723174

HOCH-TIEF
Roman | Jens Koh­len
ISBN: 9783748519973